»Worauf willst Du hinaus?« fragte Herr Featherstone, welcher seinen Stock zwischen den Knien hielt, und seine Perücke zurecht schob, indem er ihr einen scharfen Blick zuwarf, und von ihrem Gesichtsausdruck beeindruckt zu werden schien, wie von einem kalten Luftzuge, der ihn husten machte.
Frau Waule mußte mit ihrer Antwort warten, bis Mary Garth ihm einen Löffel Saft eingegeben, der Husten sich in Folge dessen wieder gelegt und Herr Featherstone angefangen hatte, mit einem verdrießlichen Blick auf das Feuer, an dem goldenen Knopf seines Stocks zu reiben. Es war ein lustiges Feuer, aber es brachte keine Veränderung auf Frau Waule's frostig aussehendem dunkelrotem Gesichte hervor, welches, mit seinen Ritzen statt der Augen und mit seinen Lippen, die sich beim Sprechen kaum bewegten, ebenso indifferent war wie ihre Stimme.
»Die Doktoren können den Husten nicht kurieren, Bruder. Der Husten ist grade wie meiner; denn ich bin ja Deine rechte Schwester, in meiner Constitution wie in Allem. – Aber wie gesagt, es ist schade, daß die Familie des Herrn Vincy sich nicht besser benimmt.«
»Soo! Davon hast Du nichts gesagt. Du sagtest nur, Jemand habe sich Freiheiten mit meinem Namen erlaubt.«
»Und das ist nicht mehr, als was ich beweisen kann, wenn das, was alle Leute sagen, wahr ist. Mein Bruder Salomon erzählt mir, daß es zum Gerede in ganz Middlemarch geworden sei, wie unsolide der junge Vincy sei, und wie er, seit er wieder zu Hause ist, immer Billard gespielt habe.«
»Unsinn! Was tut denn das, wenn einer 'mal Billard spielt? Billard ist ein ganz gentiles Spiel, und der junge Vincy ist kein Dummkopf. Wenn Dein Sohn John sich jetzt auf's Billardspiel legen wollte, würde er sich freilich zum Narren machen.«
»Dein Neffe John hat nie Billard oder irgend ein anderes Spiel gespielt, Bruder, und kommt nicht in Gefahr, hunderte von Pfunden zu verlieren, die, wenn es wahr ist, was alle Leute sagen, irgendwo anders herkommen müssen, als aus der Tasche des alten Herrn Vincy. Denn die Leute sagen, er hat seit Jahren schlechte Geschäfte gemacht, obgleich kein Mensch das denken sollte, wenn man ihn herumstolzieren und ein Haus machen sieht, wie sie es tun. Und ich habe sagen gehört, daß Herr Bulstrode sehr aufgebracht über Frau Vincy sei wegen ihrer Oberflächlichkeit, und weil sie ihre Kinder so verziehe.«
»Was geht mich Bulstrode an? Ich mache keine Geschäfte mit ihm.«
»Nun, Frau Bulstrode ist Herrn Vincy's Schwester, und die Leute sagen, Herr Vincy mache seine Geschäfte zumeist mit dem Gelde der Bank, und das kannst Du doch wohl selbst sehen, Bruder, daß wenn eine Frau über vierzig rosa Haubenbänder trägt, die sie immer herumflattern läßt, und immer so auffallend lacht, und all so etwas, – daß das sehr unschicklich ist. Aber seine Kinder verziehen und das Geld haben, ihre Schulden zu bezahlen, ist zweierlei. Und Du kannst offen erzählen hören, daß der junge Vincy auf seine Aussichten hin, Geld aufgenommen hat, – ich sage nicht auf was für Aussichten hin. Fräulein Garth hört, was ich sage und kann es gern wiedererzählen. Ich weiß, junge Leute halten zusammen.«
»Nein, ich danke Ihnen, Frau Waule,« sagte Mary Garth. »Ich höre Klatschgeschichten zu ungerne, als daß ich Lust haben sollte, sie wieder zu erzählen.«
Herr Featherstone rieb an dem Knopf seines Stocks, und brach in ein kurzes krampfhaftes Lachen aus, das ungefähr eben so echt war, wie das Kichern eines alten Whistspielers über eine schlechte Karte. Ohne seinen Blick vom Kaminfeuer wegzuwenden, sagte er:
»Und wer sagt, daß Fred Vincy keine Aussichten hat? Ich sollte denken, ein so hübscher frischer Bursche hätte wohl Aussichten.«
Es dauerte eine kleine Weile, bevor Frau Waule antwortete, und als sie es tat, geschah es mit einer anscheinend von Tränen leicht angefeuchteten Stimme, obgleich ihr Gesicht noch ganz trocken war.
