Jacques Varicourt - Parcours d`amour

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Das Buch handelt davon: Wie sich Leute kennen lernen, die nach oben wollen, weil die Umstände sie dazu treiben. Jeder hatte, vorab, ähnliche Startbedingungen, aber auch verschiedene Antriebe. Und dennoch, die Hassliebe ist immer ein Teil des gemeinsam erkämpften Erfolgs. – Ohne «Hassliebe» geht es anscheinend nicht.

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Die Bewässerungsanlage

„Weißt du was eine Bewässerungsanlage ist?“ Fragte mich Teufel. „Nicht so richtig, wenn ich ganz ehrlich bin,“ war meine Antwort. Also ging Teufel mit mir nach oben in den ersten Stock. In einem großen Zimmer erblickte ich dann eine Plantage von gut gedeihten Hanfpflanzen, die auf das gesamte Zimmer verteilt in Kästen wuchsen. Die Kästen wiederum waren in der Mitte miteinander verbunden. Überall waren große Rotlichtlampen zu erblicken. Und eine, an der Wand angebrachte Bewässerungsanlage, versorgte die Pflanzen mit dem kostbaren Nass, welches in großen Mengen beansprucht wurde. Teufel strahlte bei dem Anblick wie ein Honigkuchenpferd, Stephan schnarchte in einem anderen Zimmer, und ich starrte auf die Drogenplantage inmitten des vornehmen Eppendorfs. Auch hier wieder, im Nachhinein betrachtet, blieb mir der Eindruck des Unglaublichen, welches das Ganze zu dem Zeitpunkt, auf mich machte, erhalten. Ich war baff... baff, baff, baff. Teufel war also ein Dealer? Ein Abhängiger? Ein Irrer? Antworten auf meine Fragen bekam ich vorläufig nicht, aber ich konnte warten. Während wir also wieder zurück ins Wohnzimmer gingen, bot Teufel mir etwas Gras an - ich lehnte dankend ab. Mir kam das nach wie vor alles sehr suspekt vor. Abwartend wie Teufel mir die Situation erklären würde, war ich auf alles gefasst. Ich sah Teufel ins Gesicht, doch da war nur Verzweiflung zu erkennen, er war nämlich voll auf Droge - vollkommen abhängig. Er hatte sich nicht im Griff. Die Zigaretten die er während des Interviews geraucht hatte, waren allesamt Joints gewesen. Was in dem Gras noch zusätzlich steckte, wagte ich nicht zu vermuten, aber der Gedanke an Heroin oder Opium, war nicht so ganz abwegig. Da ich unter einer leichten Erkältung litt, war mir der typische, süßliche Geruch vom Cannabis nicht sofort aufgefallen. Reines Hasch war nicht so gefährlich, als dass man davon derartig abhängig werden konnte, das wusste ich. „Ich entziehe vom Koksen,“ sagte mir Teufel plötzlich. „Ich versuche mit Hilfe von Gras/Hasch meinen Kokainentzug selber zu steuern, den Entzug zu überdecken. Ich bin seit Jahren immer mal wieder in Therapie gewesen, aber ich habe es nie geschafft. Anfangs glaubte ich, Stephan wäre eine Hilfe für mich, aber du siehst ja selbst, was mit ihm los ist. Nicht nur dass wir beide pleite sind, wir sind auch so, in jeder Hinsicht, fertig mit dem Leben. Es gab in meinem Leben extrem fette Zeiten, nun ist alles nur noch mager und dürftig, und ich selbst bin „Be-dürftig“. Ich versuche mich mit der Dealerei über Wasser zu halten. Für mich ist dieses Buch über „dich“ die letzte Chance aus dem Teufelskreis auszubrechen. Meine Berühmtheit, mein angebliches Geld, all das ist mehr Schein als sein. Die Öffentlichkeit glaubt mir zwar, dass ich wohlhabend bin, aber dem Finanzamt kann ich nichts vormachen, die wissen am besten Bescheid. Ich hatte in der Vergangenheit zu sehr auf die Tube gedrückt. Thailand, Afrika, Florida, das „war“ alles einmal. Heute freue ich mich schon über einen Wochenendurlaub auf Sylt. Ich bin abgestürzt und komme nur mühsam wieder hoch, aber dank meiner Verbindungen, und meines kleinen Hobbys, sehe ich in eine bessere Zukunft.