„Ähm, wo war ich stehen geblieben?“
„Na ja, dass du es bei seriösen Anbietern versucht hast“, half ihr Manuel auf die Sprünge, der gerade sein Handy entsperrte.
„Und, wie lief das genau ab?“, fragte Clarissa total interessiert.
„Nun, beim Online-Dating kann man jedes Detail selbst bestimmen: Körpergröße, Beruf, Bildungsabschluss, Verdienst, Hobbys, Temperament, Charaktereigenschaften, Sternzeichen. Und im Vorfeld abklopfen, ob potenzielle Partner auch ja das Zeug zu einem Traummann haben. Das ist faszinierend, denn ich war die Herrin. Zunächst wählte ich astrologische Feuerzeichen aus, Schütze-, Widder-, Löwe-Männer.“
„Hm, warum das denn?“, unterbrach sie Clarissa.
„Weil man diesen Typen männliche Tatkraft, Treffsicherheit, Selbstbewusstsein, Siegeswillen, Souveränität, Freiheitsliebe nachsagt“, scherzte Giulia. „Diesen Kerlen unterstellte ich dann, dass sie mit einer Fernbeziehung, einer sogenannten Living Apart Together-Beziehung, zurechtkommen würden.“ Giulia wurde sehr nachdenklich, als sie berichtete: „Ich habe mich durch Hunderte von Profilen geklickt. Man muss sich das wie eine virtuelle Casting-Show vorstellen. Als mein Testergebnis vorlag, habe ich mir ein buntes Sortiment aus künstlerischem Eigenbrötler, Underdog, ausgemachten Karrieretypen zugelegt. Alle zwischen 40 und 50. Daraufhin hatte mich das Einkaufsfieber gepackt. Wobei klar war, dass der Richtige nur mit einer Premium-Mitgliedschaft zu finden war. So habe ich mich für eine 12-monatige Mitgliedschaft entschieden, um an die lukrativen Premium-Angebote heranzukommen.“
„Wie, was?“, unterbrach sie Mara abrupt.
„Na ja, bei diesen Angeboten handelt es sich um beruflich erfolgreiche Männer – Männer, die spannende Geschichten erzählen können –, großzügige, wortgewandte, weitgereiste, selbstbewusste Männer. Eben keine Langweiler.“
„Und das hast du denen abgenommen?“, meldete sich Manuel zu Wort, legte das Handy zur Seite und schaute skeptisch in die Runde.
„Freilich haben sich die meisten mit der Zeit als wenig originell erwiesen, sodass am Schluss vier, fünf, sechs Typen übrig geblieben sind, bis sich auch diese Kontakte wie von selbst erledigt haben. Leidenschaft und Interesse sind mit der Zeit einfach viel zu platt und zu plump rübergekommen. Es gab nur noch ein Thema.“
„Sex!“, traf Clarissa ins Schwarze.
„Richtig. Mich hat es echt gestört, dass die Männer immerzu über sich, ihren beruflichen Erfolg und persönliche Anliegen gesprochen haben. Ich hatte den Eindruck, dass sie nach devoten, abhängigen Frauen gesucht haben. Nach Frauen, die sich ihrer Karriere ohne Wenn und Aber unterordnen. Darauf konnte ich mich nun wirklich nicht eingelassen. Worauf sich die einen stillschweigend zurückgezogen haben. Die anderen haben ihrem Ärger Luft gemacht, mich beschimpft, beleidigt und unmissverständlich aufgefordert, die Plattform zu verlassen. Davon mal abgesehen, die ständigen Abwägungen über Kosten, Nutzen, Optionen, Präferenzen haben mich mit der Zeit dermaßen angeödet, dass ich meine Suche von alleine beendet und meine Mitgliedschaft gekündigt habe.“
„Bravo, Giulia.“ Manuel klopfte mit den Fingern anerkennend auf den Tisch.
„War deine Sache dann vorbei?“, hinterfragte Clarissa kritisch.
„Nein, ich musste die Mitgliedsbeiträge weiterbezahlen, weil ich die Kündigungsfrist verpasst und sich mein Vertrag automatisch um ein Jahr verlängert hatte. Die Firma in Hamburg blieb hart und ging auf keine kulante Lösung ein, was sie aber auch nicht davon abhielt, mich weiterhin mit Werbeangeboten und Top-Angeboten zu bombardieren. Meine Beschwerden liefen ins Leere. Erst als ich mir eine neue E-Mail-Adresse zulegt hatte, war dieser Spuk vorbei.“
Clarissa sprach jetzt als Anwältin: „Online-Partneragenturen ködern potenzielle Kunden stets mit einer kostenlosen Mitgliedschaft und lukrativen Angeboten, die dann, wenn sie das System nicht durchschauen, für das große Glück immer tiefer in die Tasche greifen müssen, um an begehrte Top-Profile von Premium-Kandidaten heranzukommen. Millionen von Singles begeben sich mittlerweile im Internet auf Partnersuche. Keine Frage, das ist eine bequeme, sehr bequeme Sache, so von Sofa zu Sofa. Daten und Informationen über andere Menschen lassen sich wirklich leicht finden und ausspionieren. Und natürlich ist die mathematische Wahrscheinlichkeit hoch, jemanden zu finden. Ob man den Richtigen oder die Richtige findet, steht allerdings auf einem anderen Blatt.“ Sie wandte sich Giulia zu und sagte: „Nein, diese Art der Partnersuche werde ich nicht verfolgen. Und du solltest es auch bleiben lassen.“ Als Juristin hegte Clarissa grundsätzliche Zweifel an den Geschäftspraktiken der Online-Dating-Industrie. Eilig ging sie in die Küche, holte die eisgekühlte Kräuterlimonade aus dem Kühlschrank und kam mit einem Krug und vier Gläsern zurück. Das Tablett stellte sie auf den Tisch und schenkte ein.
