»Na du Träumer, guten Morgen! An welchem Problem arbeitest du gerade?« Statt die Begrüßung zu erwidern, hob Sato kraftlos den Arm mit dem Kündigungsschreiben in seiner Hand.
»Sieh selbst«, gab er knapp zurück und seine Stimme klang dabei wie aus einer anderen Welt.
»Was ist denn los?«, setzte Gunnarsson an. Dann fiel ihr Blick auf das plakativ groß geschriebene, erste Wort der Seite. Sofort wechselte ihre Gesichtsfarbe von Hellrosa zu Dunkelrot.
»Kündigung! Was soll das heißen, Kündigung?«
»Sie feuern mich, Sam.«
»Aber du hast doch nichts falsch gemacht, Haruki.«
»Das kannst du denen ja gerne mal erklären.«
»Verdammt, das ist nicht fair. Wer hat dir die Kündigung gegeben?«
»Sie lag auf dem Tisch, als ich vorhin ins Büro kam.«
»Unverschämtheit!«, rief die junge Frau erzürnt aus. »Die hatten nicht mal den Anstand, mit dir persönlich zu sprechen?«
»Das hielt man wohl nicht für nötig«, gab Sato sichtlich geknickt zurück. »Ich weiß aber, wer das hier hingelegt hat.«
»Wer?«
»Die Personalchefin Melissa Sommers höchstpersönlich. Ihr Parfüm lag noch in der Luft. Daran habe ich es erkannt. Sie hatte es auch während des Krisenmeetings aufgelegt.«
»Na toll, ausgerechnet die …«, erboste sich Gunnarsson erneut. »Warum hat man nicht sie gefeuert? Sie hat schließlich Tomás Batedor eingestellt und nicht du.«
»Irgendjemanden mussten sie verantwortlich machen, um den Schaden soweit wie möglich zu begrenzen. Samantha, ich bin nur das Bauernopfer.«
»Verteidigst du die da oben etwa noch?«
»Nein, überhaupt nicht, Sam«, seufzte Sato. »Am liebsten würde ich diesen gesamten selbstgefälligen Verein erwürgen. Du weißt genau, wie meine Familie reagieren wird. Eine Kündigung, egal aus welchem Grund, ist und bleibt ein Gesichtsverlust. O-tou-san wird sich schämen.« Er senkte den Kopf.
»Das wird vermutlich so sein. Dein Vater ist in dieser Beziehung ziemlich traditionell, oder besser - altmodisch. Ich weiß noch genau, wie es deiner Schwester ergangen ist, als sie entschieden hatte ihr Studium abzubrechen.« Haruki schüttelte resignierend den Kopf.
»Und wie sollen wir den Gehaltsverlust ausgleichen? Bei den Kosten die wir haben?«
Samantha trat hinter ihren Freund, legte mitfühlend ihre Hände auf seine Schulter und begann behutsam sie zu massieren.
»Es tut mir so leid, Schatz. Wegen des Geldes mach dir bitte keine Sorgen. Wir haben ja noch mein Einkommen.«
»Das ist wahr, aber das wird nicht reichen, da sollten wir uns nichts vormachen.«
»Okay, wir werden uns ein wenig einschränken müssen«, wiegelte sie seine Bedenken ab.
»Allein die Wohnung kostet ein Vermögen. Und bis ich was Neues gefunden habe, ach was sag ich.« Kraftlos schob er ihre Hände beiseite.
»Wahrscheinlich muss ich eine Umschulung oder Weiterbildung machen. Die Ausbildung zum Scoutsupporter ist zu speziell. Wer stellt mich damit ein?«
»Ich könnte ausflippen. Die wissen gar nicht, was sie dir, was sie uns, damit antun. Typisch! Die haben nur einen Sündenbock gesucht.«
Grimmig dreinblickend verschränkte sie die Arme vor ihrem Körper. Man konnte ihrem Gesicht ansehen, wie angestrengt sie nachdachte.
»Wir werden etwas dagegen tun«, sagte sie entschieden. »Wann musst du gehen?«
»Ende dieses Monats. Bis dahin soll ich alles an Peters übergeben. Meine Stelle wird vermutlich intern neu ausgeschrieben. Wenn du willst, kannst du dich ja bewerben.«
»Also ehrlich, als wenn ich unter diesen Umständen damit glücklich werden würde. Außerdem fühle ich mich beim Historymonitoring wohl.«
»Ich weiß, war nur ein Scherz.«
»Bis Ende des Monats sagst du?«
»Ja, warum?«
»Dann bleiben uns noch zehn Tage Zeit.«
»Zeit, wofür?«
»Na was wohl? Um das Ganze ungeschehen zu machen natürlich.«
Für einen Augenblick herrschte absolute Stille. Der letzte Satz verschlug Sato die Sprache.
