Cordula Hamann
Abelia und die Mönchsrobbe
Die gefährliche Reise zum Palast unter den Meeren
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Cordula Hamann Abelia und die Mönchsrobbe Die gefährliche Reise zum Palast unter den Meeren Dieses ebook wurde erstellt bei
Die Mönchsrobbe
Die böse Fee Tomma
Der Aufbruch
Die Gefangenschaft
Der betrogene Bauer
Die Suche
Der alte Mann
Der Student und das Mädchen
Die Frau und das Meer
Die Vollmondnacht
Die Rede
Die Heimkehr
Ein Neuanfang
Impressum neobooks
„Lauf!“ schrie Abelia in den Sturm und stapfte ganz und gar nicht jungmädchenhaft durch die Dünen in Richtung Wasser. Wieder einmal hatte ihr die Mutter Vorwürfe gemacht, wie wenig Beachtung sie ihrem Äußeren schenkte. Hier am Strand konnte sie sein, wie sie wollte. Jeans und Pulli oder T-Shirt, die langen Haare mit einem einfachen Gummiband zusammengebunden und fertig. Andere Dinge waren schließlich wesentlich spannender.
Ihr Hund Lazarro ließ keinen Blick von dem roten Gummiball, den sein Frauchen in diesem Moment in Richtung Strand warf. Augenblicklich stürmte er los. Hier am Meer, wo Abelia jeden Abend mindestens eine Stunde spazieren ging, gab sie die Sorgen des Tages an den Wind ab und teilte die fröhlichen Ereignisse mit den tanzenden Wellen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Mutter sie schon ein einziges Mal auf ihren täglichen Spaziergängen begleitet hatte. Wie auch? Im Rock oder Kleid konnte man schlecht vor Übermut die Sanddünen herunterkugeln und Lederschuhe würden Salzflecken bekommen, wenn man nicht aufpasste und die Wellen einmal schneller kamen, als man beiseite springen konnte. Dafür begleitete sie Lazarro, ein braun-weißer Münsterländer. Er war bei ihr vom ersten wachen Moment am Morgen bis zum Einkuscheln an ihrem Fußende am Abend. Selbst auf dem Weg zur Schule in der nahen Stadt ließ er sie nicht allein. Geduldig vertrieb er sich dort die Zeit, bis Abelia das Schulgebäude am Nachmittag verließ.
Jetzt brachte er stolz den Ball zurück und ließ ihn vor Abelias Füße fallen. Als sie das Spielzeug erneut hochhob und zum Wurf ansetzte, hielt Abelia abrupt in der Bewegung inne. Ungefähr einhundert Meter vor ihr am Strand, unmittelbar an der Wasserkante, lag ein glatter, rundlicher und riesengroßer Stein. Sie kannte jeden Zentimeter des Strandes. Dieser dunkelgraue Stein gehörte definitiv nicht hierher und er konnte unmöglich vom Wasser angespült worden sein.
„Lazarro komm! Das gucken wir uns an.“
Der Hund streckte vorsichtig den Kopf vor und nahm den Duft des grauen Etwas auf, während Abelia ohne Zögern den nassen Stein prüfend betastete. Mit einem Mal wedelte Lazarro heftig mit dem Schwanz, stupste mit der Nase den Stein an, sprang etwas zurück, wagte sofort einen neuen Vorstoß und bellte dabei.
„Was hast du nur?“ Die Aufregung des Hundes lenkte Abelias Aufmerksamkeit auf ihn und so erschrak sie umso heftiger, als ihre noch immer auf dem Stein ruhende Hand eine Bewegung wahrnahm. Sofort zog sie die Hand zurück und sprang, wie zuvor Lazarro, mehrere Schritte zurück. Ungläubig beobachtete sie den großen Stein. Der riesige Berg wurde flacher und länger und der Kopf und Schwanz einer ausgewachsenen Mittelmeer-Mönchsrobbe wurde sichtbar. Wie ein Hund schüttelte sich die Robbe und unzählige Sandkörner wurden vom Kopf in alle Richtungen geschleudert. Dann sahen runde schwarze Knopfaugen über einer weichen Schnauze mit langen Barthaaren prüfend hoch. Nach dem ersten Schrecken durch die unerwartete Bewegung, verspürte Abelia keine Angst mehr. Denn sie liebte diese selten gewordenen Bewohner des Meeres ebenso wie die Delfine, deren elegante Schwimmbewegungen sie schon oft bewundert hatte. Aber eine Mönchsrobbe hatte sie noch niemals beobachten können und alles, was sie über sie wusste, war aus ihren Büchern.
