b) Begriffsbestimmung durch Klassifizierung
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Eine weitere Klassifikationsmöglichkeit ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen staatlichen Ermittlungen durch staatliche Akteure, staatlichen Ermittlungen durch private Akteure und privaten Ermittlungen. Dabei werden Internal Investigations (überwiegend) dem letztgenannten Bereich zugeschrieben.[18]
Dies schließt unternehmensinterne Ermittlungen insbesondere aus dem Bereich der durch beliehene Privatpersonen durchgeführten staatlichen Ermittlungen aus, zumal soweit sie lediglich als „management tool“ von Unternehmen eingesetzt werden, die ausschließlich dem deutschen Recht unterliegen. Begründen lässt sich dieses Ergebnis damit, dass den staatlichen Stellen bei unternehmensinternen Ermittlungen die (Ermittlungs-)Herrschaft fehlt.[19] Soweit es den US-amerikanischen Rechtsraum betrifft, bzw. das deutsche Unternehmen am dortigen Markt agiert, kommt der Hinzuziehung externer Ermittler vor allem die Funktion zu, den aufgeklärten Sachverhalt und die gewonnenen Erkenntnisse glaubhaft der zuständigen Behörde (i.d.R. die SEC oder das DOJ) zu übermitteln und ihr die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Allein die Tatsache, dass die hinzugezogenen Ermittler das Vertrauen der SEC genießen, macht die Untersuchung jedoch mangels Ermittlungsherrschaft noch nicht zu einer staatlichen.[20]
Im Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass es sich bei Internal Investigations unabhängig von dem Rechtsraum, in dem sie stattfinden und in dem das betreffende Unternehmen tätig ist, um private Ermittlungsmaßnahmenhandelt.
2. Historische Herleitung der Definition
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Wie gesehen differiert die Motivation der betroffenen Unternehmen zur Durchführung interner Ermittlungen bzw. ist abhängig von den im maßgeblichen Rechtsraum herrschenden (Straf-)Verfahrensbedingungen. Hält in den USA vor allem die SEC zu unternehmensinternen Untersuchungen an, so sind es im deutschsprachigen Rechtsraum vorwiegend andere Gründe, die Internal Investigations im Fall von Regelverstößen zu einem probaten Mittel der Intervention machen. Partiell erscheinen solche Ermittlungen veranlasst durch entsprechende gesetzliche Regelungen wie sie sich bspw. im Aktiengesetz finden[21] – wenngleich nicht ausdrücklich oder in dieser konkreten Ausgestaltung. Nur zum Teil sind unternehmensinterne Ermittlungen auch eine Folge der Privatisierungstendenzen im Strafverfahren. Denn während in den USA das bestehende Anreizsystem quasiverpflichtend Internal Investigations fordert, bleiben die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten im Geltungsbereich des deutschen Strafverfahrensrechts noch recht begrenzt.[22] Diese Unterschiede legen zunächst nahe, dass von einem einheitlichen Begriff der Internal Investigations nicht ohne Weiteres ausgegangen werden kann.
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Unternehmensinterne Ermittlungen haben hierzulande zwar eine geringere unmittelbar strafverfahrensrechtliche Funktion und Bedeutung als im US-amerikanischen Rechtsraum. Ihr Potential darf ungeachtet der ohnehin zunehmenden Privatisierung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens indes nicht verkannt werden. Denn neben die Vermeidung unerfreulicher Rechtsfolgen jedweder Art, angefangen von Bußgeldern bis hin zur Organhaftung, tritt eine weitere Funktion: Zu verhindern gilt es Reputationsverluste. Im deutschen Rechtsraum können Internal Investigations vor allem dazu dienen, die Einhaltung von Lauterkeitsregeln sicherzustellen und dies nach außen zu demonstrieren – was sich wiederum mittelbar durchaus positiv in einem staatlichen Verfahren auswirken mag. Diese funktionale Komponente unternehmensinterner Ermittlungen, die in der deutschsprachigen Literatur mitunter als „Compliance-Funktion“ bezeichnet wird,[23] lässt sich anhand der nachfolgenden Ausführungen belegen.
