1 ...6 7 8 10 11 12 ...49 Die Antworten auf ihre Fragen nach Janes Befinden klangen nicht sehr beruhigend. Miss Bennet habe eine unruhige Nacht verbracht, sei jetzt zwar auf, fühle sich aber fieberig und nicht wohl genug, um herunterzukommen. Elisabeth war es sehr recht, dass sie sogleich hinaufgeführt wurde; und Jane, die nur aus Besorgnis, ihre Familie könne sich ängstigen, in ihrem Brief nicht den Wunsch nach Besuch geäußert hatte, lächelte der Eintretenden hocherfreut entgegen. Sprechen strengte sie jedoch zu sehr an, so dass sie, nachdem Miss Bingley wieder gegangen war, sich darauf beschränkte, leise für die große Freundlichkeit zu danken. Elisabeth setzte sich schweigend zu ihr.
Nach dem Frühstück machten die beiden Gastgeberinnen einen Besuch bei der Kranken. Elisabeth fing an, einiges Gefallen an ihnen zu finden, als sie sah, mit welcher Liebe und Besorgnis sie sich um Jane bemühten. Später kam auch der Landarzt und stellte nach der Untersuchung, wie zu erwarten war, die Diagnose auf eine schwere Erkältung; er empfahl, alles anzuwenden, was zur Besserung beitrage. Vor allen Dingen müsse sie das Bett hüten; eine Medizin werde er schicken. Jane folgte willig seinem Rat; denn das Fieber hatte zugenommen, und ihr Kopf schmerzte zum Zerspringen. Elisabeth verließ das Zimmer nicht einen Augenblick. Auch die beiden Damen waren nicht oft abwesend; denn da die Herren ausgeritten waren, langweilten sie sich ohnehin.
Als die Uhr drei schlug, erklärte Elisabeth sehr widerstrebend, nun gehen zu müssen. Caroline bot ihr den Wagen an, und sie hätte das freundliche Anerbieten auch gern angenommen, aber Jane zeigte sich so betrübt über ihr Weggehen, dass Caroline sich wohl oder übel dazu entschließen musste, ihr statt des Wagens die Gastfreundschaft auf Netherfield für einige Tage anzubieten. Elisabeth nahm voll Dankbarkeit an, und ein Diener wurde nach Longbourn geschickt, um die Familie zu benachrichtigen und um einige Kleidungsstücke zu holen.
Inhaltsverzeichnis
Um fünf Uhr zogen sich Caroline und ihre Schwester zurück, um sich umzukleiden, und um halb sieben rief der Gong Elisabeth zu Tisch. Auf die höflichen Nachfragen, die sich überstürzten und unter denen sie zu ihrer Freude die aufrichtige Besorgnis Mr. Bingleys herauszuhören vermochte, konnte sie keine befriedigende Antwort geben. Janes Befinden hatte sich in keiner Weise gebessert. Die beiden Schwestern versicherten hierauf drei-oder viermal, wie sehr es sie bekümmere, das zu hören, wie scheußlich es sei, eine Erkältung zu haben, und wie ungern sie selber krank seien; und damit hatte sich das Thema für sie erschöpft. Diese Gleichgültigkeit gegen Jane, sobald sie sie nicht vor Augen hatten, erlaubte Elisabeth, ihrer Abneigung, die sie von Anfang an gegen die beiden Damen empfunden hatte, wieder unvermindert Raum zu geben.
Mr. Bingley war tatsächlich der einzige von der ganzen Tischgesellschaft, den sie mit freundlichen Augen betrachten mochte. Seine Sorge um Jane war ganz offensichtlich und seine Aufmerksamkeit ihr selbst gegenüber äußerst wohltuend, zumal sie ihr darüber hinweg half, sich wie ein lästiger Eindringling vorzukommen, als den die anderen — davon war sie überzeugt — sie betrachteten. Das heisst, man beachtete sie gar nicht. Caroline hatte nur Augen und Ohren für Darcy; ihre Schwester, Mrs. Hurst, nicht weniger; und Mr. Hurst, neben dem Elisabeth saß, war ein stumpfsinniger Mensch, der sich für nichts als Essen, Trinken und Karten interessierte; nachdem er erfahren hatte, dass sie gewöhnliche Hausmannskost französischer Küche vorzog, wurde zwischen ihnen kein weiteres Wort mehr gewechselt.
Nach dem Essen kehrte sie sogleich zu Jane zurück. Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, begann Caroline sich höchst abfällig über sie zu äußern. Ihr Benehmen müsse wirklich als sehr schlecht bezeichnet werden, es sei eine Mischung von Hochmut und Ungezogenheit; sie verfüge weder über Unterhaltungsgabe, noch über Manieren oder Geschmack. Und schön sei sie auch nicht.
