LUNATA
Abende auf dem Gut Dikanka
Abende auf dem Gut Dikanka
Phantastische Novellen
© 1832 by Nikolai Wassiljewitsch Gogol
Originaltitel Večera na chutorě bliz Dikańki
Aus dem Russischen von Ludwig Rubiner
und Frida Ichak
Umschlagbild: Carl Spitzweg
© Lunata Berlin 2020
Erster Teil Erster Teil
Vorrede
Der Jahrmarkt in Sorotschintzy
Die Johannisnacht
Mainacht oder Die Ertrunkene
Der verschwundene Brief
Zweiter Teil
Vorrede
Schreckliche Rache
Die Nacht vor Weihnachten
Iwan Fjodorowitsch Schponjka und seine Tante
Der verhexte Ort
Über den Autor
Erster Teil
Was ist denn das wieder für ein Ding: Abende auf dem Gutshof bei Dikanka? Was für »Abende« sind denn das? Und die dazu gar noch ein Bienenzüchter in die Welt gesetzt hat! Gott bewahr’ uns! Hat man etwa noch zu wenig Gänsefedern gerupft und allzu wenig Lumpen zu Papier verarbeitet! Hat etwa noch zu wenig Pack, haben etwa noch zu wenig Leute von jeglichem Stand ihre Finger mit Tinte bekleckst! Da muß der Teufel nach all dem anderen Volk auch noch einen Bienenzüchter reiten, es den andern nachzumachen! Wahrhaftig! Es gibt doch schon so viel bedrucktes Papier, daß man bald nicht mehr recht weiß, was alles man hineinwickeln soll!
All diese Reden hat meine Prophetie schon gehört, schon vor einem Monat gehört! Ich will nämlich sagen, daß es für unsereins, daß es für uns Vorwerksbesitzer genau dasselbe ist, wenn man — o du grundgütiger Himmel —, die Nase aus seinem Loch in die große Welt steckt, als wenn man in die Gemächer eines feinen Herrn tritt: alle bilden einen Kreis um einen, und der Schabernack geht los; derartiges könnte man sich am Ende noch von besseren Lakaien gefallen lassen, — aber nein, irgend so ein zerlumpter Junge, irgendein Lümmel, der sich im Hinterhof herumdrückt, auch so einer traut sich heran. Da stampfen sie mit den Füßen und rufen einem von allen Seiten zu: »Wohin willst du? Zu wem? Pack dich du Bauernkerl! Scher dich zum Teufel!« ... Ich kann euch sagen ... Aber was sollen alle Worte! Mir fällt’s wahrhaftig leichter, zweimal im Jahr nach Mirgorod zu reisen, wo mich schon seit fünf Jahren weder der Schreiber vom Landgericht noch seine Hochwürden zu Gesicht bekommen haben, als zu den großen Leuten zu steigen; tu ich’s aber mal, dann heißt’s, ob’s dir nun paßt oder nicht, Rede und Antwort stehen.
Nichts für ungut, meine lieben Leser (und ihr nehmt’s vielleicht übel, daß ein einfacher Bienenzüchter zu euch redet wie zu seinem Gevatter oder Ehestifter), wir Vorwerksleute haben von jeher solche Bräuche: sowie die Feldarbeiten zu Ende sind, der Bauer übern Winter zur Ruh’ hintern Ofen kriecht und unsereins seine Bienen in den dunklen Keller steckt; sowie es keinen Kranich mehr am Himmel und auf dem Baum keine Birne mehr gibt, da kann man, wenn es Abend wird, sicherlich irgendwo am Ende der Dorfstraße ein Licht blinken sehen; von ferne hört man lachen und singen, die Balalaika klimpert, oft auch vernimmt man Geigenklänge, lauten Schwatz und Lärmen ... Das sind die Unterhaltungen unserer Abende ! Sie ähneln sozusagen euren Bällen, aber doch nicht ganz. Wenn ihr auf einen Ball fahrt, so geschieht’s doch nur, um herumzuspringen und in die hohle Hand zu gähnen. Bei uns dagegen, wenn da in einer Stube ein Haufen Mädchen mit Spinnrocken und Spindelkamm zusammenkommt, so ist das durchaus kein Ball. O nein! — Zuerst sieht’s aus, als ob sie ernstlich an die Arbeit gehen wollten. Die Spindeln surren, die Lieder schwirren, und keine wagt es, zur Seite zu blicken. Kaum aber kommen die Burschen mit dem Fiedelmann in die Stube, da beginnt ein Toben und Schreien, es wird getanzt, und solche Streiche geschehen da oft, daß man’s gar nicht erzählen kann.