“ Die Ehrlichkeit von Teufel war erschreckend, sie förderte meinen Argwohn gegen Leute des öffentlichen Lebens. Alles war nur Kulisse, für die, die ein Leben lang - blind rumlaufen, und hier in Eppendorf war es besonders schlimm. Hinter den mit Blumen verzierten Fenstern lag eine Wahrheit, die „ich“ als bedauernswert einstufen würde, aber mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Allerdings wurde mir immer klarer, was mit mir geschah. Ein Profijournalist wie Teufel war also am Ende - im journalistischen Sinne, denn sein Geld zum Leben machte er ja mit dem Verkauf von Drogen. Eitelkeit und Erfolgszwang, hatten sich bei ihm zu einer unüblichen Idee entwickelt. Er suchte eine neue Story, um aus dem Sumpf der Erfolglosigkeit wieder empor zu steigen. Gut! Ich spielte die ganze Scheiße bis zu einem gewissen Grad mit, aber Kohle musste bei einer solchen Aktion natürlich auch über den Tisch wachsen. An seiner Drogenplantage war ich nicht sonderlich interessiert, aber an dem zu erwartenden Erfolg des Buches; denn ich war mir sicher, es würde ein Erfolg werden. Ich verschwieg übrigens sehr gekonnt, allerdings nur vorläufig, dass ich meinerseits, ebenfalls an einem Buch arbeitete. Nämlich an dem, welches „Sie“ (die Leser sind gemeint) hier gerade lesen. Teufel ahnte davon noch nichts. Ich behielt es auch für mich, weil ich ihm immer noch nicht hundertprozentig vertraute. Zu viele negative Eindrücke des Gesamten, das Haus, die Fragen, die erstaunliche Hanfplantage, seine angebliche Erfolglosigkeit, das etwas zu schwule Gebaren - all das passte nicht genau zueinander. Die Abstimmung auf den einen oder den anderen Aspekt irritierte mich. Ich war misstrauisch durch und durch, aber ich wollte natürlich nicht meine Chancen in Bezug auf viele schöne Euros versauen, indem ich zu schnippisch in meinen Antworten war. Professionalität und Fingerspitzengefühl waren hier gefragt. Und ein Anscheißer, im elegantesten Sinne, war ich sowieso schon immer gewesen, sonst wäre ich im Leben nicht so weit gekommen. Sicherheitsdenken auf lange Sicht, hatte mich zu dem gemacht, was ich war, aber auch mir waren natürlich Fehler unterlaufen, ein ganz besonderer selbstverständlich, denn sonst hätte mich Teufel ja nicht ertappt, bei dieser verdammten Party, im Funkhaus des Senders. Ich war in der Tat besoffen gewesen, an jenem Abend, und hatte mächtig dick aufgetragen. Teufel hatte als Einziger genau zugehört, was ich lauthals verkündet hatte, und nun hatte ich den Salat. Ich saß in der Patsche. Also, musste ich aus der Situation das Beste machen. Und schon formulierte Teufel die nächste Frage, trotz all meiner Weigerungen, bestand er erneut auf das Thema Drogen... wer, wann, was genommen hatte und vielleicht noch nimmt. Teufel fragte eigentlich nicht, er suchte wiederholt die Bestätigung, das Wissen seiner eigenen Beobachtungen, die er damals gemacht hatte, und heutzutage immer noch macht, weil er im Grunde genommen ein hinterhältiges Schwein ist, der Leute nur anscheißt, um daraus Erfolg und Gewinn zu erzielen. „Nun spuck schon aus,“ sagte er zu mir, „du musst doch auch etwas davon mitbekommen haben, von der ganzen Drogenscheiße?