»Wie dem auch sei, Bruder, es ist natürlich sehr schmerzlich für mich und meinen Bruder Salomon zu hören, daß man sich Freiheiten mit Deinem Namen erlaubt, und dabei denken zu müssen, daß Dein Leiden Dich plötzlich wegraffen könnte und daß Leute, die, so wenig Featherstone's sind, wie der Hanswurst im Polichinellkasten, kein Hehl daraus machen, daß sie auf Deine Erbschaft spekulieren. Und ich bin doch Deine rechte Schwester und Salomon Dein rechter Bruder! Wenn jene Leute richtig spekulierten, wozu hätte es dann dem Allmächtigen gefallen, Familien zu machen?«
Bei diesen Worten ließ Frau Waule, ihren freilich nicht allzu reichlichen Tränen freien Lauf.
»Komm heraus damit, Jane!« sagte Herr Featherstone und sah ihr dabei scharf ins Gesicht. »Du willst sagen, Fred Vincy habe Jemanden gefunden, der ihm auf das hin, was er über mein Testament zu wissen behauptet, Geld vorgeschossen habe, wie?«
»Das habe ich nicht gesagt, Bruder.« Frau Waule's Stimme war wieder trocken und fest geworden. »Mir hat es mein Bruder Salomon erzählt, als er gestern Abend vom Markte kam und mich besuchte, um mir wegen des alten Weizens Rat zu erteilen, da ich ja als Witwe allein stehe, denn mein Sohn John ist zwar ein höchst ordentlicher Mensch, aber erst ein und zwanzig Jahre alt. Und Salomon hatte es aus bester Quelle, und hatte nicht einen, sondern viele Gewährsmänner.«
»Albernes Geschwätz! Ich glaube kein Wort davon. Das Ganze ist eine erfundene Geschichte. Geh' doch einmal an's Fenster, Mädchen; es war mir eben, als hörte ich Pferdegetrappel. Sieh' doch zu, ob der Doctor kommt.«
»Nicht von mir erfunden und, auch nicht von Salomon, der, was man auch sonst von ihm sagen mag, – und ich gebe zu, daß er manchmal wunderlich ist –, sein Testament gemacht und sein Vermögen unter diejenigen seiner Verwandten, mit denen er auf gutem Fuße steht, gleich verteilt hat; wiewohl ich für mein Teil glaube, es gibt Zeiten, wo Einige mehr berücksichtigt werden sollten als Andere. Aber Salomon macht kein Geheimnis aus dem, was er zu tun beabsichtigt.«
»Das zeigt nur noch deutlicher, was er für ein Narr ist,« sagte Herr Featherstone mit Mühe, da er grade einen heftigen Hustenanfall bekam, der Mary Garth bei ihm stehen zu bleiben zwang, so daß sie nicht sehen konnte, was es für Pferde waren, deren Getrappel jetzt nicht mehr vernehmbar war, weil sie eben vor dem Hause angelangt, stillstanden.
Noch ehe Herrn Featherstone's Hustenanfall sich wieder gelegt hatte, trat Rosamunde, die ihr Reitkleid sehr graziös aufgenommen hatte, ins Zimmer. Sie machte einen sehr förmlichen Knicks vor Frau Waule, welche diesen Gruß steif mit den Worten: »Wie geht es Ihnen, Fräulein?« erwiderte, nickte dann Mary Garth lächelnd und schweigend zu und blieb stehen, bis der Husten vorüber sein und ihr Onkel von ihr würde Notiz nehmen können.
»Sieh da, Fräulein Rosy,« sagte er endlich, »Du siehst gut aus, wo ist Fred?«
»Er sieht nach den Pferden und wird gleich hier sein.«
»Setz' Dich, setz' Dich. Frau Waule, Du tust wohl besser fortzugehen.«
Selbst diejenigen unter Peter Featherstone's Nachbaren, welche ihn einen alten Fuchs nannten, hatten ihn doch nie einer nicht aufrichtig gemeinten Höflichkeit geziehen, und seine Schwester war schon ganz an den eigentümlichen Mangel jeder Förmlichkeit, welcher den Verkehr mit seinen Blutsverwandten charakterisierte, gewöhnt.
In der Tat war sie selbst zu glauben geneigt, daß für Mitglieder einer und derselben Familie die völlige Entbindung von dem Zwang, sich einander angenehm zu machen, den Absichten des Allmächtigen entspreche. Sie stand langsam ohne irgend ein Zeichen von Empfindlichkeit auf und sagte in ihrer gewöhnlichen, murmelnden eintönigen Weise:
»Bruder, ich hoffe, der neue Doctor wird etwas für Dich tun können. Salomon sagt, die Leute sprechen viel von seiner Geschicklichkeit. Ich wünsche wirklich von Herzen, daß Du uns erhalten bleibest. Und niemand ist mehr bereit Dich zu pflegen, als Deine rechte Schwester und Deine rechten Nichten, wenn Du es nur sagen wolltest. Da sind Rebecca und Johanna und Elisabeth, weißt Du.«
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