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Neben der Vertrauensgrundlage stellt Geduldeinen wichtigen Faktor bei einer Vernehmung dar. Fühlt sich die Auskunftsperson unter Druck gesetzt, kann ihre Aussagebereitschaft sinken bzw. die freie Erinnerung beeinträchtigt werden.[33] Die Auskunftsperson konzentriert sich nicht mehr allein auf ihre Erinnerungen und Angaben; vielleicht ist sie aufgrund der Umstände sogar verärgert. Soweit die Ausführungen der Auskunftsperson zu umschweifend werden, können vorsichtig Grenzen gesetzt werden. Doch sollte das Vorgehen immer der Persönlichkeit der Auskunftsperson angepasst werden.
cc) Interesse an und Bemühen um die Auskunftsperson
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Eine wichtige Grundregel eines jeden Vernehmers sollte sein, Interesse an der Auskunftsperson zu zeigen. Damit ist mehr als die anfängliche Kontaktaufnahme und ein freundlicher Umgang gemeint. Als Vernehmer will man eine Auskunft, die aller Voraussicht nach nur die Auskunftsperson geben kann. Diese wichtige Rolle sollte man vermitteln. Dazu gehört insbesondere das aktive Zuhören.[34] Soweit die Auskunftsperson Vorder- und Hintergrundinformationen mitteilt, sollte zunächst zugehört werden. Zum einen können sich überraschend wichtige Angaben ergeben, zum anderen kann ein vorschnelles Abtun oder Eingreifen den Redefluss und damit auch die freie Erinnerung beeinträchtigen. Hilfreicher ist es oft, die Auskunftsperson in dem Fortführen zu bestärken und Teilnahme zu zeigen. Dies sollte mit inhaltlich neutralen Formulierungen erfolgen. Die Auskunftsperson muss den Eindruck gewinnen, dass der Vernehmer den ernsthaften Willen besitzt, die Wahrheit zu erforschen und dazu ihre Auskunft notwendig ist. Insbesondere sollte das Mitteilungsbedürfnis des Vernehmers jedenfalls vorerst hintenan gestellt werden.[35] Umso weniger Unterbrechungen erfolgen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine eigene Aktivität entwickelt. Die Auskunftsperson gibt grundsätzlich mehr von sich und ihren Erinnerungen preis, wenn sie frei und ohne „Störungen“ berichten kann.
dd) Positive und negative Kritik – kommunikative Folgen
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Bei Rückmeldungen an die Auskunftsperson ist es wichtig, dass ein positives Feedback erfolgt. Dies kann etwa die umfangreiche Art der Darstellung betreffen, aber auch das ehrliche Eingestehen von Erinnerungslücken. Gerade Letzteres fällt vielen schwer, so dass eine Stärkung besonders wichtig ist. Viele Auskunftspersonen befinden sich in einem Interessenkonflikt. Dem Wunsch die Wahrheit sagen zu wollen, stehen mitunter andere Interessen entgegen. Dieser Konflikt ist oft zu Beginn der Vernehmung noch nicht abgeschlossen.[36] Im Laufe des Gesprächs wird sich die Auskunftsperson aber für einen Weg entscheiden müssen. Daher sollte direkt von Anfang an die Möglichkeit genutzt werden, die Auskunftsperson zu bestärken, die Wahrheit zu sagen. Ein nicht übertriebenes Lob kann die ausschlaggebende Wirkung auf die Auskunftsperson haben.
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Die Auskunftsperson sollte nicht unnötig angegriffen werden. Wird dem Mitarbeiter ein bestimmtes Verhalten vorgeworfen, wird er versuchen, sich zu verteidigen oder sogar die Bereitschaft verlieren, vollständig zu berichten.[37] Es entsteht die Gefahr, dass die Situation in einem anderen – für die Auskunftsperson positiveren – Licht dargestellt wird. Der Sachverhalt wird in seinen Einzelheiten (unbewusst) anders dargestellt oder auch mit einer anderen Schwerpunktsetzung berichtet. Es sollte also vermieden werden, die Auskunftsperson in eine Verteidigungsposition zu bringen. Ein Mittel dazu ist, die Mitteilungen aus der eigenen Position heraus zu formulieren und nicht einen Fehler bei dem Anderen zu suchen.[38]
ee) Verständlichkeit und klare Sprache
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Nicht zu unterschätzen ist die Verständlichkeit und Klarheit der Sprache bei einer Vernehmung. Der Vernehmer sollte lange, verschachtelte Sätze vermeiden.[39] Auch Fragehäufungen führen nicht zu einer effektiveren und schnelleren Vernehmung.[40] So wird die Auskunftsperson die einzelnen Fragen in der Regel nicht vollständig aufnehmen bzw. den Kern der Frage bei vielen Verschachtelungen und Zusätzen nicht erkennen können.
