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»Ich weiß, dass wir uns nicht so gut kennen, Dusty, aber du hättest dir denken können, dass ich davon nicht begeistern sein würde.« Tristan seufzte und ging in dem kleinen Warteraum auf und ab. »Dir ist schon bewusst, dass das hier derselbe Raum ist, in dem Kory, meine Familie und ich um das Leben meines Bruders gebangt haben, während er operiert wurde, weil er von seinem verdammten Bruder angeschossen worden ist, oder?« Tristan starrte ihn an und deutete mit dem Daumen wütend in Richtung von Davids Krankenzimmer.
Dusty stand auf und hob beschwichtigend die Hände. »Ich weiß, Tris, ich weiß, aber das ist nicht Davids Schuld. Er ist genauso ein Opfer wie Jon.«
Tristan hielt mitten in der Bewegung inne, wandte sich um und starrte ihn an. Dusty konnte sehen, wie sich die Wut in Tristans Augen mit einem Schlag auflöste und sein Körper sich entspannte. Tristan rieb sich mit den Handflächen über die Augen und seufzte. »Das verstehe ich, Dusty, aber das war trotzdem sehr unbedacht von dir.«
Bevor einer von ihnen noch etwas sagen konnte, stieß Megan mit Davids Krankenakte zu ihnen.
Tristan griff nach der Akte und ließ sich in den Stuhl neben Dusty fallen. Dusty streckte den Arm aus und blätterte zur nächsten Seite vor, um Tristan zu zeigen, wie David ausgesehen hatte, als er ins Krankenhaus eingeliefert worden war, doch Tristan schlug seine Hand weg. »Mach dich nützlich und hol mir einen Kaffee. Schwarz, zwei Stück Zucker.«
»Wie bitte?« Megan starrte Tristan finster an.
Er sah nicht einmal zu ihr auf. Stattdessen wedelte er nur mit der Hand. »Nicht Sie, Ma’am, er.« Er wies mit dem Daumen wütend in Dustys Richtung.
Sie folgte Dusty aus dem Raum und stapfte leise fluchend davon, um noch einmal nach David zu sehen.
Tristan sah auf, als Dusty mit zwei Bechern Kaffee zurück in den Warteraum kam. »Nachdem ich das hier gelesen habe«, Tristan wies auf die Akte auf seinem Schoß, »brauche ich, glaube ich, etwas Stärkeres.« Er nahm Dusty einen der Becher ab, bedankte sich und kam direkt zum Punkt. »Ich kann nicht behaupten, je einen Menschen mit derartig vielen Verletzungen gesehen zu haben. Und ich komme aus einer Familie, die mit dem größten Abschaum der Menschheit zu tun hatte.« Er wandte sich zu Dusty um. »Ich habe immer angenommen, dass ‚Halb zu Tode geprügelt’ nur ein geflügeltes Wort ist. Aber dieser arme Junge«, Tristan tippte noch einmal auf die Akte, »wurde im wörtlichen Sinne halb zu Tode geprügelt.« Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee und stellte ihn zu seinen Füßen auf dem Boden ab. »Okay, also er kann sich an den Vorfall nicht erinnern, richtig?«
Dusty nickte.
Tristan blätterte in der Akte nach hinten und deutete auf die Bilder des CT-Scans von Davids Gehirn. »Hier kann man gut erkennen, dass die Schwellung seines Gehirns im Vergleich zu der Nacht seiner Einlieferung zurückgegangen ist. Einige Bereiche sind aber immer noch größer, als sie sein sollten. Wenn die Schwellung weiter zurückgeht, sollte er anfangen, sich zu erinnern.«
Dusty stimmte ihm zu. »Er hatte einen Albtraum und rief nach seiner Mutter, aber als er aufgewacht ist, war er komplett durch den Wind. Ich habe ihn danach gefragt, als er sich wieder beruhigt hat. Er hat mir erzählt, dass er von dem Tag geträumt hat, an dem er seiner Mutter und seinem Bruder gesagt hat, dass er schwul sei. Ich sag’s mal so, sie haben es überhaupt nicht gut aufgenommen. Ich glaube, seine Mutter gehört zu diesen religiösen Fanatikern, die sich aussuchen, welche Teile der Bibel sie glauben wollen, angefangen damit, dass Jesus seinen Jüngern befohlen habe, alle Schwulen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.«
Tristan schnaubte. »Eine von der Sorte, ja? Verdammt, der arme Junge hat einiges durchgemacht, was?«
Dusty war sich sicher, dass es eine rhetorische Frage war, also machte er sich nicht die Mühe, zu antworten.
»Was genau versuchst du hier eigentlich zu erreichen, Dusty?«
Diese hier war nicht rhetorisch. Dusty räusperte sich und entschied sich, Tristan gegenüber ehrlich zu sein. »Ich weiß es selbst nicht genau, Tris. Ich fühle mich … aus irgendeinem Grund zu ihm hingezogen. Ich will ihn beschützen und ich hatte bisher keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Ich weiß nur, er braucht einen Freund, der mit ihm durch dick und dünn geht, und der will ich für ihn sein.«
Tristan beobachtete ihn einen Augenblick lang, sein Gesicht war völlig unbewegt. Schließlich atmete er aus und nickte. »Okay, Dusty, ich werde ihn treffen und mit ihm reden, aber ich kann nichts versprechen.«
Dusty fiel Tristan um den Hals, drückte ihn an sich und dankte ihm überschwänglich.
