Die informierte EinwilligungserklärungEinwilligungserklärung sollte grundsätzlich auch auf die Tatsache aufmerksam machen, dass die Teilnahme an der Studie jederzeit (während und auch nach der Datenerhebung) ohne weitere Erklärung zurückgezogen werden kann; zu diesem Zweck sollte der Forscher/die Forscherin die entsprechenden Kontaktinformationen bereitstellen. Darüber hinaus müssen die Forschungspartner und -partnerinnen über die weitere Verwendung der Daten informiert werden. Dazu gehört, dass sie vor ihrer informierten Einwilligungserklärung erfahren, wie lange die Daten verwahrt werden, wer Zugang zu den Daten hat und in welcher Form die Daten in Publikationen oder Vorträgen präsentiert werden.
Darüber hinaus sind ethische Prinzipien auch dann zu bedenken und in den entsprechenden Publikationen zu thematisieren, wenn Zweifel bestehen, inwieweit die Forschungspartner und -partnerinnen in der Lage sind, die Einwilligungserklärung zu verstehen. Dies ist in der Fremdsprachenforschung in sprachlicher Hinsicht insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Migranten und Migrantinnen von Bedeutung, denen die Einwilligungserklärungen bei entsprechenden Zweifeln in ihrer Erstsprache vorgelegt oder mündlich in der Erstsprache erläutert werden sollten. Doch auch konzeptuelle Verständnisschwierigkeiten schutzbedürftiger Gruppen wie beispielsweise schriftunkundiger Zweitsprachlernender, Kinder, dementer oder kognitiv beeinträchtiger Personen sind ggf. zu reflektieren und angemessen zu berücksichtigen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren sind darüber hinaus ebenfalls die Eltern um ihre Einverständniserklärung zu bitten; bei Untersuchungen in Schulen ist beim entsprechenden Kultusministerium eine Genehmigung zu erwirken, was in der Regel einen längeren zeitlichen Vorlauf von mehreren Monaten erfordert.
Noch virulenter sind solche ethischen Problemlagen häufig bei InternetforschungInternetforschungen, bei denen schwerer zu beurteilen ist, ob die Forschungspartner und -partnerinnen die Informationen zum Forschungsvorhaben tatsächlich verstanden haben und ob sie in der Lage oder alt genug sind, ihre Einwilligung zu erklären. In solchen Fällen gewinnen nach Eynon/Fry/Schroeder (2008) Bemühungen um eine verständliche Sprache und ggf. auch online-Verständnistests besondere Bedeutung. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch, dass Beobachtungsstudien in virtuellen Welten wie Second Life oder bei der Teilnahme an Chatgroups mit derselben ethischen Reflexion wie auch in der realen Welt anzugehen sind (ebd.); auch für das Debriefing ist bei Internetforschung besondere Sorge zu tragen (Johnson/Christensen 2008: 126).
4.6.4 VertraulichkeitVertraulichkeit der Daten
Ebenfalls gesetzlich geregelt ist in den meisten (Bundes-)Ländern, welche Anforderungen an die Vertraulichkeit der Daten zu stellen sind. Eine wichtige Unterscheidung ist in diesem Zusammenhang zwischen AnonymisierungAnonymisierung und PseudonymisierungPseudonymisierung zu treffen. Anonymeanonym Daten liegen dann vor, wenn dem Untersuchungsteam die Zuordnung von Daten zu Namen unmöglich ist (bspw. beim Einsatz nummerierter Fragebögen ohne Erhebung von Namen). Pseudonymisierung bedeutet hingegen, dass dem datenerhebenden Forscher/der Forscherin die Namen der Forschungspartner und -partnerinnen bekannt sind, diese aber bei der Aufbereitung der Daten durch PseudonymePseudonym ersetzt werden, sodass weder bei der Bearbeitung der Daten noch bei der Präsentation der Ergebnisse die Identität der Forschungspartner und -partnerinnen bekannt wird.1
Die Referenzarbeit von Ehrenreich (2004: 457) illustriert den Einbezug der Forschungspartnerinnen in die Pseudonymisierung der Transkripte. Die Autorin gibt den interviewten Fremdsprachenassistentinnen neben der Korrektur inhaltlicher Fehler auch die Möglichkeit, über die von der Autorin vorgenommene Pseudonymisierung2 hinaus auch bestimmte Wörter zu neutralisieren oder zu streichen. Fürsorglich weist sie im Sinne eines Schutzes der Forschungspartnerinnen auch darauf hin, dass niemand aufgrund der für die Mündlichkeit charakteristischen Satzbrüche und anderer Phänomene der Mündlichkeit an der eigenen Ausdrucksfähigkeit zweifeln solle.