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Es tritt bei Vernehmungen immer wieder das Problem auf, dass Fragen anders verstanden werden, als vom Vernehmer gewollt.[41] Diese Missverständnisse sind nicht zwingend auf einen niedrigen Bildungsstand zurückzuführen. Im Rahmen der Kommunikation kommen viele Faktoren wie Herkunft, Sprache, Dialekt, Hintergrundwissen, Fragestellung, Herangehensweise, Wortwahl etc. hinzu. Der Vernehmer sollte daher versuchen, sich auf die Auskunftsperson und ihre Persönlichkeit einzustellen. Da dies nicht immer ausreichend möglich ist, kann man sich durch Nach- oder Rückfragen versichern. Nicht immer wird mit gleichen Wörtern dieselbe Bedeutung verbunden. Dies lässt sich durch Empathie und Nachhaken klären.
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Die Vorbereitung in der Sache stellt die Grundlage einer jeden Vernehmung dar.[42] Zum einen können nur auf diese Weise die notwendigen Fragen bzw. Rückfragen gestellt werden, zum anderen führt die sachliche Kompetenz in der Regel zu mehr Autorität. Allein die Position der leitenden Person reicht nicht aus, um die notwendige Kompetenz zu vermitteln. Der Vernehmer, der neben seinem Wissen über den Akteninhalt bzw. des Sachverhaltes auch die ausreichende Kompetenz besitzt, eine Vernehmung qualifiziert zu führen, wird bei der Wahrheitsfindung Erfolg aufweisen können.[43] Die fachliche Kompetenz wird nicht dadurch erreicht, dass der Vernehmer besonders laut und streng auftritt. Ein ausgleichendes Auftreten, das Fehler und Schwächen zulässt, aber auch ein entschlossenes Vorgehen umfasst, wird die Auskunftsperson mehr beeindrucken und die Auskunftsbereitschaft steigern.
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Je nach Stellung des Vernehmers gegenüber der Auskunftsperson oder aufgrund großer Emotionalität kommt es nicht selten zu Provokationen. Auf diese Art und Weise sollte sich der Vernehmer nicht einlassen. Klare Grenzen sind zu formulieren, aber auf einer sachlichen Ebene.[44] Soweit Konsequenzen angekündigt werden, sollten sie eingehalten werden. Klare Regeln schaffen Transparenz und auch Vertrauen. Die Einhaltung der Regeln gelten selbstverständlich für alle Beteiligten, also auch für den Vernehmer. Soweit die Situation droht, dass die Vernehmung aus den Fugen gerät, kann eine Pause hilfreich sein. Im Anschluss sollte es dann in der Sache ohne Bezug auf die vorherigen Geschehnisse weitergehen.
b) Grundstruktur der Vernehmung
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Grundlage einer jeden Vernehmung sollte sein, zuerst einen Berichtder Auskunftsperson zu ermöglichen und erst im Anschluss das Verhör, d.h. Nachfragen, anzuschließen. Diese Grundstruktur ist für den Straf- sowie den Zivilprozess gesetzlich festgeschrieben (§ 69 Abs. 1 StPO und § 396 Abs. 1 ZPO). Dieser Anspruch wurde zwar für den gerichtlichen Prozess formuliert, doch sollte der Grundsatz für jede Vernehmung gelten. Er ist aussagepsychologisch von allgemeiner Gültigkeit: Die Fehlerquote ist bei einer Vernehmung grundsätzlich höher, wenn direkt mit dem Verhör begonnen wird.[45] Der Auskunftsperson sollte daher die Zeit gegeben werden, in Ruhe die Erinnerungen frei zu berichten. Soweit die Schilderung etwas kurz oder lückenhaft gerät, kann durch offene Fragen die Auskunftsperson zur Erweiterung des Berichtes aufgefordert werden. Dies kann etwa erreicht werden, indem an einer bestimmten Stelle des Berichtes angeknüpft wird und um genaueren Bericht gebeten wird. Konkrete Sachfragen verhelfen dabei weniger zu einer allgemeinen Erweiterung, da bei Einzelfragen durch Details, die in der Frage schon formuliert werden, immer die Gefahr steckt, die Auskunftsperson in irgendeiner Richtung zu beeinflussen.[46]
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