Sie setzte sich in gebührendem Abstand, um das Tier nicht zu ängstigen, in den Sand und befahl Lazarro in den Platz neben sich. Er bellte nicht mehr, wedelte aber noch immer heftig mit dem Schwanz, den Hals weit nach vorn gestreckt und die Ohren zurückgelegt. Sie kannte diese Reaktion bisher nur aus Begegnungen mit den Hündinnen der Nachbarschaft. Sie streichelte ihm über den Kopf. „Dummer Hund“, sagte sie zärtlich.
„Er ist nicht dumm“, ertönte eine leise Stimme. Erschrocken drehte Abelia den Oberkörper herum und erwartete, dass ein weiterer einsamer Strandspaziergänger sich zu ihr gesellt hatte. Aber sie konnte niemanden sehen und auch Lazarro, der keinen Fremden unbemerkt an sein Frauchen lassen würde, sah unverwandt auf die Robbe. Wieder sprach jemand: „Du hast schon richtig gehört. Ich bin es. Die Robbe. Also eigentlich bin ich gar keine Robbe.“ Abelia schüttelte den Kopf, stand auf und sah in alle Richtungen den Strand entlang.
„Das kann doch nicht sein. Das gibt es doch gar nicht!“, stammelte sie und rieb sich die Augen.
„Ach, dass ihr Menschen so ungläubig seid, erschwert immer alles“, seufzte die Stimme, „vertrau einfach deinen Sinnen, Abelia.“
Jetzt sprach sie die Robbe direkt an: „Woher – woher weißt du meinen Namen?“
„Lazarro hat sich und dich vorgestellt.“ Mit aufgerissenen Augen starrte Abelia ihren Hund an.
„Wie? Du kannst auch sprechen? Spinnt ihr jetzt alle?“ Sie drehte sich in Richtung des Wassers, stemmte die Arme in die Hüften und sprach zu sich selbst: „Nein, jetzt mal langsam. Es ist der Sturm und ich bin es, die jetzt gerade spinnt. Oder doch nicht?“ Entschlossenen drehte sie sich zurück und ließ sich in den Schneidersitz herunter. „Also gut. Du, Robbe, kannst sprechen und du, Lazarro, hast mich die ganze Zeit gefoppt, weil du auch sprechen kannst. Warum hast du das die ganzen Jahre vor mir verheimlicht? Nicht sehr nett von dir.“ Der Hund rutschte näher an sie heran und leckte mit der Zunge über ihre Hände.
„Du tust ihm Unrecht. Er kann wirklich nur die Hundesprache sprechen“, ertönte es wieder aus dem Robbenmaul. Jetzt sah Abelia ganz genau hin und tatsächlich: Sie konnte die kleinen Schnauzenbewegungen der Robbe sehen, als diese sprach.
„Aber wieso kann er dann offenbar mit dir sprechen? Du bist kein Hund.“
„Ja und nein“, antwortete die Robbe. „Es ist Ebbe. Ich muss ein wenig weiter rutschen. Entschuldigt mich einen Moment.“
Während sich auch Abelia und Lazarro näher an die Wasserkante setzten, erklärte die Robbe: „Ich war ein Hund. Genauer eine Deutsche Dogge. Ich heiße übrigens Almut. Blöder Name, oder?“
Lazarro gab einen kurzen Knurrlaut von sich, wedelte dabei aber freundlich mit dem Schwanz. Abelia kam es so vor, als verstünde er jedes Wort, das Almut von sich gab. Und als ob die Robbe ihre Gedanken hören konnte, sagte sie: „Lazarro kann mich ebenso wie dich verstehen. Dummerweise ist uns Hunden nicht die Möglichkeit gegeben, die Menschensprache zu lernen.“
„Aber im Moment bist du doch nun eine Robbe? Eine Robbe, die sprechen kann. Erzählst du uns, was passiert ist?“
„Musst du nicht nach Hause?“
Erschrocken stellte Abelia mit einem Blick auf ihre Armbanduhr fest, dass es bereits weit über die Zeit hinaus war, zu der sie normalerweise am Strand umkehrte, um noch im Hellen zu Hause sein zu können. Ihre Mutter würde wütend werden und ihr Vater würde sich Sorgen machen. „Es ist eine lange Geschichte“, fügte Almut bekräftigend hinzu. „Ich werde sie euch morgen erzählen.“
„Wo finden wir dich?“, fragte Abelia.
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