Joannas Miene zeigt deutlich, dass sie nicht weiß, ob sie sich über meine Einschätzung freuen soll oder nicht.
Betreten sehe ich zu Boden, denn trotzdem ist es zu riskant zu bleiben. Ich muss Joey abschütteln, jedes Aufspüren abwehren. »Es tut mir leid, ich kündige!«
Ich kann spüren, wie mir Tränen in die Augen treten und mache auf dem Absatz kehrt, um zu fliehen – schon wieder.
Zu Hause stelle ich alles aus: Telefon, Handy, Internet. Und weil ich ausnahmsweise keine Lust darauf habe, mich mit dem Gärtner und der Poolfrau zu unterhalten, die heute da sind, sitze ich auf der vorderen Veranda, auf der Schaukel, genieße die Ruhe und warte auf die Kinder.
Dabei lese ich eines der Bücher, die schon seit einer Ewigkeit auf meiner »Musst-du-lesen«-Warteliste stehen und frage mich, ob es dekadent ist, einfach nicht mehr zu arbeiten, nie mehr.
Gerade als ich zu dem Ergebnis komme, ich würde mich vermutlich nach zwei Monaten tödlich langweilen, fährt ein Auto in unsere Sackgasse und hält direkt vor dem letzten Haus, meinem Haus. Leider weiß ich sofort, zu wem es gehört, noch bevor Joey aussteigt. So viel zum Nicht-Aufspüren.
Er sieht sogar noch besser aus als am gestrigen Abend und dieses Mal habe ich keine Probleme unter dem Bart, der gebrochenen Nase und den Jahren den Mann zu erkennen, mit dem ich vor einer Ewigkeit geschlafen habe. Obwohl er so erschreckend hartnäckig ist, kommt er jetzt nur langsam näher, schlendert beinahe, wie um mir Zeit zur Flucht zu geben. Eine Blöße, die ich mir nicht noch einmal geben werde. Kampfbereit stehe ich auf.
»Wieso bist du weggelaufen?«, meint er ohne Begrüßung und ohne die Spur einer wie auch immer gearteten Emotion in der Stimme. Nichts an ihm lässt darauf schließen, warum er hier ist und sich so viel Mühe gegeben hat, mich zu finden.
»Weil ich nicht denselben Fehler machen will wie damals«, gebe ich zu. Ein anderer Fehler, eine andere Blöße.
»Fehler?«, echot er irritiert.
»Dir zu vertrauen oder mit dir einen Abend zu verbringen, eine Nacht«, helfe ich ihm auf die Sprünge.
»Violet.« Er sagt nur ein einziges Wort, schafft es aber, damit bei mir so viele Emotionen auszulösen, dass ich versucht bin, das Buch nach ihm zu werfen.
»Oh, der Herr kennt ja noch meinen Namen, ich fühle mich geschmeichelt«, meine ich, obwohl mein Sarkasmus das Gegenteil sagt.
Joey hat immerhin den Anstand betreten auszusehen. »Ich wollte dir nur sagen, dass du wegen mir nicht deinen Job hinschmeißen musst.«
»Das ist ja nett.« Wieder tropft meine Stimme vor Sarkasmus.
»Du bist gestern gegangen, weil du Angst hattest, ich könnte dich outen oder dir eine Szene machen und deinen echten Namen verraten?«, rät er und sein schwer zu deutender Blick legt sich förmlich auf mich, scheint mich durchleuchten zu wollen. Ich schweige. Die Erklärung ist gut. Glaubwürdig. Und ich könnte meinen Job behalten und mein Leben.
»Okay«, meine ich schlicht und gebe mir extrem viel Mühe dabei, dankbar zu klingen.
Joeys Blick wandert von mir zum Haus und zurück. »Wenn du Geld brauchst …« Er verstummt und spricht das angefangene Angebot nicht zu Ende, lässt seine Vermutung einfach so offen im Raum stehen, dass ich es schon beinahe lustig finde. Schließlich wohne ich nicht in der Bronx, sondern in einem schicken Villenviertel. »Du meinst, ich mache den Job, weil ich Geld brauche?«
Er mustert mich von oben bis unten und wie etwas, was man normalerweise unter einem Stein findet. »Warum sonst?«
»Weil es mir Spaß macht? Weil es ein toller Job ist, mit genialen Arbeitszeiten?«, erkläre ich inbrünstig.
»Es macht dir Spaß, andere zu quälen oder dich quälen zu lassen?«, hakt er nach und sein Blick wird noch abwertender.
»Wovon redest du?«
»Ich habe mir die Seite des Office-Escorts durchgelesen«, erklärt er.
