Trotz dieses Mangels einer fehlenden Beachtung von Teilhabe wird in der Tabelle deutlich, dass die Ermittlung des Bedarfes in der Eingliederungshilfe wesentlich breiter und umfassender aufgestellt ist als die Ermittlung von Pflegebedürftigkeit. Dies zeigt sich auch in den Raumbezügen, die bei der Pflegebedürftigkeit wiederholt explizit dargelegt werden. So wird beispielsweise im Modul »Mobilität« nicht die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeit im Fortbewegen als solche beurteilt, sondern lediglich das Fortbewegen innerhalb des Wohnbereiches. Ebenso ist das Erkennen von Personen im Modul »kognitive und kommunikative Fähigkeiten« auf das Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld beschränkt. Die ICF kennt eine solche Beschränkung auf den eigenen Wohnbereich oder das nähere häusliche Umfeld nicht.
Pflegebedürftigkeit ist demnach ein Teil der Bedarfsermittlung in der Eingliederungshilfe: »Behinderung und Pflegebedürftigkeit sind daher nicht deckungsgleich. Ein Mensch mit Behinderung ist nicht zwingend auch pflegebedürftig im Sinne von SGB XI, andererseits ist ein pflegebedürftiger Mensch im Sinne von SGB XI in der Regel auch an der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt. Pflegebedürftigkeit ist daher ein Teil vom weitergehenden Begriff Behinderung, sodass pflegebedürftige Menschen im Grunde auch teilhabeberechtigt 22 im Sinne von SGB IX sind« (Kuhn-Zuber, 2018b, S. 870).
2.2.1 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit und Behinderung
Jeder der vorgestellten Bereiche (Module) nach § 14 SGB XI repräsentiert Probleme in der Selbstständigkeit. Die Lösung dieser Probleme erfordert »pflegerische Aufgaben und Hilfen, die entlang des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs […] bzw. der in den Modulen und Kriterien des Instruments angesprochenen Bedarfskonstellationen beschrieben werden können« (Wingenfeld und Büscher, 2017).
Diese pflegerischen Aufgaben und Hilfen sind nachfolgend in Anlehnung an § 14 SGB XI in der Bearbeitung von Wingenfeld (Wingenfeld und Büscher, 2017, S. 18 ff.) dargestellt. D. h. es wird die Frage beantwortet, welche Maßnahmen auf der Grundlage des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs »Pflege« ist. Eine leistungsrechtliche Zuordnung der einzelnen beschriebenen
Hilfen und Maßnahmen ist mit der Darstellung nicht verbunden.
Bereich 1: Mobilität
Hilfen
• bei Lagerungen und beim Transfer (Ganzkörper-, Teilkörperlagerung, Unterstützung beim
• Aufrichten, beim Ein- und Aussteigen aus dem Bett und beim Umsetzen in verschiedenen Situationen)
• beim Stehen, Gehen, Treppensteigen und bei der Fortbewegung im Rollstuhl
• beim Gebrauch von Hilfsmitteln
• bei der Durchführung von ärztlich/therapeutisch angeordneten Bewegungsübungen
• bei der außerhäuslichen Mobilität, zum Beispiel Begleitung bei Friedhofsbesuchen oder Spaziergängen. Angesprochen sind die bei den bisherigen niedrigschwelligen Angeboten angesiedelten Leistungen (jetzt: Angebote zur »Unterstützung im Alltag«)
Aufklärung, Beratung, Anleitung
• Aufklärung, Beratung, Anleitung des Pflegebedürftigen im Bereich der Mobilität
• Aufklärung, Beratung, Anleitung der pflegenden Angehörigen im Bereich der Mobilität
Zielgerichtete Ressourcenförderung
• Durchführung spezifischer Maßnahmen zur Förderung der Mobilität, bspw. zur Verbesserung von Körperkraft, Balance, Koordination, Beweglichkeit oder Ausdauer. Einschließlich Förderung der Motivation des Pflegebedürftigen zur Eigenaktivität im Bereich der Mobilität.
• Aufklärung, Beratung, Anleitung des Pflegebedürftigen zur Durchführung mobilitätsfördernder Maßnahmen.
Bereich 2: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
Hilfen
• zur besseren Orientierung, Deutungs- und Erinnerungshilfen in Form von Verbalisierungen zur Unterstützung der örtlichen, zeitlichen und situativen Orientierung, der Personenerkennung und des Erinnerns sowie in Form von Erläuterung von Wahrnehmungen und Sachverhalten/Informationen, einschließlich Begleitung bei Aktivitäten wie Nachrichtenschauen/-hören etc.
