Während dieses langen Gebets standen die Gastpastoren mit ihren Händen auf den Köpfen von Elmer und Eddie.
Zunächst gab es da einen grotesken Zwischenfall. Die meisten Geistlichen waren kleine Männer, die nicht bis zu Elmers Kopf hinaufgreifen konnten. Angestrengt, entsetzt und ganz unkirchlich standen diese ärmlichen guten Leute vor dem unruhigen Publikum. Es gab ein Gekicher. Elmer hatte einen Geistesblitz. Er kniete plötzlich nieder und Eddie, glotzend und ängstlich, ahmte ihm nach.
In dem pulverigen grauen Staub kniete Elmer, ohne sich dessen bewußt zu sein. Auf seinem Kopf lagen die müden Hände dreier geistlicher Veteranen, und mit einem Male war er demütig, einen Augenblick lang wurde er wahrhaftig für den priesterlichen Dienst Gottes geweiht.
Bis zu diesem Augenblick war er nichts als ungeduldig gewesen. In den Kapellen von Mizpah und Terwillinger hatte er zu viel berühmte Kanzelredner als Gäste sprechen gehört, als daß die bäuerische Beredsamkeit der Kayooska-Vereinigung auf ihn hätte Eindruck machen können. Doch jetzt empfand er ihre schüchterne Zärtlichkeit, ihre ungelehrte Glaubensglut – diese von der Armut ausgemergelten Pfarrer glaubten, voller Geduld in ihren kahlen, nüchternen Heiligtümern, daß sie die Welt retteten, und begrüßten voll demütiger Sehnsucht die jungen Leute, denen sie einst selbst gleich gewesen waren.
Zum erstenmal seit Wochen betete Elmer nicht, um sich zu zeigen, sondern aufrichtig, voll Leidenschaft und mit einem Anflug von Ehrlichkeit:
»Lieber Gott – ich will's schaffen – nicht Eindruck schinden, sondern nur an dich denken – Gutes tun – hilf mir, Gott!«
Ein kühler Luftzug ließ die schweren, staubüberzogenen Blätter erzittern, und als die seufzende Menge sich mit Gepolter von ihren Bänken erhob, stand Elmer Gantry voll Zuversicht da … geweihter Prediger des Evangeliums.
Inhaltsverzeichnis
Im Staate Winnimac (zwischen Pittsburgh und Chikago) liegt, an die hundert Meilen südlich von Zenith, Babylon, eine Stadt, die mehr von Neu-England hat als vom Mittelwesten. Große Ulmen beschatten sie, weiße Pfeiler stehen hinter Fliederbüschen, und rings um die Stadt ist eine gelassene Heiterkeit gebreitet, welche die stürmischen Prärien nicht kennt.
Hier befindet sich das Mizpah-Seminar für Theologie, das den Nordbaptisten gehört. (Es gibt einen Nord- und einen Südkonvent dieser ausgezeichneten Sekte, weil vor dem Bürgerkrieg von den Nordbaptisten an Hand der Bibel unwiderlegbar bewiesen wurde, daß die Sklaverei unrecht sei; und von den Südbaptisten, ebenso unwiderleglich und an Hand der Bibel, daß die Sklaverei der Wille Gottes sei.)
Die drei Gebäude des Seminars sind hübsch: Backsteinbauten mit weißen Kuppeln, grünen Läden vor den kleinscheibigen großen Fenstern. Aber innen sind sie kahl, an den getünchten Wänden abgewetzt, mit Bildnissen von Missionaren und zerfetzten Predigtbänden.
Der große Bau ist das Wohngebäude, Elizabeth J. Schmutz-Hall – bei den weniger Ehrfürchtigen als Schmutzhalle bekannt.
Hier wohnte Elmer Gantry, schon ordiniert, aber noch im letzten Jahr vor seinem Baccalaureus der Theologie, einem Grad, der bei Verhandlungen mit den größeren Kirchen Handelswert hat.
Sie waren nur noch sechzehn in seiner Klasse, die ursprünglich aus fünfunddreißig bestanden hatte. Die anderen waren abgegangen, um auf dem Lande zu predigen, als Lebensversicherungsagenten zu arbeiten, oder um traurig zum Pfluge zurückzukehren. Es war niemand da, mit dem er gern zusammen gewohnt hätte, er lebte verdrossen in einem Einzelzimmer mit einer Feldbettstelle, einer Bibel, einem Bild seiner Mutter und einem Band »Was ein junger Mann wissen muß«, den er in seinem einzigen gestärkten Kanzelhemd versteckt hielt.
Die meisten seiner Klassenkameraden waren ihm unsympathisch. Sie waren zu bäuerisch oder zu fromm, sie zeigten zu viel Neugier für seine monatlichen Ausflüge in die Stadt Monarch oder waren ganz einfach zu beschränkt. Elmer liebte die Gesellschaft von Leuten, die er für intellektuell hielt. Er verstand nie, was sie sagten, aber wenn er ihnen zuhörte, hatte er ein Gefühl der Überlegenheit.
