Normale Nahrungsmittel oder Diabetikerkost?
Ein Teil der Behandlung von Typ-2-Diabetes besteht in einer Ernährungsumstellung.
In Drogerien und in Supermärkten kann man „Diabetikerkost“ in den Regalen finden. Typischerweise werden diese Produkte mit Zuckern hergestellt, die der Körper langsamer und nur unvollständig resorbiert, wie etwa Sorbitol. Solche Nahrungsmittel enthalten jedoch mindestens ebenso viele Kalorien wie ihre preisgünstigeren normalen Entsprechungen. Sie unterscheiden sich in Bezug auf die Kontrolle des Blutzuckerspiegels nicht nennenswert davon und unterstützen auch keine Gewichtsabnahme. Ärzte und andere Gesundheitsexperten raten nunmehr von „Diabetikerkost“ ab, da sie nicht hilfreich ist. Diabetiker sind auf die gleichen Energieträger angewiesen wie alle anderen Menschen auch, und es ist weitaus wirksamer, die Zucker- und die Kalorienzufuhr zu reduzieren, statt Spezialnahrung zu sich zu nehmen.
Was und wie viel Sie essen, bestimmt natürlich, wie gut Sie Ihren Blutzuckerspiegel unter Kontrolle halten können. Die Leitlinien fokussieren immer mehr darauf, stark zuckerhaltige Nahrungsmittel und zu viele Kohlenhydrate zu meiden, doch je nach Quelle finden sich unterschiedliche Empfehlungen und nur wenige betonen die zentrale Bedeutung einer reduzierten Nahrungsgesamtmenge. In Zeitschriften und Zeitungen finden sich häufig irreführende Ratschläge.
Was essen Sie? Im Alltag essen die meisten Menschen das, was Familie und Freunde essen. Familiäre Gewohnheiten zu verändern, kann herausfordernd sein, doch schon kleine Änderungen können eine Menge bewirken. So wäre es zum Beispiel gut, die Verzehrmenge von Kartoffeln, Nudeln und Reis zu halbieren und dafür die Gemüseportion zu verdoppeln. Im Laufe des Buches finden Sie viele weitere Ideen, wie sich bessere Essgewohnheiten einführen lassen.
Typ-2-Diabetes und die kurzfristigen Folgen
Wenn Sie nach einem Arztbesuch, zu dem unangenehme Beschwerden Sie veranlasst haben, nun wissen, dass Sie Diabetiker sind, kennen Sie auch schon manche der Probleme, die diese Krankheit verursacht.
Steigt der Blutzuckerspiegel zu stark an, überschreitet die Glukosemenge die sogenannte Nierenschwelle, und die Glukose wird über den Urin abgegeben. Und da sie hydrophil ist, also wasserliebend, bilden die Nieren mehr Urin als üblich. Bei Nichtdiabetikern sorgen die Nieren dafür, dass die Glukose im Blut verbleibt. Als Nachfahren von Menschen, die über Jahrtausende hinweg eine Hungersnot nach der anderen überleben mussten, haben wir uns zu energieeffizienten Wesen entwickelt. Energie zu verlieren, die aus der Nahrung gewonnen wurde, ist problematisch. Doch mit solch einer überwältigenden Menge Glukose kommen unsere Nieren nicht zurecht, das haben sie schlicht nicht gelernt.
Wenn Sie Diabetiker sind, sind Ihnen große Urinmengen nur allzu gut bekannt. Ist Ihr Diabetes außer Kontrolle – weil Sie vielleicht zu viel gegessen, Ihre Tabletten vergessen oder nicht gespritzt haben –, dann ist eine zu große Urinmenge ein sicheres Zeichen, dass der Blutzuckerspiegel zu hoch ist. Wahrscheinlich müssen Sie nachts häufiger zur Toilette gehen. Da hierbei Wasser aus dem Körper verlorengeht, haben Sie Durst und möchten viel trinken. Das könnte eines der Warnsymptome gewesen sein, mit dem sich Ihr Diabetes angekündigt hat. Da die Nierenschwelle für den Übertritt von Glukose in den Urin jedoch individuell verschieden ist, sind vielleicht zuerst andere Probleme aufgetreten.