“ Ja, ich hatte sogar etwas „sehr viel“ davon mitbekommen - zwangsläufig. Dennoch nervte mich die Frage einfach ungemein. Es ist nicht meine Art Leute aufgrund ihrer Süchte anzuscheißen, das überlasse ich Leuten wie Bert Teufel. Jeder ist doch selbst für seinen Körper verantwortlich. Und wie stark er ihn (den Körper) fordert, bleibt auch ihm/ihr letzten Endes ganz allein überlassen. Doch Teufel ließ einfach nicht locker. „Gut, gut,“ sagte ich, „ich gebe des Geldes wegen nach. Es gibt mehrere Typen und Schätzchen die ich kennen gelernt habe, die ohne ihre Dröhnung nicht mehr aus dem Hause gingen. Eine samstägliche Sendung, mittlerweile abgesetzt, bestand unter anderem aus einem Moderator, dem der Schnee förmlich aus der Tasche rieselte. Er war immer gut drauf, aber er hatte im Laufe der Zeit die Dosis so stark erhöht, dass er seinen Dienst nicht mehr verrichten konnte. Außerdem stand er im Verdacht HIV-positiv zu sein, weil er auch gelegentlich spritzte. Somit galt er für den betreffenden Sender als untragbar, obwohl die Chefredaktion selber komplett schwul und ebenfalls auf Droge war, schwul und schwul, abhängig und abhängig, ist eben auch beim Fernsehen, und das ist sonderbarerweise und anscheinend, ein Unterschied. Aber der Moderator verfügte über genügend Geld, sowie andere Angebote, von privaten Sendern, um sich von diesem einen öffentlichen rechtlichen Sender beurlauben zu lassen. Er ging nicht im Zorn, sondern sein körperlicher Zerfall machte sich deutlich spürbar, es gab keine andere Möglichkeit, obwohl er sich später, auf wundersame Art und Weise, wieder erholt hatte. Die Maskenbildner taten dabei wohl ihr Übriges, und man könnte ihn, wenn man ihn so sieht, wirklich als neugeboren bezeichnen, trotz der furchtbaren Erkrankung. Der anfängliche Verdacht (HIV/Aids) hatte sich nämlich unglücklicherweise erhärtet, beziehungsweise bestätigt. Und so sieht es bei vielen anderen auch aus. Doch „man“, also die Mehrheit, die Verantwortlichen meine ich, schweigt - bzw. schweigen.“ Teufel sah mich so eigenartig an. War er auch positiv oder vielleicht sogar noch mehr? Oder spielte er seine Rolle so perfekt, dass selbst ich darauf hereinfiel? Teufel war vom Erfolg besessen, er machte alle Modeerscheinungen mit, um immer als erstes die große Kohle einzusacken. Er war nicht allein mit dieser Einstellung, aber er war der Zäheste, niemand konnte ihm das Wasser reichen, wenn er (der teuflische Teufel) zur Höchstform auflief. Ich trank noch ein Bier und erwartete eine Reaktion von Teufel, aber es kam keine, jedenfalls keine die ich erwartet hätte, denn ich dachte, HIV und Aids, sind absolute Tabuthemen, doch allem Anschein nach nicht... Als normal, Sexuell-Veranlagter ist es mir schwer gefallen, das Thema so auf diese Weise anzusprechen. Berührungsängste quälten mich bisweilen. Teufel merkte das. Er wusste Bescheid. „Rede ruhig weiter,“ sagte Teufel zu mir, dabei tippte er weiterhin fleißig in seinen Laptop hinein. Teufel war mittlerweile vom Rauch des erneuten Joints umnebelt und in bester Laune. Er schwebte, gedanklich, durch eine Welt aus Wahnsinn und abstrakter Wirklichkeit, dabei vergaß er allerdings nicht zu tippen. Und ich bemerkte die „Droge“ selbst, „das“ war sein Thema, sie stand noch vor seiner Lieblingsbeschäftigung „SEX“, ich meine einmal abgesehen von Geld und Erfolg. Sex, so wie er ihn verstand ist damit gemeint, sowie all die anderen in der Branche, die so waren wie er. Alle verband etwas, - es war Veranlagung, es war Triebhaftigkeit und immer neues unverbrauchtes Fleisch, um den Trieb, um den sich, allem Anschein nach, alles drehte, ausreichend zu befriedigen. Teufel war der Regisseur in einem Drama, welches seinen eigenen Untergang mit beschrieb. Er (Teufel), ließ sich durch mich, durch meine Beobachtungen, meine Erfahrungen, seine eigene Geschichte erzählen. Die er dann hastig aufschrieb, mit den Worten eines anderen - also mich, Veränderungen waren inbegriffen. Aber da ich von ihm, für meine Aussagen, für meine Erkenntnisse, bezahlt werden sollte, ich selbst war ja ziemlich pleite zu dem Zeitpunkt, aufgrund dessen erzählte ich ihm, was er hören wollte. Nur ich hielt mich gänzlich an die Wahrheit. Die Wahrheit im Nachhinein verschönern, verdrehen, das konnte nur er, denn ich habe niemals (vorläufig) in seinen Laptop hineingesehen, auf den Bildschirm meine ich, den er dauernd, mit einer begierigen Freude voll schrieb. „So ähnlich,“ dachte ich, „könnte es bei der Bildzeitung ablaufen, wenn ich „nur“ (also ausschließlich) lügen würde.