»Ich …, ich glaube, ich verstehe nicht?«
»Doch, ich denke schon, mein Schatz«, gab sie entschlossen zurück. »Ich werde dir helfen, dass du alles wieder geraderücken kannst. Wir holen Tomás Batedor zurück.«
»Soll das heißen, ich soll in die Vergangenheit reisen?«
»Na klar, was dachtest du denn?«
»Herrgott Sam, ich bin kein Historyscout. Das erlauben die niemals!«
»Ich habe nicht vor, um Erlaubnis zu fragen, Haruki!«
»Was dann? Auf eigene Faust etwa?«, brach es aus Sato heraus. »Das geht nicht, das können wir nicht tun.«
»Selbstverständlich können wir das.«
»Aber was ist mit dem Paradoxon? Es ist viel zu gefährlich. Ich habe den Vorstand doch gerade noch davor gewarnt.« Gunnarsson vollführte eine Bewegung mit der Hand in der Luft, als wollte sie seine Bedenken einfach beiseitewischen.
Und dann bombardierte sie Haruki mit Theorien von Experten wie Thorne Junior oder Niloy Akemi . Harukis Miene zeigte deutlich, dass er an Samanthas Ausführungen ernsthaft zweifelte. Nur fielen ihm keine schlagkräftigen Gegenargumente ein. Tief in seinem Inneren wollte er ihr vielleicht auch gar nicht widersprechen.
»Oder hast du eine belastbare Studie gefunden, die ich nicht kenne?« Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute ihn herausfordernd an. Sato schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Vertrau mir! Wir entfernen nur einen leptoquarkkleinen Staubpartikel aus dem Universum und bringen ihn zurück in seine Zeit. Lass uns erst mal einen Plan aushecken. Das Wichtigste ist, dass du Ruhe bewahrst und dich nicht verdächtig machst.« Sie schnappte sich einen Projektionsstift und startete damit eine Attacke auf das Holoboard.
»Und wir fangen damit an, dass wir unsere Ergebnisse schön für uns behalten. Leite nur die unwichtigen Informationen weiter. Von dem Pseudonym Thomas Wayfarer, der Buchveröffentlichung und der Anomalie in 2015 muss keiner was erfahren, nicht wahr?« Sie warf ihm einen verschwörerischen Blick zu.
Eine halbe Stunde später verließ die junge Frau mit grimmiger Entschlossenheit Satos Büro. Neben dem, was heute an regulärer Arbeit anstand, hatte sie nun ein paar zusätzliche Dinge vorzubereiten.
Als Erstes galt es ein ITER 4.0 Zeitreisetablet zu besorgen. Das würde, im Vergleich zu dem, was sonst noch auf ihrer Liste stand, ein Kinderspiel werden. Die Dinger lagen im Dutzend bei ihr in der Abteilung und wurden dort auf Zuverlässigkeit geprüft oder hinsichtlich ihrer letzten Benutzung analysiert. Vereinzelt gab es sogar Geräte, die länger als ein Jahr nicht mehr im Einsatz gewesen waren. Vermisst wurden sie dennoch nicht. Schließlich gab es genug davon und niemand wagte es, das Monitoringteam zur Eile zu drängen. Mit ihnen legte man sich besser nicht an - ein ungeschriebenes Gesetz des Hauses.
Schwieriger würde es dagegen sein, Harukis Aufbruch und Aufenthalt in der Vergangenheit zu verschleiern. Unzählige Sicherheitsmechanismen sorgten dafür, dass Missbrauchsversuche quasi unmöglich waren. Von Ausnahmen abgesehen, durften Historyscouts und ihre Tablets nur von den Transiträumen aus, ihre Reisen antreten. Jeder unautorisierte Versuch, eine portable Zeitmaschine aus der Agency zu bringen, durfte sogar durch Schusswaffengebrauch verhindert werden.
Gunnarsson war sich dieser Gefahr mehr als bewusst. Sie würde alles tun, damit Sato nichts passierte. Doch an das Sicherheitsprotokoll des Gebäudes kam selbst sie nicht heran. Kein Zugriff seitens ihrer Abteilung. Was sie brauchten, war ein effektives Ablenkungsmanöver. Etwas, dass genug Aufsehen erregte, um Sato samt ITER unbehelligt aus dem Gebäude verschwinden zu lassen.
Sie lächelte, als sie in ihrem Büro ankam. Der Gang durch die vielen gemäldegesäumten Flure des Baus, hatte sie auf eine Idee gebracht. Der Schlüssel zum Erfolg lag im Geltungsdrang des Unternehmens. Haruki und sie würden die Vorstandsmitglieder an ihrer verwundbarsten Stelle treffen - an ihrer eigenen Eitelkeit und natürlich am Portemonnaie.
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