»Und nichts verstanden«, fauche ich. Dabei bin ich selbst überrascht, wie wütend ich bin. Nicht nur wegen damals, sondern auch, weil er mich, meinen Beruf und auch meine erotische Gesinnung herabstuft.
»Du kannst es mir ja ganz privat erklären«, schlägt er vor.
»Ich bin nicht für dich buchbar.« Dieses Mal bin ich diejenige, die abwertend klingt.
»Ich kann ja eine Kollegin nehmen«, meint er. Vielleicht auch in der Hoffnung, mich zu provozieren.
»Nimm Joanna, die ist bestimmt begeistert, wenn sie ihrem Lieblingsserien-Indianer etwas über SM beibringen kann.«
Joey kneift die Augen zusammen, so langsam überträgt sich mein Ärger anscheinend auf meinen ungebetenen Gast. »Wieso bist du so sauer auf mich? Ich bin hergekommen, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe.«
Unwillkürlich ballen sich meine Hände, auch wenn meine Stimme fast ruhig bleibt. »Erstens ist das Wort nicht ‚hergekommen‘ sondern ‚verfolgen‘ und zweitens kommt jede Form von ‚Sorgen‘ Jahre zu spät.«
»Aha, daher weht als der Wind«, meint er hochmütig. Jetzt klingt er genauso, wie ich die letzten Minuten mit ihm in Erinnerung habe.
»Das hat was mit Höflichkeit zu tun. Eine Nachricht hätte gereicht. Aber einfach nach einem lapidaren Kommentar zu verschwinden …« Ich zucke mit den Schultern, als spiele es inzwischen auch keine all zu große Rolle mehr.
»Es war ein One-Night-Stand«, klärt mich Joey, immer noch sehr hochmütig, auf.
Ich verziehe die Lippen zu einem gönnerhaften Lächeln. »Ja, das habe ich dann auch begriffen.«
Joey sieht mich an, als sei ich gestört, überhaupt an mehr gedacht zu haben und ich fühle mich genötigt zu erklären, warum ich so naiv gewesen bin. »Es war mein einundzwanzigster Geburtstag und ich war in dich verliebt, seit ich denken konnte.« Ich seufze bei der Erinnerung, muss dann aber doch fluchen. »Herrgott! Ich war sogar blöde genug, dir meine Unschuld zu schenken.«
Ich habe geglaubt, der Schauspieler würde mich bereits herablassend betrachten, aber ich habe mich geirrt: Jetzt wirkt er herablassend!
»Weißt du eigentlich, wie viele Mädchen das behauptet haben?«, meint er schließlich und seine Tonlage lässt der Fantasie nicht viel Spielraum. Genauso gut hätte er mir ins Gesicht sagen können, dass ich damals gelogen hatte und jetzt lüge.
Mein geduldiges Lächeln ist mindestens ebenso herablassend wie seines. »Schön für dich, dass du so viele jungfräuliche Groupies hattest und jetzt entschuldige mich, ich habe ein Leben.«
Ich mache auf dem Absatz kehrt, um ins Haus zu gehen, obwohl alles in mir danach schreit, ihm einfach die längst überfällige Ohrfeige zu verpassen. Aber ich bin ja gut erzogen worden. Etwas, was ich bei meinen eigenen Kindern wohl vernachlässigt habe, denn gerade als ich würdevoll fast bis zur Tür gekommen bin, stürzen sie sich mit einem wilden »Mama«-Gebrüll von hinten auf mich. Verdammt! Und ich habe sie nicht einmal kommen sehen!
»Entschuldigung, Vio!« Maria hetzt mit den Einkaufstüten im Arm hinter den beiden her und zieht sie mehr oder weniger elegant mit sich ins Haus. Wahrscheinlich in der Ansicht, ich bräuchte Ruhe, um mich mit einem Freund zu unterhalten. Was für ein unglaublich mieses Timing.
»Und du machst es wirklich nicht wegen des Geldes?«, erkundigt sich Joey deutlich sanfter und mitfühlender.
»Fahr zur Hölle!«, wünsche ich ihm und öffne die Tür, um sie direkt hinter mir zuzuknallen. Zumindest ist es das, was ich versuche, denn Joey ist schneller und stellt seinen Fuß in die Tür. »Wie alt sind die beiden?«
»Geht dich doch überhaupt nichts an«, fauche ich. Da ich mich aber an jeden verdammten Hollywoodfilm erinnern kann, in dem es um ähnliche Probleme geht, füge ich hinzu: »Und wenn es dich etwas anginge, ist die Antwort ‚fünf Jahre‘.«
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