Die Wohnwunschermittlung wird als herausfordernd beschrieben, wenn alternative Wohnerfahrungen fehlen, so dass die Personen »[…] im Grunde gar keine Vorstellungen formulieren. […] es gibt da viele Leute, die tatsächlich immer sagen: Weiß ich nicht, weiß ich nicht.« (MA 4). Auch wird der Prozess der Wunschäußerung und -entscheidung als voraussetzungsvoll beschrieben:

»[…] die Person muss erstmal in der, sozusagen kognitiv in der Lage sein, auszuwählen. Es muss geübt werden und das Ja-Nein-Konzept ist letztlich kognitiv ein hochanspruchsvolles. […] und das ganze Thema ›wie stelle ich mir Zukunft vor‹. Dafür brauche ich irgendwie eine Orientierung in der Zeit […]« (ExpWiss1).
Zudem wird darauf verwiesen, dass Bewohner*innen ihre Fähigkeiten, selbstständig wohnen zu können, überschätzen und der Einfluss von Angehörigen oder Betreuer*innen eine große Rolle spielt.

Die Rolle der Stellvertretung muss immer wieder reflektiert werden. Es muss kritisch hinterfragt werden, inwiefern Wünsche eines Menschen stellvertretend erfasst werden können.
Bei Menschen mit geringen oder fehlenden verbalsprachlichen Fähigkeiten gestaltet sich der Prozess schwierig. Hier wird das Fehlen von standardisierten Erhebungsinstrumenten für die Personengruppe angeführt. Vorhandene Methoden müssen deutlich verbessert bzw. an die jeweiligen Fähigkeiten der Person angepasst werden. Die Methode der Alltagsbeobachtung zur Wohnwunschermittlung nehme viel Zeit in Anspruch, so dass die begrenzten zeitlichen Ressourcen im Praxisalltag als Barriere gesehen werden. Auch finanzielle Fragen können den Prozess im Vorfeld so beeinflussen, dass für Mitarbeitende in Gesprächen solche Fragen wie »›Wie will eigentlich jemand wohnen?‹ erstmal gar nicht so ein Thema sind« (ExpWiss1).
3.2.2 Gründe für eine Wohnveränderung
Wohnveränderungen werden sowohl eigeninitiativ aufgrund eines persönlichen Wunsches als auch fremdinitiativ, d. h. von anderen Personen aufgrund eines veränderten Unterstützungsbedarfs veranlasst.
Persönliche Wünsche beziehen sich z. B. auf den Wunsch nach mehr Selbstständigkeit, wie ein Befragter anführt: »[D]amit ich nicht immer auf Hilfe von meiner Mutter angewiesen bin« (IP 2). Ferner spielt das Alter eine Rolle. Entsprechend äußert eine Interviewperson: »[…] mit 43 wird es mal langsam Zeit« (IP 3). Auch wird eine derzeitige stationäre Wohneinrichtung als »Notlösung« gesehen (IP 3), weil die häusliche Pflege nicht mehr gewährleistet werden konnte. Die Person beschreibt »ein Problem damit [zu haben] in einem Haus zu wohnen, was für Andere, für die Mitarbeiter, der Arbeitsplatz ist« (IP 3).
Auch mitbewohner*innenbezogene Aspekte können den Wunsch nach einem Umzug begründen. Hierzu gehören Konflikte mit den Mitbewohner*innen (IP 5), ein (deutlich) höheres Alter (IP 1) oder ein hoher Assistenzbedarf bzw. fehlender Austausch mit den Mitbewohner*innen (IP 3). In Bezug auf das gemeinschaftliche Wohnen werden außerdem die Notwendigkeit von Absprachen (Gruppengespräche, Planung von Einkäufen etc.) und die damit verbundene Einschränkung in der Tagesgestaltung als Begründung für einen Umzug genannt (IP 1).
Die professionellen Akteur*innen benennen ergänzend dazu die Trennung von Partner*in, den Rückzug in den Heimatort, mit Freund*innen oder Partner*in zusammen leben zu wollen, eine nicht näher bezeichnete Unzufriedenheit oder den Wunsch nach einer anderen Wohnform.
