Ich saß in dem Imbiss. Der Tag mündete in eine trübe Dämmerung. Ich rührte in meinem Tee und sah nach draußen, durch die Pockennarben aus Staub und Schmutz auf der Fensterscheibe. Beobachtete, wie die Leute sich vorbeiquälten, wie die Welt sich vorbeiquälte. Ich hatte keine Kopfschmerzen, meine Gedanken waren klar. Eine Frage nagte an meinem Verstand: Warum ich?
Ich hatte den Job angenommen, weil es nur ein Job war, und ich war nur irgendein Mistkerl, der nichts mit den Vorbereitungen zu tun hatte, der einfach nur die Drecksarbeit erledigte und einen kleinen Anteil bekam. Alles, was ich zu tun hatte, war Warren Angst einzujagen, ihn ein paar Mal herumzuschubsen und mich dann für eine Weile zu der Frau zu setzen. Beckett hatte seine gewohnte Crew um sich, und der Job selbst, soweit ich das beurteilen konnte, schien leicht genug. Simpson hätte sich um Warren kümmern können. Wieso brauchten Sie mich dafür? Und warum brauchten sie überhaupt jemanden, der sich neben die Frau setzte? Sie war gefesselt gewesen, und Warren war sich sicher, dass sie in Gefahr war. Sie hätten sie sich selbst überlassen können. Das Haus stand frei, niemand hätte sie gehört. Noch besser wäre gewesen, sie an einen verlassenen Ort zu bringen und sie dort zurückzulassen.
Es war dunkel geworden. Nieselregen schwebte durch die kalte Luft. Der Verkehr, der Himmel und die Gebäude wirkten träge, die wenigen Leute, die durch die Straßen stapften, hielten die Köpfe gesenkt, ihre Mäntel eng um sich geschlungen.
Ich lief an ein paar Wohnblocks vorbei bis zu dem mehrgeschossigen Parkhaus, wo ich meinen Vauxhall Carlton mit einer Langzeit-Parkerlaubnis untergestellt hatte. Ich schaute, ob noch genügend Benzin im Tank war und klapperte ein paar Orte im Norden von London ab.
Der dritte Ort, an dem ich mein Glück versuchte, war ein Pub, der Earl of Roxburghe in Enfield. Jedermann nannte es das Roxie. Als ich hereinkam, saß Kendall allein mit einem Glas Wodka-Tonic in einer Nische. Er nippte an seinem Drink, rührte die Eiswürfel mit seinem Finger um, nippte wieder und stellte das Glas vorsichtig auf den Tisch. Als er aufblickte und mich da stehen sah, grinste er breit. Er zog eine Zigarre aus dem Päckchen auf dem Tisch, zündete sie an und inhalierte tief. Er blies den Rauch aus und sagte: »Ich wollte dich anrufen. War beschäftigt. Bei dir alles in Ordnung?«
Ich nickte.
»Gut. Gut.«
Er zog wieder an seiner Zigarre, dann bemerkte er das Bitte-Nicht-Rauchen -Schild an dem Fenster neben ihm.
»Scheiße.« Er ließ die Zigarre auf den Boden fallen und trat sie aus. »Ich hasse diesen elenden Nichtraucher-Schwachsinn. Setz dich.«
Kendall trug einen teuren Anzug, aber an ihm sah er billig aus. Ich setzte mich ihm gegenüber und wartete. Er sah das Glas Wodka-Tonic vor sich an und stieß mit dem Finger dagegen, als hätte er vergessen, wofür der Drink da war.
»Hab gehört, dass du nach mir suchst«, sagte er. »Was ist los?«
Ich wartete. Er zündete sich noch eine Zigarre an, erinnerte sich an das Schild, fluchte und warf die Packung weg.
Ich wusste, dass ich es auf die subtile Art versuchen sollte. Darauf reagierten die Menschen besser, wie ich gelernt hatte. Das Problem war nur, dass ich nie verstanden hatte, was das genau bedeutete. Subtil zu sein erschien mir als reine Zeitverschwendung. Es bedeutete nichts anderes, als viel zu lang um den heißen Brei herumzureden. Ich überlegte, wie ich es subtil anstellen könnte, dann gab ich es auf und fragte: »Wo ist mein Geld?«
Kendall nahm einen Schluck von seinem Drink, und während er schluckte, schüttelte er den Kopf. Nach dieser Vorstellung sagte er: »Was ist los mit dir? Hast du nicht immer dein Geld gekriegt?«
»Ja.«
»Natürlich hast du das. Wo also ist das verdammte Problem? Es gibt eine kleine Verzögerung. Nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.«
Er nahm den Umweg, um mir zu sagen, dass er das Geld nicht hatte. Vielleicht war er gerade subtil.