• beim Gebrauch von Hilfsmitteln zur Unterstützung von Wahrnehmung und Orientierung, wie körpernahe Hilfsmittel (Brille, Hörgerät), orientierungsfördernde Hilfsmittel (Kalender, Uhr, farbliche Kennzeichnung), Gegenstände in den Räumen
• bei der Kommunikation mit anderen Personen einschließlich der Nutzung von alternativen Kommunikationsmitteln (Tafel, Papier, Stift, Computer) und Anregung/Ermutigung zur Kommunikation und zur Beteiligung an Gruppenaktivitäten, zum Erzählen von Ereignissen/Beobachtungen, zum Verbalisieren von Wünschen/Ängsten
• Ansprache in Form von aktivem Interagieren mit dem Pflegebedürftigen (aktives Zuhören, Eingehen auf Aussagen/Wünsche/Äußerungen des Pflegebedürftigen)
• Präsenz wie Anwesenheit (»aktive Präsenz«) und Erreichbarkeit für den Pflegebedürftigen, um bei Bedarf Hilfe zu leisten, aber ohne konkrete Unterstützung zu leisten. Besonders bei kognitiv beeinträchtigten Menschen kann Präsenz in großem Umfang erforderlich sein, weil immer wieder unvorhersehbarer Bedarf auftritt.
Aufklärung, Beratung, Anleitung
• der pflegenden Angehörigen bei den oben genannten Maßnahmen
• der Pflegebedürftigen bei der Nutzung von technischen Mitteln und Hilfsmitteln
Zielgerichtete Ressourcenförderung
• biografieorientierte kognitive Förderung, Gedächtnistraining, Konzentrationsübungen/-spiele
Bereich 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
Umgebungsbezogene Maßnahmen
• Identifizierung und Veränderung von verhaltenswirksamen Umgebungsfaktoren
• Schaffung einer sicheren, bedürfnisgerechten Umgebung (Entfernung von Verletzungsquellen, Verfügbarkeit vertrauter Gegenstände usw.)
Unmittelbar verhaltensbezogene Maßnahmen
• Verhaltensbezogene Verbalisierungen wie auf Verhaltensweisen aufmerksam machen, motivieren, Alternativen anbieten, reflektieren etc.
• Einwirken auf aktuelle Verhaltensweisen, Maßnahmen zur Vermeidung von selbstverletzendem Verhalten, Schlichtung von Konflikten zwischen zwei bzw. mehreren Parteien, Förderung der Akzeptanz von Hilfsmitteln und Systemen (z. B. liegenden, ableitenden Systemen [Sonde, Stoma, Blasendauerkatheter], Inkontinenzmaterialien), Umgang mit Impulsivität.
• Entlastende Maßnahmen (z. B. Minderung von Ängsten, Motivation zur Verbalisierung negativer Empfindungen) und Kriseninterventionen
• Einzelbetreuung
Alltagsgestaltung
• Beratung zur Vermeidung von überfordernden Situationen
• Einbindung in Beschäftigungsangebote und andere Aktivitäten im Alltag (Musik hören, Bastelangebote, Spazierengehen, sonstige körperliche Betätigung) 23
• Hinwirken auf einen regelmäßigen Schlaf-/Wachrhythmus, beispielsweise ruhige Schlafumgebung gewährleisten, nächtliche Störungen minimieren, Möglichkeiten der Entspannung bieten, Aufforderung zum Einhalten der Schlaf-/Wachphasen, Wecken zu bestimmter Uhrzeit.
• Nutzung von Maßnahmen zur Spannungsreduzierung (Entspannungsübungen)
• Förderung positiver Emotionen beispielsweise durch Unterstützung im Umgang mit Tieren (z. B. bei Antriebslosigkeit)
Aufklärung, Beratung, Anleitung der pflegenden Angehörigen
• mit dem Ziel der Entlastung
• mit dem Ziel der Kompetenzerweiterung
Bereich 4: Selbstversorgung
Hilfen im Bereich der Ernährung
• bei der Einnahme von Mahlzeiten/Getränken einschließlich Vorbereitung der Nahrung/Getränke, Aufstellung in greifbarer Nähe des Pflegebedürftigen,
• Anreichen der vorbereiteten Nahrung/Getränke im Bett/Stuhl.
• bei der Nahrungsaufnahme über eine Sonde
• bei speziellen Maßnahmen im Bereich der Ernährung wie der Durchführung einer verordneten Diät, medizinisch induzierte Gewichtszunahme durch hochkalorische Nahrung, Einhaltung einer Nahrungskarenz u. ä.
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