Mrs. Hurst war derselben Meinung und fügte noch hinzu: »Kurz gesagt; es fehlt ihr jede Eigenschaft, die sie liebenswert machen könnte, falls man nicht ihre Vorliebe für Fußmärsche als eine solche bezeichnen will. Ich werde mein Leben lang nicht den Anblick von heute morgen vergessen; sie sah aus wie eine Wilde!«
»Ja, unglaublich«, pflichtete ihr Caroline bei. »Ich konnte kaum an mich halten, etwas zu sagen. Wie töricht von ihr, überhaupt herzukommen! Was braucht sie durch den Regen und Schmutz herzuwaten, bloß weil ihre Schwester eine kleine Erkältung hat? Wie ihr Haar aussah, zerweht und unordentlich!«
»Ja, und erst ihr Rock! Den hast du doch gesehen! Von oben bis unten eingeschmutzt! Sie versuchte es mit ihrem Mantel zu verdecken. Aber es ging nicht!«
»Deine Beschreibung mag sehr zutreffend sein, Louisa«, sagte Mr. Bingley, »aber mir ist das alles gar nicht aufgefallen. Ich fand, Miss Bennet sah ungewöhnlich nett aus, als sie heute morgen hier hereinkam. Den schmutzigen Rock habe ich überhaupt nicht bemerkt.«
»Aber Ihnen ist er bestimmt nicht entgangen; nicht wahr, Mr. Darcy?« sagte Caroline, »und ich glaube, Sie würden Ihre Schwester höchst ungern in einem solchen Aufzug sehen!«
»Allerdings!«
»Zwei, drei Meilen oder vier oder wie viele es nun sein mögen, knöcheltief im Matsch herumzulaufen und dazu noch allein ganz allein! Was kann sie sich nur dabei gedacht haben! Ich kann es mir nur so erklären, dass sie ihre eingebildete Selbständigkeit zur Schau stellen wollte, die in Wirklichkeit nur einen bäuerlichen Mangel an Anstand beweist!«
»Ich sollte meinen, dass es eine große schwesterliche Zuneigung beweist«, meinte Bingley.
»Ich fürchte«, wandte sich Caroline halblaut an Darcy, »dass Ihre Bewunderung für ein Paar dunkle Augen jetzt doch etwas gelitten hat!«
»Im Gegenteil«, erwiderte er, »die Augen glänzten besonders schön in dem erhitzten Gesicht.«
Diese Antwort kam so unerwartet, dass die Gesellschaft für kurze Zeit schwieg, bis Mrs. Hurst wieder begann: »Ich mag Jane Bennet wirklich ungewöhnlich gut leiden; sie ist ein sehr liebes Mädchen, und ich wünsche ihr von ganzem Herzen eine gute und glückliche Ehe. Aber mit dem Vater und mit der Mutter, ganz abgesehen von der übrigen zweifelhaften Verwandtschaft, sehe ich gar keine Möglichkeiten für sie.«
»Ich dachte, du sagtest, ihr Onkel sei Anwalt in Meryton.« »Das stimmt auch; aber sie hat noch einen, der irgendwo mitten im Geschäftsviertel von London wohnt.«
»Das ist doch fabelhaft«, fügte ihre Schwester hinzu, und beide mussten herzlich lachen.
»Und wenn das ganze Geschäftsviertel voll von ihren Verwandten wäre«, rief Bingley, »das sagt doch nichts gegen Jane und ihre Schwester.«
»Nein, aber nüchtern gesehen, setzt es ihre Aussichten, einen auch nur einigermaßen annehmbaren Mann zu bekommen, erheblich herab«, erwiderte Darcy.
Bingley antwortete nicht darauf; doch seine Schwestern stimmten Darcy eifrig bei und spannen dann das erheiternde Thema der Bennetschen Verwandtschaft noch eine ganze Weile aus.
Sie vergaßen jedoch darüber nicht ihre zärtlich empfundene Freundschaft zu ihrem Gast und machten Jane kurz vor dem Tee wieder einen kleinen Besuch. Es ging ihr immer noch nicht gut, und Elisabeth blieb bei ihr, bis sie endlich spät abends in einen ruhigen Schlaf fiel; erst dann entschloss sich Elisabeth, allerdings mehr aus Höflichkeit, wieder nach unten zu gehen, denn irgendein Vergnügen versprach sie sich nicht davon. Ihre Gastgeber waren beim Kartenspiel, und sie wurde sogleich aufgefordert, sich zu beteiligen. Sie lehnte es indessen ab, da sie fürchtete, es könne zu hoch gespielt werden, und bat, sich für die kurze Zeit, die sie ihre Schwester allein lassen wollte, mit einem Buch beschäftigen zu dürfen. Mr. Hurst blickte sie mit unverhohlenem Erstaunen an.
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