Veränderter Unterstützungsbedarf
In vielen Fällen wird aber von den Menschen mit Behinderung ein veränderter Unterstützungsbedarf als Grund für eine Wohnveränderung angeführt. Eine der befragten Personen mit Behinderung beschreibt eine größere Selbstständigkeit als Grund für einen Umzug in eine ambulante Wohnform (IP 2). Weitaus häufiger wird jedoch ein höherer Unterstützungsbedarf als Ursache für eine (fremdbestimmte) Wohnveränderung benannt. Dies beschreiben sowohl die Personen mit Behinderung als auch professionelle Akteur*innen.
Insgesamt benennen vier der befragten Personen mit Behinderungen einen höheren Unterstützungsbedarf als Grund für ihren Umzug (IP 1, 6, 7, 8). Umzüge wurden in diesen Situationen bei allen vier Personen von anderen Personen (Angehörige, Mitarbeitende aus der Wohneinrichtung oder Ärzt*innen) nahegelegt oder gar entschieden. Auch die professionellen Akteur*innen führen einen veränderten Unterstützungsbedarf als Hauptgrund für eine (fremdinitiative) Wohnveränderung an, wie die folgende Interviewpassage exemplarisch zeigt: »Also dass bei den […] Personen weniger der Wunsch selbst geäußert wurde, ›Ich möchte jetzt umziehen‹, sondern es war eher durch den Unterstützungsbedarf, dass sich das ergeben hat« (MA 2).
Hier wird davon gesprochen, dass sich ein Umzug »ergeben hat«. Diese passive Beschreibung verweist auf eine fast zwangsläufige und unhinterfragte Veränderung. Es sind insbesondere (Bezugs-)Mitarbeiter*innen oder rechtliche Betreuer*innen, die eine Wohnveränderung in Vertretung für die Bewohner*innen, die sich verbal sprachlich kaum oder nicht äußern können, veranlassen.
Die fehlende Passung des Angebots zum Unterstützungsbedarf bezieht sich auf fehlende Nachtwachen, fehlendes Pflegepersonal oder fehlende barrierefreie Räumlichkeiten. Ein Umzug geschieht damit nicht immer auf freiwilliger Basis: »[…] ich habe wohl immer noch was dagegen aber (…), da sind ein bisschen mehr, die mir helfen können […]« (IP 7). Die Entscheidung, umzuziehen, wird damit nicht von der Person selbst veranlasst und scheint alternativlos: »[…] nein, nur die [Mitarbeitenden] haben mir gesagt, es geht nicht mehr anders« (IP 7).
3.2.3 Realisierung der Wohnveränderung
Der Prozess der Realisierung einer Wohnveränderung beinhaltet die Phasen Beratung, Wohnungssuche, Entscheidungsfindung und Umzug oder auch Nicht-Umzug.
Die Frage, ob eine Beratung zu persönlichen Wohnwünschen und einer Wohnveränderung stattgefunden habe, kann nicht von allen befragten Personen mit Behinderungen beantwortet werden (IP 6, 7). Eine Ursache scheint darin zu liegen, dass eine »Wohnberatung« nicht zwangsläufig in einem klassischen Beratungssetting erfolgt ist. So nahmen z. B. Angehörige oder Mitarbeitende eine beratende Rolle ein, ohne dass dies explizit als Beratung ausgewiesen wurde. Jedoch berichtet ein Teil der Interviewpersonen, Unterstützung bei der Wunschermittlung oder der Wohnveränderung durch die Teilhabeberatung erhalten zu haben (IP 1, 3, 5).
Aus Sicht der Interviewteilnehmenden mit Behinderungen wird die Beratung als komplex und herausfordernd beschrieben. So ist von »bürokratendeutsch« (IP 3) die Rede, das nur schwer verständlich sei. Ebenso fühlt sich die ratsuchende Person im Gespräch nicht immer ausreichend einbezogen, wie eine im Interview anwesende Unterstützungsperson die Beratungssituation reflektiert:
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