Tristan lachte, griff nach Dustys Arm und drückte Dusty sanft in seinen Stuhl zurück. »Woah.«
Jetzt lachten sie beide.
»Du weißt schon, dass er auch zustimmen muss, damit ich die Therapie übernehmen kann, oder? Diese Entscheidung können weder du noch ich für ihn treffen.«
Dusty gefiel die Art, wie er das sagte, überhaupt nicht. Er unterdrückte den Impuls, Tristan anzuschreien. Am liebsten hätte er ihm gesagt: Du wirst sein Therapeut, verdammt noch mal. Punkt. Aus. Ende.
»In Ordnung, ich denke, es wird Zeit, dass du mir David vorstellst.« Tristan stand auf und ging auf die Tür zu. Er hielt sie für Dusty auf und folgte ihm dann durch den menschenleeren Flur bis zu Davids Zimmer.
Ein Krankenpfleger baute gerade eine Liege für Dusty auf; David verfolgte jede seiner Bewegungen misstrauisch. Sobald er Dusty bemerkte, verwandelte sich sein Stirnrunzeln in ein Lächeln, seine Augen weiteten sich und er streckte seine zitternden Hände nach ihm aus. »Wer …? Wer ist das?« David griff nach Dustys Hand, sobald sie in Reichweite war, und zeigte mit einem zitternden Finger in Tristans Richtung.
»Alles gut, D. Er ist ein Freund von mir. David, ich möchte dir Tristan vorstellen«, beschwichtigte Dusty ihn.
Tristan stand am Fußende des Bettes, die Hände in den Taschen seiner Jeans. Seine Haltung wirkte entspannt. Dusty nahm an, dass er David damit beruhigen wollte.
»Schön, dich kennenzulernen, Tristan«, sagte David schließlich.
»Ebenso, David«, antwortete Tristan mit einem Lächeln.
»Aber wieso ist er hier, D?«, fragte er.
»Nun, ich bin zugelassener Therapeut, David. Dusty hat mich angerufen und gefragt, ob ich einmal mit dir reden könne, um zu sehen, wie es dir geht, nachdem du einen Teil deiner Erinnerungen verloren hast.«
Dusty beobachtete die beiden, während sie sich unterhielten. Er war beeindruckt, wie unaufdringlich und gleichzeitig direkt Tristan sich gegenüber David verhielt. Seine Stimme war sanft und ruhig, er verwendete keine komplizierten Wörter oder medizinischen Fachbegriffe; er redete mit David wie mit einem Freund. Jeder, der Tristan zum ersten Mal traf, würde nur seine entspannte Haltung und sein freundliches Gesicht sehen, doch Dusty kannte Tristan gut genug, um die Besorgnis zu bemerken, die sich in den Fältchen um seinen Augen zeigte. Er betete, dass Tristan sich bereit erklären würde, David zu helfen, und dass David diese Hilfe auch annehmen würde.
David lachte leise und das Geräusch ließ einen Teil der Anspannung von Dustys Schultern abfallen. »Ja, ich kann mich nicht daran erinnern, was passiert ist und wieso ich hier bin. Ich meine, ich weiß, dass es etwas Übles gewesen sein muss. Ein Autounfall oder vielleicht sogar Schwulenhass.« Seine Augen weiteten sich noch einmal und er wurde rot. Sein Körper begann merklich zu zittern.
Dusty verstärkte den Griff um Davids Hand, bereit, ihn zu beruhigen, als Tristan sagte: »Das ist in Ordnung, David, nichts von dem, was du mir sagst, wird diesen Raum verlassen. Und wenn du dich dadurch besser fühlst: Dusty und ich sind auch beide schwul.« Bei den letzten Worten zwinkerte er ihm zu und David schmunzelte. »War das etwa ein Lächeln?«, scherzte Tristan und deutete auf den Stuhl, den Dusty inzwischen für seinen hielt. »Darf ich mich setzen?« Dusty und David nickten beide, also tauschten Tristan und er die Plätze. Tristan zog den Stuhl noch etwas näher an das Bett heran, während Dusty sich ans Fußende setzte und seine Hand auf Davids Bein legte, um ihm zu zeigen, dass er nicht weit weg und für ihn da war. »Bevor wir anfangen, David, möchte ich dir noch einmal klarmachen, dass du in keiner Weise dazu verpflichtet bist, mit mir zu reden. Ich bin, was das angeht, sehr zuversichtlich und würde mich freuen, dich besser kennenzulernen und dir zu helfen, deine Erinnerungen wiederzufinden und danach mit den Folgen umzugehen. Letzten Endes ist es aber deine Entscheidung, ob ich gehe oder bleibe.« Tristan gab David einen Moment, um seine Worte zu verarbeiten, und unterdrückte den Drang, aufzustöhnen, als er im Augenwinkel Dustys Was-sollte-das-denn-jetzt-Alter-Blick bemerkte.
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