Die Gruppe, bei der er sich am liebsten aufhielt, versammelte sich im Zimmer Frank Shallards und Don Pickens', dem großen Eckzimmer im zweiten Stockwerk der Schmutzhalle.
Es war kein ästhetischer Raum. Obgleich Frank Shallard leicht hätte dazu kommen können, Bilder, ernste Musik und kultivierte Möbel zu lieben, war er dazu erzogen worden, sie als weltlich anzusehen und sich mit jener Kunst zu begnügen, die »eine Botschaft in sich trug«, »Les Miserables« für schön zu halten, weil der Bischof ein freundlicher Mann war, und den »Scharlachbuchstaben« für ein armseliges Buch, weil die Heldin eine Sünderin war und der Autor sich nichts daraus machte.
Der alte Bewurf der Wände war geplatzt und fahlgrau geworden, er zeigte die Blutspuren längst erschlagener Moskitos und Wanzen – diese gräßlichen Schlachten hatten die Visionen angeregt, mit denen nun eine materialistische Welt von den geistlichen Kämpfern beglückt wurde. Das Bett war ein Skelett aus verrosteten Eisenstangen, in der Mitte durchgebogen, mit einer nicht allzu sauberen Steppdecke. In den Ecken standen Koffer, der Kleiderschrank war eine Hakenreihe hinter einem Kalikovorhang. Die Binsenmatte zerfiel allmählich in einzelne Fasern, unter dem Studiertisch war sie bis auf die billigen Tannendielen durchgerieben.
Die einzigen Bilder waren Franks Stahlstich von Roger Williams, seine gerahmte stiefmütterchenfarbene Kopie von »Pippa geht vorüber« und Don Pickens' Lieblingsgemälde, eine Landkirche in winterlichem Mondschein, mit Flitterschnee, der köstlich funkelte. Die einzigen nicht theologischen Bücher waren Franks Dichter: Wordsworth, Longfellow, Tennyson und Browning, in Standardbänden, schön gedruckt, dunkel, und ein wirklich gefährliches papistisches Dokument, seine »Nachfolge Christi«, über die es mindestens einmal in jeder Woche Streit gab.
In diesem Zimmer waren an einem Novemberabend des Jahres 1905, auf steifen Stühlen, den Koffern und dem Bett hockend, fünf junge Leute außer Elmer und Eddie Fislinger. Eddie gehörte eigentlich nicht zu der Gruppe, doch er ließ es sich nicht nehmen, Elmer überallhin nachzugehen, weil er das Gefühl hatte, daß noch nicht einmal jetzt alles mit dem Bruder stimmte.
»Ein Prediger muß ebenso kräftig sein und ebenso einen tüchtigen Puff vertragen können wie ein Preisboxer. Er müßte imstande sein, jeden Radaubruder hinauszuschmeißen, der's probiert, seine Meetings zu stören, und außerdem macht Stärke großen Eindruck auf die Frauen in der Gemeinde – natürlich mein' ich das nicht in irgendeinem schlechten Sinn«, sagte Wallace Umstead.
Wallace war Hilfslehrer, Leiter des kleinen Seminarturnplatzes und »Direktor für Körperkultur«; ein junger Mann, der einen soldatischen Schnurrbart hatte und Großartiges auf dem Reck leistete. Er war B.A. einer Staatsuniversität und Graduierter einer Schule für Leibesübungen. Er wollte in die Y.M.C.A., sobald er einen theologischen Grad hätte, und pflegte gern zu sagen: »Ach, ich bin noch immer Einer von den Jungs, wißt Ihr, auch wenn ich Prof bin.«
»Das stimmt«, meinte Elmer Gantry. »Wißt Ihr, ich hatte – im vorigen Sommer hab' ich in Grauten, Kansas, ein Meeting abgehalten, und da war ein Riesenlümmel, der immer wieder störte, und da bin ich ganz einfach von der Tribüne hinuntergesprungen und auf ihn zugegangen, und er sagt, ›Sagen Sie, Pfarrer‹ sagt er, ›können Sie uns erklären, was der Allmächtige will, daß wir wegen der Prohibition tun sollen, wo er doch Paulus gesagt hat, er soll bißchen Wein für seinen Magen nehmen?‹ ›Ich weiß nicht, ob ich das kann‹, sag' ich, ›aber Sie müssen sich dran erinnern, daß er uns auch befohlen hat, Teufel auszutreiben!‹ und dann hab' ich den Viechskerl von seinem Sitz weggestoßen und ihn am Ohr hinausgeschleift, und wißt Ihr, die ganze Menge – na ja, so schrecklich viel waren grade nicht da, aber die haben was über ihn gelacht! Jawohl. Und wenn man ein starker Kerl ist, macht das Eindruck auf die ganze Gemeinde, auf die Männer genau so wie auf die Weiber. Bestimmt gibt's mehr als einen hochfeinen Prediger, der seine Kanzel nur gekriegt hat, weil die Diakone gespült haben, daß er sie versohlen kann. Natürlich Beten und alles das ist ja ganz richtig, aber praktisch muß man sein! Wir sind hier, um Gutes zu tun, aber zuerst muß man sehen, daß man einen Posten kriegt, wo man Gutes tun kann.«
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