Aber am schönsten ist’s doch, wenn alle sich zu einem Haufen zusammentun, und man beginnt, Rätsel zu raten, oder ganz einfach — zu schwatzen. O mein Gott! Was wird da nicht alles erzählt! Was wird da nicht für alter Kram ausgegraben! Was für Gruselzeug wird da nicht herangeschleppt! Aber nirgends ward wohl soviel Wunderliches erzählt wie an den Abenden beim Rotfuchs Panjko, dem Bienenzüchter. Warum mich die Leute den »Rotfuchs Panjko« nennen, das vermag ich, weiß Gott, nicht zu sagen. Auch ist ja mein Haar, sollt’ ich wohl glauben, eher grau als rot. Aber das ist bei uns nun eben, mit Verlaub zu sagen, so Sitte: haben die Leute einem mal 'nen Spitznamen gegeben, so behält er ihn in alle Ewigkeit. Oft kamen am Vorabend hoher Feiertage allerlei brave Leute in die Hütte des Bienenzüchters zu Gaste, und wenn die sich erst an den Tisch gesetzt hatten, da gab’s dann was zu hören. Das waren nicht etwa Leute aus den einfachen Ständen, nicht etwa Bauern aus einem Vorwerk; manch einem, der mehr als Bienenzüchter ist, würde ihr Besuch Ehre machen. Kennt ihr zum Beispiel Foma Grigorjewitsch, den Küster an der Kirche zu Dikanka? Das ist ein Kopf, sag’ ich euch! Was konnte der nicht für Geschichten erzählen! Zwei davon sollt ihr in diesem Büchlein finden. Nie hat der einen Kittel aus Bast getragen, wie ihr ihn bei so vielen Küstern auf dem Lande findet; ja, kamt ihr selbst an Werkeltagen zu ihm, so empfing er euch immer in einer Joppe aus feinem Tuch von einer Farbe wie die von kaltem Kartoffelbrei, für das er in Poltawa fast sechs Rubel die Elle bezahlt hat. Von seinen Stiefeln wird niemand auf dem ganzen Weiler behaupten können, sie hätten nach Teer gerochen; jeder weiß, daß er sie mit dem allerfeinsten Schmalz geschmiert hat, das, glaub’ ich, mancher Bauer sich wohl mit Freuden in den Brei getan hätte. Auch wird niemand zu sagen wagen, daß er sich je die Nase mit dem Rockschoß gewischt hat, wie es manche Leute seines Standes zu tun pflegen; nein, er zog ein weißes, säuberlich gefaltetes Tüchlein aus dem Busen, dessen Bänder mit rotem Zwirn bestickt waren, verrichtete sein Bedürfnis, faltete es nach seiner Gewohnheit zwölffach zusammen und barg es wieder im Busen. Und ein anderer Gast ... je nun, das war solch ein feines Herrchen, daß man ihn stracks zum Präsidenten oder Exekutor hätte machen können. Er pflanzte seinen Finger vor der Nase auf, und dann blickte er die Spitze an und erzählte so spitzfindig durch die Blume, akkurat wie es in den gedruckten Büchern steht! Wenn ihn unsereiner manchmal so hörte, da mußte man ja ganz nachdenklich werden. Kein Sterbenswörtchen war zu verstehen. Wo hat der bloß solche Worte hergenommen? Diesbezüglich hat Foma Grigorjewitsch einmal eine treffliche Schnurre erdacht: er erzählte ihm eine Geschichte von einem Schüler, der einst bei einem Küster zur Schule ging; als der wieder zu seinem Vater kam, da war er ein solcher Lateiner geworden, daß er sogar unsere rechtgläubige Sprache vergessen hatte — alle Worte ließ er auf »us« endigen: statt Schaufel sagte er »Schaufelus«, statt Weib »Weibus« usw. Einmal ging er mit seinem Vater über Feld. Der Lateiner erblickt eine Harke und fragt: »Wie nennt man das bei euch, Vater?« und dabei sperrte er das Maul weit auf und trat der Hacke auf die Zähne. Der Vater hatte kaum antworten können, da flog der Griff der Harke dem Sohne mit einem Schwung gegen die Stirn. »Die verdammte Harke!« schrie der Schuljunge, fuhr sich mit der Hand an den Kopf und sprang eine Elle hoch in die Luft. »Der Satan soll den Mann holen, der das Harkenzeug gemacht hat! Sie tut so weh!« »So, bist du endlich auf den Namen gekommen, mein Täubchen?« — Dieses Märchen wollte dem verblümten Erzähler nicht besonders gefallen. Ohne ein Wort zu sagen, stand er von seinem Platze auf, stellte sich breitbeinig mitten im Zimmer hin, neigte den Kopf etwas vor, schob die Hand in die Seitentasche seines erbsengrauen Rockes, holte seine runde lackierte Tabakdose hervor, schnippte mit dem Finger über das draufgemalte Gesicht eines ausländischen Generals, nahm eine ziemlich große Prise seines mit Asche und Liebstöckelblättern vermischten Tabaks, führte sie weit ausholend an die Nase und sog im Nu das ganze Häufchen ein, ohne auch nur den Daumen zu streifen, und dabei sprach er keine Silbe. Erst als er in die andere Tasche griff und ein blaukariertes Baumwolltuch hervorholte, da murmelte er etwas vor sich hin, wie: »
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