Er sah wieder auf den Tisch.
Ich stand auf und konnte förmlich spüren, wie die Anspannung von ihm abfiel.
»Und du willst wirklich nichts trinken?«, fragte er.
»Nein.«
Kendall hatte Angst. Mehr noch, er hatte Angst vor mir. Jemand hatte ihn angerufen und ihm gesagt, dass ich nach ihm suchte, oder er hatte seinen Anrufbeantworter abgehört. Dann hatte er sich einen schönen, sicheren Platz in der Öffentlichkeit zum Warten gesucht, mit einem freundlichen Leibwächter, der auf ihn aufpasste.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Kendall. »Wegen dem Geld.«
Ich verließ den Pub, stieg in meinen Wagen und fuhr ein paar hundert Meter die Straße rauf. Dann wartete ich und beobachtete den Eingang des Pubs durch den Rückspiegel. Kendall und der andere Typ kamen ein paar Minuten später heraus. Sie blieben im Licht der Fenster stehen und wechselten ein paar Worte, dann trennten sie sich. Kendall ging zu seinem Auto und fuhr davon. Ich folgte ihm. Nach einer Minute wusste ich, dass er nach Hause fuhr. Ich lehnte mich zurück und ließ ihn davonfahren.
Er wohnte in einem einzelnen Pseudo-Tudor-Haus in Palmers Green. Es war nichtssagend genug, um nach Geschäftsmann auszusehen, aber auch groß genug, damit man sah, dass er Geld hatte. Er lud mich nie ein, hatte mir tatsächlich auch nie verraten, wo er wohnte. Ich entschied eines Tages, es selber rauszufinden. Für alle Fälle.
Als er die Tür öffnete, sagte er: »Urgh.«
Ich stürmte hinein und schob ihn zurück, trat die Tür hinter mir zu und bugsierte ihn durchs Haus.
Er versuchte, seine Arme freizubekommen. »Was zur Hölle tust du da?«
Das Wohnzimmer war riesig, vollgestellt mit alt aussehenden Möbeln, Kunstdrucken mit Jagdszenen, diesen Staffordshire-Hundefiguren und solchen Sachen. Es gab einen weißen Flokati, zwei dick gepolsterte Ledersofas und eine Esszimmergarnitur. Kendalls Frau hielt ihn wahrscheinlich für einen Börsenmakler oder so etwas. Ich ließ seinen Arm los.
»Was soll das Ganze?«, fragte er und rieb sich seinen Oberarm. »Ich sagte doch, ich besorge dir dein Geld.«
»Setz dich.«
Er setzte sich an den kleinen Esstisch.
»Ich sitze. Zufrieden?«
Ich packte ihn und schubste ihn durch den Raum. Er fiel auf ein niedriges Sofa. So langsam wirkte er besorgt.
»Hör mal …«
»Wo ist deine Frau?«
»Aus. Beim Bingo. Also, ich weiß nicht, was das …«
»Wer war der Kerl?«
»Welcher Kerl?«
»Der Typ im Roxburghe.«
Sein Körper sackte in das Sofa.
»Einer meiner Jungs. Heißt Robson.«
»Wozu ein Leibwächter?«
Er rutschte auf dem Sofa herum, suchte nach einer angenehmeren Position und, wie ich glaubte, versuchte Zeit zu gewinnen. Er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und beugte sich nach vorn. Ich lief hinüber zu dem Barschränkchen und nahm die Flasche mit Wodka, schenkte ein Glas ein und hielt es ihm hin. Er trank es schnell aus und streckte es mir für einen zweiten entgegen. Ich goss ihm noch einen ein.
»Hör zu, bleib einfach locker, okay?«
Ich warte und sah ihm dabei zu, wie seine Augen zwischen mir und der Eingangstür hin und her zuckten.