»Wo ist es?«
»Ich weiß es nicht. Beckett ist verschwunden. Ich kann den Wichser nicht finden.«
»Was ist mit den anderen? Walsh, Jenson?«
»Ich hab versucht, sie zu erreichen. Sieh mal, ich kenne Beckett. Der ist in Ordnung. Wenn er sich Zeit lässt, dann wird das einen Grund haben. Vielleicht hat er Probleme, das Geld sauber zu bekommen oder so was.« Er klopfte mit einem fleckigen Zeigefinger auf die Tischplatte, so als wollte er überprüfen, ob sie aus Holz war. »Hör zu«, sagte er. »Ich bezahle dich aus eigener Tasche. Ich meine, schließlich habe ich den Job an Land gezogen, richtig? Ich hole es mir später von Beckett zurück. Okay?«
In dem Moment wusste ich, dass etwas faul war. Sicher, es war Kendalls Art, einen hinzuhalten, wenn sich etwas verzögerte, aber sein eigenes Geld rausrücken? Vergiss es.
»Ich bringe es dir nachher vorbei«, sagte er. »Wohnst du immer noch bei diesem Pakistani? Tottenham High Road, richtig?«
»Bin umgezogen.«
»Wirklich?« Er hörte auf, auf die Tischplatte zu klopfen. »Wohin?«
»Nach oben. Nummer fünfzehn.«
»Dann bringe ich es nachher vorbei. Hey, du hattest noch gar nichts zu trinken.«
Er stand auf.
»Ich hab keinen Durst.«
Er zögerte, schien sich nicht wieder hinsetzen zu wollen.
»Ich muss mal eben pissen«, sagte er. »Warte kurz, okay?«
Er schwankte ins hintere Ende des Pubs. Hatte wohl ein paar Drinks mehr, als ich angenommen hatte. Während ich wartete, dachte ich nach.
Es war schon möglich, dass Kendall besorgt war, dass Beckett geschnappt worden oder in Schwierigkeiten geraten war und ihn vielleicht verpfiff. Möglich, aber unwahrscheinlich. Kendall war nicht wichtig genug, um sich Sorgen zu machen, und mit Sicherheit war es ihm scheißegal, wenn man mich schnappen würde. Glaubte er, dass sich Beckett mit der Kohle aus dem Staub gemacht hatte? Wieder – möglich aber unwahrscheinlich. Dann hätte er meinen Anteil in den Sand gesetzt, aber das war nicht so viel Geld, als dass es ihn groß gekümmert hätte.
Ich drehte mich um, musterte den Pub. Es war beinahe acht, viel zu früh für die Stammgäste. Ein paar Männer waren da, keine Frauen. Die meisten saßen in Zweier- oder Dreiergruppen zusammen, aber ein Mann saß allein am Ende der Bar, so weit wie möglich von mir entfernt. Mir fiel auf, dass Kendall die Nische am hintersten Ende gewählt hatte und mit dem Rücken zur Wand saß, sodass er den ganzen Pub im Blick hatte. Außerdem saß er am äußeren Rand der Bank, im Gang, um zu verhindern, dass ich mich neben ihn setzte. Der Mann an der Bar war riesig, mit wuchtigem Oberkörper und trainierten Armen. Vor ihm stand ein großes schmales Glas mit einer klaren Flüssigkeit darin. Vielleicht Wasser. Was immer es war, er trank nichts davon. Er hatte die Ellbogen auf den Tresen gelegt, und mit einer Hand hielt er das Glas, das er ab und an ein wenig ankippte, damit er darauf hinabsehen konnte.
Kendall kam zurück in die Nische. Er schwitze jetzt noch mehr.
Versuchsweise subtil sagte ich: »Hab noch nichts von Nathan King gehört.«
Er antwortete nicht darauf.
Ich fragte: »Hast du was für mich zu tun?«
»Nein, Joe. Nichts. Im Moment passiert nicht so viel.«
Читать дальше