Pseudonymisierung stellt insbesondere bei der Arbeit mit Bild- und Videomaterial eine Herausforderung dar, da arbeitsaufwändige Verpixelungen oder Balken über Gesichtern die Identitäten von Forschungspartnern und -partnerinnen unter Umständen nicht hinreichend verdecken, möglicherweise aber sogar die Datenauswertung behindern. So ist es bei EinwilligungserklärungenEinwilligungserklärung hinsichtlich videographischer Fremdsprachenforschung insbesondere von Interesse, den Forschungspartnern und -partnerinnen mehrere Präsentationsmöglichkeiten der audiovisuellen Daten (von der Begrenzung auf pseudonymisiertePseudonymisierung Transkripte bis hin zu Filmvorführungen bei Vorträgen auf wissenschaftlichen Konferenzen und in der Lehreraus- und -weiterbildung) anzubieten und ihr schriftliches Einverständnis einzuholen.
Ethisch zu reflektieren ist auch der Wunsch einiger Forschungspartner und -partnerinnen, ihre Identität zu benennen, um auf diese Weise ihren Forschungsbeitrag zu würdigen. Wie Miethe (2013: 931–932) ausführt, ist bei De-Anonymisierungde-anonymisiert jedoch insbesondere zu bedenken, inwieweit die Betroffenen, vor allem Kinder, die Reichweite einer solchen Entscheidung absehen können und inwieweit damit auch andere Personen wie Familienmitglieder oder Kollegen und Kolleginnen de-anonymisiertde-anonymisiert werden.
Ebenfalls reflexionsbedürftig erscheint bei InternetforschungInternetforschung beispielsweise das Zitieren von Postings in Diskussionsforen, da diese im Internet unmittelbar aufgefunden werden können und möglicherweise die Identität der Beforschten preisgeben; auch die sichere Datenübertragung bei Befragungen bzw. der mögliche Zugriff Dritter auf die Daten muss Internetforschenden in besonderer Weise beschäftigen (vgl. Eynon/Fry/Schroeder 2008). Da bei Internetforschung keine klaren nationalen Grenzen gegeben sind und somit rechtliche Grauzonen entstehen, erscheint in diesen Fällen die ethische Reflexion durch das Forschungsteam in besonderer Weise geboten (s. ebd. sowie auch Cohen/Manion/Morrison 2018: 144–153).
4.6.5 Wissenschaftliches FehlverhaltenFehlverhalten
Neben dem Betrug wie beispielsweise dem Fälschen von Daten oder dem Manipulieren von Ergebnissen sind als wissenschaftliches Fehlverhalten auch solche Fälle zu bezeichnen, in denen der Umgang mit gefälschten Daten von Kollegen und Kolleginnen bewusst übersehen wird, bestimmte (widersprüchliche) Daten gezielt zurückgehalten werden oder das Forschungsdesign auf Druck des Geldgebers verändert wird (Johnson/Christensen 2008: 104; s. Kap. 2).
Bei Publikationsaktivitäten ist im Hinblick auf wissenschaftliches Fehlverhalten zum einen die Frage der Autor*innenschaft von besonderer Relevanz. Autor*innenschaft gebührt denjenigen, die entscheidend zur Entwicklung und Durchführung des Forschungsprojekts beigetragen haben; besondere Sensibilität ist diesbezüglich bei einem hierarchischen Gefälle der Beteiligten bzw. bei Kooperationen von etablierten Forschern und Forscherinnen mit Nachwuchswissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlerinnen angebracht. Zum anderen steht der PlagiarismusPlagiarismus immer wieder im Mittelpunkt der universitären und der öffentlichen Diskussion, da der Diebstahl geistigen Eigentumsgeistiges Eigentum einen grundlegenden Verstoß gegen die ethischen Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens sowie auch gegen das Urheberrecht und damit ein strafbares Vergehen darstellt, das rechtliche Konsequenzen nach sich zieht (Ackermann 2003; Aeppli/Gasser/Gutzwiller/Tettenborn 2010: 57).
Die hier erörterten Handlungsmaximen sind nicht als abzuarbeitender Regelkatalog misszuverstehen. Vielmehr sollen sie die Sensibilität für die Implikationen forschenden Handelns fördern. Forschende sind gehalten, sich immer wieder neu der Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu werden. Abweichungen von Prinzipien sind im Kontext konkreter Forschungsprojekte nicht zu vermeiden; solche Abweichungen bedürfen jedoch der genauen Begründung und der kritischen Abwägung, die auch den Rat von Experten und Expertinnen mit einbezieht (vgl. Denscombe 2010: 77). Macfarlane (2009) entwickelt seine Forschungsethik auf der Grundlage von sechs Tugenden. Zu diesen gehört neben Mut, Respekt, Entschlossenheit, Ernsthaftigkeit und Bescheidenheit die Schlüsseltugend der Reflexivität, die Fähigkeit Abstand zu nehmen, zu fragen, ob ich als Forscherin, als Forscher meinen Verantwortlichkeiten gerecht werde und wie ich mein Handeln begründe. Es ist genau jene Tugend, der wir mit diesem Kapitel das Wort reden.
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