Beispielsweise könnten Sie auch allgemein schlecht gelaunt oder müde gewesen sein. Natürlich kann Müdigkeit viele Ursachen haben, wenn also nicht noch andere Symptome aufgetreten sind, ist vielleicht nicht unmittelbar eine Verbindung zu Diabetes hergestellt worden. Doch diese Müdigkeit steht oft am Anfang eines ganzen Katalogs von Problemen. Zu den häufigsten, die zu einer Diabetesdiagnose führen, gehören Hautinfektionen. Andere „Lebensformen“ ernähren sich nämlich auch gerne von Glukose und lassen sich dort nieder, wo sie leicht zu bekommen ist. Juckreiz und Entzündungen an Penis oder Vulva können die Folge einer Pilzinfektion mit Candida sein. Doch jede Art von bakterieller Infektion ist bei einem erhöhten Blutzuckerspiegel wahrscheinlicher. Hautverletzungen – kleine Schnitte oder andere banale Verletzungen – neigen dazu, sich zu infizieren, und Harnwegsinfektionen kommen häufig vor. Das klingt nach einer deprimierenden Liste – aber es kommt leider noch schlimmer. Bislang habe ich nur die unmittelbaren Folgen beschrieben. Wenn der Blutzuckerspiegel jedoch über Jahre hinweg erhöht ist, dann können sich ernstere langfristige Probleme häufen.
Typ-2-Diabetes und die langfristigen Folgen
Alle Ihre Organe sind auf Nahrung und Sauerstoff angewiesen, die über das Blut transportiert werden, und da sie jede Körperzelle erreichen müssen, ist jedes Organ von einem feinen Kapillarnetzwerk durchzogen. Diese feinen Gefäße können die Nährstoffe sehr gut genau dorthin bringen, wo sie gebraucht werden. Jeder Mensch ist darauf absolut angewiesen. Doch diese Gefäße reagieren sehr empfindlich auf einen erhöhten Blutzuckerspiegel. Über einen längeren Zeitraum kann das dazu führen, dass die Kapillaren weniger leistungsfähig, dafür „undicht“ oder aber einfach blockiert werden. Und wenn den Zellen ihre regelmäßige „Lebensmittelbestellung“ nicht geliefert wird, kommt es zu Problemen im ganzen Körper.
Die Augen sind besonders empfindlich. Die innere Augenhaut, die sogenannte Retina (Netzhaut), ist auf ein sehr leistungsfähiges kapillares Netzwerk angewiesen, das die lichtempfindlichen Nervenendigungen versorgt. Werden diese Kapillaren durchlässig, sammelt sich Flüssigkeit in der Netzhaut an und kann das Sehvermögen bedrohen. Werden die Kapillaren in der Retina blockiert, können die lichtempfindlichen Nerven nicht richtig funktionieren. Diabetes ist eine Hauptursache für den Verlust des Augenlichts. Bevor es Vorsorgeuntersuchungen für die Augen gab, war Diabetes tatsächlich die häufigste vermeidbare Ursache für eine Erblindung im Vereinigten Königreich.
Auch andere Nerven im Körper werden in Mitleidenschaft gezogen, da sie Nahrung und Sauerstoff brauchen, um Botschaften weiterzuleiten. Sicherlich ist Ihnen schon einmal das Bein „eingeschlafen“. Wenn sie ungeschickt sitzen und einen Nerv zu lange zusammendrücken, wird der Kapillarfluss dorthin blockiert und er kann nicht mehr arbeiten. In einem solchen Fall spüren Sie dann ein Taubheitsgefühl und ein Kribbeln und die Muskeln gehorchten Ihnen nicht mehr. Wird der Druck weggenommen, ist das Problem zum Glück innerhalb weniger Minuten behoben. Doch diabetesbedingte Probleme mit den Nerven können nicht so leicht rückgängig gemacht werden, denn sie sind die Folge einer jahrelangen kapillaren Schädigung. Taubheitsgefühl, Kribbeln und sogar Schmerzen können monatelang anhalten und sogar chronisch werden. Da die Nerven zu den Füßen die längsten im Körper sind, kommt eine Taubheit dort am häufigsten vor. Und diese Taubheit selbst ist ein großes Problem, denn dadurch kann uns der Körper nicht mehr vor Störungen warnen, weil das Schmerzempfinden verlorengegangen ist. Wenn Ihre neuen Schuhe schmerzen, gehen Sie nicht weiter oder ziehen andere an. Aber wenn Sie die Schmerzen nicht spüren können, tragen Sie sie weiterhin, während sich der Schaden unbemerkt ausbreitet. Das kann zu Hautverletzungen führen und Infektionen Tür und Tor öffnen, da die mangelhafte Blutversorgung durch die geschädigten Kapillaren es den Bakterien ermöglicht, sich unkontrolliert mit potenziell verheerenden Folgen zu verbreiten. Das Motto für Diabetikerfüße lautet also „kontrollieren oder verlieren“. Das mag brutal klingen, aber es bringt nichts, wenn ich die Dinge hier schönrede: Klare Informationen über das sehr reale Risiko sind unverzichtbar. Wer will schon von einem Arzt behandelt werden, der die Wirklichkeit vertuscht. Heute werden im Vereinigten Königreich jede Woche etwa 170 Amputationen aufgrund von Diabetes durchgeführt. Und ja, Sie haben richtig gelesen – jede Woche.
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