3. Einordnung in verwandte Bereiche
a) Internal Investigations als Bestandteil von Corporate Governance
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Mit dem Begriff der Corporate Governance lassen sich die Grundsätze der Unternehmensführung zusammenfassen; er bezeichnet den Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen.[24] Ein unternehmensspezifisches Corporate-Governance-System besteht somit aus der Gesamtheit relevanter Vorgaben, Richtlinien und Kodizes sowie dem mit ihrer Durchsetzung befassten Personalapparat. Internal Investigations bilden einen Teil dieses Systems, gehören zu diesem Programm der Effizienzsteigerung i.w.S.[25] und intendieren, Regelverstöße frühzeitig zu erkennen, ihnen entgegenzuwirken und sie zu sanktionieren.[26]
b) Internal Investigations als Gegenstück zur Compliance
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Auf den ersten Blick lässt sich die Corporate Governance in einen präventiven sowie einen repressiven Teilbereich aufspalten. Während Compliance gemeinhin erstgenanntem zugeordnet wird, sollen Internal Investigations eher den letztgenannten Aspekt betreffen.[27] Unternehmensinterne Ermittlungen stellten dann das repressive Korrelat zur Compliance dar. Da die Ahndung bzw. Sanktionierung von Fehlverhalten zumindest im deutschen Rechtsraum jedoch nicht den einzigen oder alleinig wesentlichen Zweck interner Ermittlungen ausmacht, sondern zugleich der sog. Compliance-Funktion essentielle Bedeutung zukommt, greift eine solche strukturelle Trennung zu kurz.[28] Im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch findet daher zum Teil sogar der Terminus „Compliance Investigations“ Verwendung,[29] was eine Zweckidentitätzwischen beiden Bereichen andeutet.
aa) Begriff der Compliance
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Der Begriff „Compliance“ bedeutet allgemein Einhaltung bzw. Überwachung von Regelnund bezeichnet damit die Gesamtheit aller Maßnahmen und Strukturen, die das normkonforme Verhalten der Unternehmensleitung, seiner Organisationsmitglieder und seiner Mitarbeiter im Hinblick auf alle gesetzlichen Ge- und Verbote begründen.[30] Dies gilt nicht nur im Bezug auf kodifizierte Regelwerke respektive gesetzliche Regelungen, sondern auch hinsichtlich von unternehmenseigenen Richtlinien und Wertvorstellungen, die Moral und Ethik gewährleisten.[31] Compliance soll demnach primär drohende Regelverletzungen und deren Sanktionsrisiken abwehren oder verringern; ferner sollen persönliche Haftungsrisiken auf Seiten der Unternehmensleitung durch Implementierung einer entsprechenden Kontrollstruktur reduziert werden.[32]
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Demnach zielt Compliance grds. darauf ab, in die Zukunft ausgerichtet regelkonformes Verhalten zu gewährleisten und Normverstöße zu verhindern. Internal Investigations fokussieren demgegenüber die Vergangenheit, da sie die Aufklärung zurückliegender Sachverhalte intendieren. Allerdings basieren Compliance und Internal Investigations zum Teil auf einem identischen Maßnahmenkatalog[33]:
– Interne Auditsbspw. können sowohl Maßnahmen im Rahmen von Compliance, als auch von Internal Investigations sein. Als Audit bezeichnet man interne Untersuchungsverfahren, die i.d.R. in Form von Anhörungen durchgeführt werden und dazu dienen, Sachverhalte aufzuklären oder Vorgänge und Personen zu bewerten.[34] Da die Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Auskunft verpflichtet sind,[35] erweisen sich Mitarbeiteranhörungen häufig als effektiv, sowohl zur Feststellung bspw. einer Norminternalisierung von Seiten der Mitarbeiter im Bezug auf bestehende Kodizes, als auch zur Aufklärung und Analyse zurückliegender Schieflagen.
– Ähnliches gilt für Chinese Walls, die als Barrieren zur informationsbezogenen Segmentierung in verschiedenen Bereichen vor allem im Finanzsektor eingesetzt werden und der Steuerung von compliance-relevanten Informationen und der Vermeidung von Interessenkonflikten oder Insiderhandel durch Schaffung von Informationsbarrieren dienen.[36] Hierbei findet eine Trennung der über einen bestimmten Vorgang oder allgemein vorhandenen Informationen statt, um die Kenntnisnahme durch bestimmte Teile des Personalapparats bzw. Einzelpersonen hiervon auszuschließen.[37] Auf diese Weise lässt sich einerseits verhindern, dass die betreffenden Personen spezifische Straftaten begehen, welche die Kenntnis von diesen Informationen voraussetzen. Andererseits mag der Informationsausschluss zugleich die Ahndung von diesbezüglichem Fehlverhalten erleichtern, indem auf diese Weise etwa die Möglichkeiten der Tatverdeckung eingeschränkt werden.[38]
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