“ Und meine Vermutung lag gar nicht so weit entfernt, denn zwischendurch gestand mir Teufel, dass er für die Bildzeitung, in erster Linie, erfundene Artikel über/gegen Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger geschrieben hatte. „Hört, hört.“ Teufel seine gesprochenen Worte wurden deutlicher: „Die Bildzeitung ist wie verrückt, wie verwandelt, wenn es sich um einseitige Hetze gegen sozial Schwache handelt. Sie ist nicht der Anwalt des kleinen Mannes, sondern sein Henker. „Die sexuell Abartigen“ (egal wer damit auch gemeint war!) finden bei der Bildzeitung ein warmes Nest vor, das sie dann nicht mehr missen möchten. So etwas ist auch eine Art von Suchtverhalten, das allerdings einen geringeren Preis hat.“ So sagte es mir Bert Teufel und er hob dabei die Hand wie zum Schwur, „was für eine ergreifende Szene“ schoss es mir durch den Kopf. Es wirkte im ersten Moment dümmlich auf mich, aber der Sinn, im Eigentlichen, war mir nicht entgangen. Warum er aber der Bildzeitung den Rücken gekehrt hatte? Diese Frage ließ er, zur Abwechslung, vorerst einmal unbeantwortet. Er verzögerte eine ehrliche Antwort, er hatte wohl seine Gründe. Also wartete ich ab. Und nach einem unendlich langen Moment, gab er plötzlich, für mich unerwartet, dann doch bereitwillig Auskunft: „Im Oktober 1992 machte der ostdeutsche Bildzeitungsmitarbeiter „Bernd Prawitz“ eine derartig beschissene Fotoreportage über Obdachlose in Hamburg, dass ich mich nur noch mit Grauen zurückerinnere. Auch die Redaktion- und die „Reaktion“ der Bildzeitung war bitterlich enttäuschend gewesen. Man hatte von Bernd Prawitz wohl zu viel erwartet. Bernd Prawitz war eben nur ein drittklassiger Provinzschreiberling, außerdem politisch, linksseitig vorbelastet. Der dringende Verdacht der Stasimitarbeit in der DDR, konnte bei ihm nie so ganz ausgeräumt werden. Er selbst wehrte sich zwar immer gegen solche Vorwürfe, aber seine stammelnden Erklärungsversuche waren eher dürftig, um nicht zu sagen stümperhaft. Prawitz war ein cholerischer Volltrottel, ein Spinner und ein Wichtigtuer. Er hatte sich für seine Reportage als Penner, mit Bierdose, alten Klamotten und einem -Zwanzig-Tage-Bart- auf St. Georg herumgetrieben, um das Leben der Hoffnungslosen hautnah mitzuerleben, leider interessierte das niemanden, weder den Armen und Kranken, mit denen er sich zu solidarisieren versucht hatte, noch die armen Leser jener Zeitung, die sich allen Ernstes für überparteilich hält. Prawitz bekam daraufhin von irgendeinem Vorgesetzten einen gezielten Tritt in seinen ostdeutschen, aufbrausenden Arsch. Aber er verlor seinen gutbezahlten Job nicht, sondern er wurde aus Ost-Mitleid (Gnade vor Recht) mit durchgezogen. Was er heute macht? Prawitz und seine Familie leben in einer zweitklassigen Eigentumswohnung in Ottensen - Holstenring 18. Einsam, und von den Nachbarn argwöhnisch beobachtet. Denn das Auftreten der Familie Prawitz entspricht dem eines wildgewordenen Kampfhundes der nicht zu bändigen ist. Tja, so ist das nun einmal. Sozialromantik, gerade, wenn es sich dabei um Leute wie Familie Prawitz handelt, ist eben nicht immer angebracht, überflüssig ist es ohnehin, und die Bildzeitung tut ihr Übriges. Sie verkauft trotzdem weiterhin das, was die Leute lesen wollen: Erfundene Geschichten mit einer Prise Sex, Koks und auch ein bisschen Schwachsinn, macht sich immer mal wieder gut, gerade in Verbindung mit einem Promi, oder einem erfolgreichen Modedesigner. „Was für Drogenerfahrungen hast du selber gemacht?