»Das ist nichts Persönliches, Joe«, sagte er schließlich und leckte sich über die Lippen. »Wir haben schon eine Menge Jobs zusammen erledigt, oder?«
»Wozu ein Leibwächter?«, fragte ich noch einmal.
»Hast du es nicht gehört?«
»Was?«
»Der Typ«, sagte er. »Der bei eurem Job dabei war.«
»Da waren fünf von uns dabei.«
»Der neue, dieser Schrank.«
»Simpson?«
»Ja, Simpson.«
Er wusste verdammt gut, wer bei dem Job dabei war. Jetzt spielte er den Vergesslichen. Das machte mich stutzig.
»Was ist mit ihm?«, fragte ich.
»Er ist tot.«
»Wie? Wann?«
»Vor drei Tagen. Der Tag nach dem Job.«
»Wo?«
»Bei sich Zuhause. Haben ihn totgeschlagen.«
Der Job entpuppte sich als totales Desaster, wie man es auch drehte und wendete.
»Wer war das?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Was weiß die Polizei?«
Er kippte sich den letzten Rest Wodka die Kehle hinunter und klopfte seine Taschen nach einem Feuerzeug ab. Ich entdeckte ein paar Streichhölzer auf dem Tisch und warf sie ihm zu.
»Beckett, Walsh, Jenson«, sagte ich, nachdem er sich seine Zigarre angezündet hatte.
»Keine Ahnung, was mit denen ist. Die sind verschwunden.«
Er blies den Rauch aus.
»Wohin?«
»Weiß ich nicht. Hab nicht wieder von ihnen gehört.«
»Das Geld?«
»Nun, wenn du es nicht hast, dann hat's Beckett. Oder auch nicht. Keine Ahnung.«
»Was soll das heißen, wenn ich es nicht habe? Ist es das, was du denkst? Dass ich Beckett abgezogen und Simpson umgelegt habe?«
»Ich denke gar nichts. Herrgott, wir haben lange genug zusammengearbeitet, oder?«
»Trotzdem wolltest du mich nur mit Leibwächter treffen.«
»Hör mal …«
»Vergiss es. Wenn Beckett verschwunden ist, wieso denkt dann keiner, dass er mit dem Geld abgehauen ist? Er könnte Simpson umgebracht haben.«
»Na ja, er ist der Hauptverdächtige. Aber …«
»Aber was?«
»Das ist nicht alles.«
Er zögerte und zog an seiner Zigarre. Asche fiel ihm in den Schoß.
»Weiter.«
»Diese andere Gang. Wie hieß er noch? Dieser schwarze Typ. Ellis.«
»Was ist mit denen?«
»Man hat sie ausgenommen.«
Zuerst verstand ich nicht, was er meinte, aber dann kapierte ich es.
»Das Ding in Brighton? Das war vor vier Wochen. Damit hatte ich nichts zu tun.«
»Du hast mit ihnen an dem Job davor zusammengearbeitet.«
Mir lief es kalt über den Rücken.
»Das war der Job zuvor.«
»Die nehmen nie einen von außen dazu. Aber dann tun sie es ein einziges Mal, und beim nächsten Job werden sie aufs Kreuz gelegt.«
Sie hatten mich das eine Mal dazu geholt, weil Caine total im Arsch war, nachdem seine Frau ihn einfach so sang- und klanglos verlassen hatte. Nach dem Job in Brighton hatten sie einen Haufen Bargeld abgezogen, aber dann wurden sie von einer unbekannten Truppe überfallen. Jemand hatte ihnen von dem Bargeld erzählt. Ich hatte mir gedacht, dass Caine vielleicht geplaudert hatte, vielleicht gegen etwas Heroin, aber nachdem er und zwei andere von einer Kaliber 12 auseinandergerissen wurden, schätzte ich, dass es niemand wirklich erfahren würde. Es gab keinen Grund, das alles Kendall zu erzählen. Ihn musste ich nicht überzeugen. Ich sah ihn an und er zuckte wenig überzeugend mit den Schultern.
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