2. Rechtswidrig erlangte Erkenntnisse aus dem Aufsichtsverfahren
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Wurden im Aufsichtsverfahren Erkenntnisse in rechtswidriger Weise erhoben, findet die Verwendungsregelung des § 161 Abs. 3 StPO keine Anwendung.[44] Vielmehr ist nach den allgemeinen Regeln über die Verwertbarkeit von rechtswidrig erlangten Beweismitteln zu entscheiden.[45]
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Beispiel
Der Verpflichtete erlangt wegen der Stärke des gegen ihn gerichteten Tatverdachts bereits im Aufsichtsverfahren die Stellung eines Betroffenen. Gleichwohl belehrt ihn die BaFin nicht über sein Schweigerecht gem. § 6 Abs. 15 S. 1 WpHG. In der Folge erteilt der Verpflichtete Auskunft nach einem Auskunfts- und Vorlageersuchen gem. § 6 Abs. 3 WpHG. Die Auskunft des Verpflichteten ist im Bußgeldverfahren(nach Verwertungswiderspruch) unverwertbar.[46] Der Verstoß gegen die Schweigerechtsbelehrung wiegt so schwer, dass dieser zur Unverwertbarkeit der erlangten Aussage im Bußgeldverfahren führt. Beweisverwertungsverbote sind ungeachtet eines späteren Verwertungswiderspruchs von Amts wegenim Ermittlungsverfahren zu berücksichtigen.[47]
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Allerdings werden unverwertbare Beweismittel in der Regel als Ermittlungs- bzw. Spurenansatzim Bußgeldverfahren verwendet werden können.[48]
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Beispiel
Die im obigen Beispiel unverwertbaren Angaben des Betroffenen können als Spurenansatz für weitere Ermittlungen verwendet werden, um andere belastende und rechtmäßig erhobene Beweismittel zu ermitteln.
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Etwaige Belehrungsfehler im Aufsichtsverfahren können – entsprechend der Rechtsprechung im Strafverfahren[49] – im Bußgeldverfahren geheiltwerden. Voraussetzung ist eine qualifizierte Belehrung. Qualifiziert ist die Belehrung, wenn dem Betroffenen zusätzlich zur Belehrung gem. § 136 Abs. 1 S. 2 StPO verdeutlicht wird, dass seine vorherige Aussage im Aufsichtsverfahren aufgrund des Belehrungsverstoßes nicht verwertet werden kann.[50]
Der verteidigte Betroffene muss der Verwertung eines Beweismittels in relevanten Fällen (z.B. beim Verstoß gegen die Schweigerechtsbelehrung) in der Hauptverhandlung (vgl. § 257 StPO) widersprechen (sog. Verwertungswiderspruch).[51]
B. Aufgaben der BaFin im Ermittlungsverfahren
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Sobald im aufsichtsrechtlichen Verfahren zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Ordnungswidrigkeit vorliegen ( Anfangsverdacht), kann der Vorgang im Bereich Wertpapieraufsicht/Asset-Management dem Referat WA 17zugeschrieben werden. Je nach Fallkonstellation wird es das jeweilige Fachreferat indes bei einer aufsichtsrechtlichen „Ermahnung“gegenüber dem Verpflichteten belassen können, ohne das Verfahren an das Bußgeldreferat abzugeben.