„Wow, was für eine Überraschung!“, jubelte Mara hocherfreut und steckte sich gleich einen von den Schokoladenkeksen in den Mund, die in einer Holzschale lagen.
Mara führte das Glas an den Mund und trank einen kräftigen Schluck. „Das tat mal richtig gut jetzt. Was ist da alles drin?“
„Limetten, Minze, Orangenthymian, Salbei, Ingwerscheiben, Zitronenmelisse, etwas Zucker und zwei Liter Mineralwasser. Fast alle Zutaten sind aus den Kräuterbeeten“, antwortete Clarissa stolz.
Während die Frauen genüsslich an ihren Gläsern nippten, griff Manuel nach seinem Tablet, gab seinen Code ein, um über Partner-Portale zu recherchieren, murmelte er vor sich hin. Ruckzuck war er in seinem Tun versunken. Dabei wirkte er wie ein emsiger Fischer, der vom Fang seines Lebens träumte und im nächsten Moment stinksauer wurde, weil er nichts anderes als Müll aus dem Meer herausfischte. Schließlich wurde er doch fündig: „Prinzipiell“, begann er, „findet man auf den Plattformen für jede Vorliebe und Interessengebiet unzählige Angebote. Es gibt Plattformen für Christen, Muslime, Juden, Atheisten. Für schöne, große, weniger schöne, kleine Menschen. Für Homosexuelle, Tierschützer, Künstler, Vegetarier und für alle, die nur nach erotischen Abenteuern suchen. Natürlich versichern die Anbieter, keine Ramschware und keine Restposten anzubieten, sondern nur Top-Kontakte, also, hm, Liebessuchende mit makellosen Profilen, die man für Hunderte von Euro im Jahr kontaktieren und nach Belieben aufpolieren kann.“ Manuel lachte laut und fuhr etwas kühner fort: „Ein paar Kilos weniger, ein paar Zentimeter größer, um ein paar Euro reicher und ein paar Jährchen jünger. Auf den Plattformen wird gemogelt, was das Zeug hält.“ Er witzelte dann darüber, dass Liebessuchende hinter ihrem Laptop herumsitzen können, wie sie wollen – unfrisiert, unrasiert, ungewaschen, mit übelriechendem Atem und einer Fast-Food-Verpackung in der Hand. „Das kriegt doch keiner mit“, sagte er und dass die Tests einen mit Allerweltsfragen bombardieren würden, die man manipulieren könne, wie man wolle. Sind Sie Raucher, Nichtraucher? Welche Sportarten betreiben Sie? Wo, wie machen Sie Urlaub? Wie wichtig sind Ihnen Treue, Verlässlichkeit, Vertrauen in einer Partnerschaft?
Manuel hob den Persönlichkeitstest bei ElitePartner hervor, der nach seiner Meinung etwas profunder vorgehen würde, weil er beziehungsrelevante Persönlichkeitsmerkmale abfragen würde, etwa persönliche Kompetenzen und Interessen. Ein Matching-System würde dann die Antworten mit denen von anderen Nutzern vergleichen und Prozentwerte ermitteln. Je höher dabei der erreichte Prozentwert einer Übereinstimmung sei, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit für eine gelingende Partnerschaft, so die Theorie. Ob man aber wirklich zu einem anderen Menschen passen würde, nur weil eine 99-prozentige Übereinstimmung erzielt würde, bezweifelte Manuel stark. Weil zu viel Harmonie und Übereinstimmung die lebendige Dynamik in einer Beziehung vernichten würde, sowie Leidenschaft und Erotik. „Wenn erotische Langeweile um sich greift, enden die Liebesbeziehungen direkt im Grab. Die lässt sich auch bei einer 100-prozentigen Übereinstimmung nicht herbeizaubern.“ Manuel drehte sich halb um die eigene Achse, um sich zu vergewissern, dass ihm auch alle zuhörten, fragte dann, ob noch etwas von der Limo übrig sei. Sein Mund sei völlig ausgetrocknet. Clarissa nickte, nahm den Krug und schenkte ihm den Rest von der Kräuterlimonade ein.
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