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Obgleich ein Anfangsverdacht von den Fachreferaten der BaFin[52] bejaht und der Vorgang dem Bußgeldreferat zugeschrieben wurde, wird nicht zwangsläufig ein Bußgeldverfahren gegen den Verpflichteten einzuleiten sein. Im Unterschied zum Strafverfahren schafft die in das pflichtgemäße Ermessengem. § 47 Abs. 1 S. 1 OWiG der BaFin gestellte Verfolgungskompetenz eine Verfolgungs erlaubnis, keinen Verfolgungszwang.[53]
1. Absehen von der Verfahrenseinleitung
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Als Ausfluss des im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Opportunitätsgrundsatzeskann die BaFin von der Einleitung des Verfahrens aus Zweckmäßigkeitserwägungen absehen oder nach Verfahrenseinleitung jederzeit einstellen, § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG. Die Gründe dafür können unterschiedlicher Natur sein. Die Nichteinleitung des Bußgeldverfahrens bzw. dessen Einstellung gem. § 47 Abs. 1 S. 2 OWiG kann aus deliktsbezogenen, generalpräventivenund spezialpräventiven Gründensachgerecht sein.[54] Zumeist wird eine Zusammenschau mehrerer Gründefür eine Einstellung sprechen.[55] Eine Auswahl möglicher Erwägungen:
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Kein schwerwiegender Erstverstoß |
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Keine Wiederholungsgefahr, insbesondere bei bevorstehenden oder bereits durchgeführtem Delisting nach Verletzung von Emittentenpflichten |
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Verspätete Mitteilungspflichten werden nach Tatvollendung zeitnah nachgeholt |
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Verfolgung von Bagatell- oder bloßen Formalverstößen[56], durch die die Integrität des Kapitalmarktes zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt war |
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Unklare Sachlage, sodass der erforderliche Ermittlungsaufwand nicht im Verhältnis zur Sanktionserwartung stünde |
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Unklare Rechtslage, wenn infolgedessen die Vorwerfbarkeit gering erscheint[57] |
2. Einheitliches oder selbstständiges Verfahren
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Auch juristischen Personen und Personenvereinigungen können im Bußgeldverfahren als Nebenfolgeeiner Ordnungswidrigkeit Rechtsnachteile erleiden. Im Bußgeldverfahren der BaFin droht betroffenen Gesellschaften in erster Linie die Verhängung einer Verbandsgeldbuße[58] gem. § 30 OWiG.[59] Die Verhängung der Verbandsgeldbuße kann in zwei Verfahrensweisen vorgenommen werden. Die BaFin hat eine Wahlmöglichkeit:[60]
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Ahndung im einheitlichen Verfahren, d.h. die Verbandsgeldbuße gegen die Gesellschaft wird im Bußgeldverfahren gegen den Täter der Anknüpfungstat in einem einheitlichen Bußgeldbescheid verhängt, § 30 Abs. 1 OWiG. |
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Ahndung im selbstständigen Verfahren, d.h. die Verbandsgeldbuße wird gegen die Gesellschaft als Nebenbeteiligte verhängt, § 30 Abs. 4 OWiG, ohne dass zusätzlich der Täter der Anknüpfungstat bebußt wird. |
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Das selbstständige Verfahren ist nachrangig, d.h. es darf nur dann durchgeführt werden, wenn das Verfahren gegen den Vertreter der Gesellschaft nicht eingeleitet, von einer Ahndung abgesehen oder das Verfahren eingestellt worden ist (§ 30 Abs. 4 S. 1 OWiG). Unzulässigwäre daher die Verfolgung von Betroffenen und betroffener Gesellschaft in getrennten Verfahren.[61] Wurde also zunächst nur gegen das Organ der betroffenen Gesellschaft ein Bußgeldverfahren geführt und wurde das Verfahren mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid abgeschlossen, ist die nachträgliche Verhängungder Verbandsgeldbuße ausgeschlossen.[62]
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Das Bußgeldverfahren wird nicht „gegen“ die Gesellschaft geführt. Diese bleibt im selbstständigen Verfahren prozessual vielmehr der Verfahrensstellung einer Nebenbeteiligtenangenähert,[63] obwohl kein Verfahren gegen einen Betroffenen als „Hauptbeteiligten“ geführt wird. Die Bezeichnung „Nebenbeteiligte“ ist aus diesem Grund unpräzise, weshalb in der Rechtsprechung nach § 30 OWiG sanktionierte Unternehmen im selbstständigen Verfahren gleichwohl als Betroffene[64] oder als Nebenbetroffene[65] bezeichnet werden. Auch die BaFin erfasst in ihren WpHG-Bußgeldleitlinien alle an den Zuwiderhandlungen beteiligte Personen (auch Unternehmen) begrifflich als „Betroffene“[66]. In anderen Veröffentlichungen verwendet sie zum Teil den Begriff der „betroffenen Gesellschaft“.[67] In prozessualer Hinsicht ist die fehlerhafte Bezeichnung folgenlos: Nach OLG Hamm führt die terminologisch ungenaue Bezeichnung der juristischen Person als „Betroffene“ nicht zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids.[68]
Dass juristische Personen und Personenvereinigungen im Gesetz als Nebenbeteiligte bezeichnet werden (vgl. § 66 Abs. 1 N. 1 2. Var. OWiG), liegt zum einen daran, dass Unternehmen nach bisherigem Verständnis nicht Täter oder Teilnehmer von Ordnungswidrigkeiten sein können. Zum anderen dürfte dies mit der Grundannahme des Gesetzgebers zusammenhängen, nach der die Verbandsgeldbuße in der Regel im einheitlichen Verfahren verhängt werden soll, in dem Unternehmen lediglich (neben-)beteiligt (vgl. § 444 Abs. 1 StPO; § 470 StPO) werden.[69]
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