“ Fragte mich Teufel. „Hast du jemals richtig gehascht, geschnupft oder Tabletten eingeschmissen? Du als Musiker/Komponist und angehender Schriftsteller? Du warst doch auch auf nicht gerade wenigen Partys anzutreffen, und was da so abgeht ist doch hinlänglich bekannt, oder etwa nicht?“ Das war mal wieder typisch, nicht nur typisch für Teufel, sondern für alle, die so behämmert waren, und sind, wie er. Manchmal kotzen mich gewisse Leute mit ihren Scheiß-Fragen einfach nur noch an. Wenn man Musiker ist, oder sich sonst irgendwie künstlerisch betätigt, ist man automatisch für die gesamte Gesellschaft jemand der Drogen nimmt. Oder man ist sonst in irgendeiner Form jemand der exzessiv hervortritt, der „es“ schlicht und ergreifend muss. Doch dazu gleich mehr. Ich deutete, während ich mich im tiefsten Inneren ärgerte, auf die Uhr an der Wand. Noch ein paar Minuten, dann wollte ich gehen, und ich verschob somit die Antwort, die Teufel so sehnsüchtig erwartete, auf einen der nächsten Tage. Teufel war zwar mit einem gequälten Gesichtsausdruck einverstanden gewesen, aber so richtig in den Kram passte ihm mein Aufbruch nicht. Wir verabredeten uns, trotzdem, auf den nächsten Freitag. Dann wollte er mich zum zweiten Mal interviewen. So erhob ich mich, leicht beschwipst, aus meinem Sessel, um zu gehen, so gut es ging. Teufel begleitete mich zur Wohnungstür, und ich schwankte zur naheliegenden U-Bahn Station, um nach Hause zu fahren. Als ich mich in meiner Wohnung auf mein Sofa fallen ließ, fingen meine Gedanken an zu kreisen. Ich dachte an alles Mögliche, außerdem war ich vom Wodka mit O-Saft, und vom Bier reichlich angesoffen, nicht nur beschwipst, wie ich anfangs vermutete, ich war voll. Total voll. Ich brauchte endlich Schlaf. - Als ich am nächsten Morgen aus den Federn fiel, goss ich mir erst einmal ein, oder zwei - oder auch drei Glas Lambrusco ein und duschte danach ausgiebig. So gegen 9:30 Uhr klingelte dann mein Handy - es war Michael Jürf, ein ehemaliger Arbeitskollege und mittlerweile ein mittel-dufter Kumpel - auf den ersten Blick allerdings nur. Jürf lud mich lallend zum Frühschoppen nach „Sonja“ ein, so nannten wir die Altengrab-Kneipe in der Neuen Straße in Hamburg-Harburg. Ich war einverstanden und machte mich auf den Weg. Dort angekommen, saß Michael bereits, vom Kampf gegen den Alkohol gezeichnet, in der äußersten Ecke. Nach einer üblichen „Hallo wie geht’s?“ Begrüßung, bestellte auch ich mir etwas Alkoholisches, trotz des Wodka-Vortages. Anneliese, ehemalige Lebensgefährten meines Cousins „Thomas“, nahm meine Bestellung, mit der für sie so typischen Gleichgültigkeit zur Kenntnis. „Geht gleich los,“ sagte sie. Anneliese brauchte immer eine Weile, bevor sie mir mein Bier und meinen Jägermeister auf den Tisch stellte, so geschah es auch heute. Dann, nach dem Servieren, verließ sie unseren Platz und begab sich Richtung Tresen, um die nächste Bestellung anzunehmen, dabei noch einen giftigen Blick Richtung Tür werfend, falls ein weiterer Gast auftauchen sollte, doch dann setzte sie sich wieder auf ihren Hocker, und rauchte genüsslich eine selbstgestopfte Zigarette. Ich erzählte Michael unterdessen von dem Besuch bei Bert Teufel und der Bewässerungsanlage. Michael hörte, durch gelegentliche, von ihm ausgehende, alkoholbedingte, stotternde Zwischenkommentare unterbrochen, todmüde zu. Ich redete und redete in der Erwartung, er würde meinen Frust verstehen den ich hatte, mit dieser Interview-Geschichte. Jedoch Michael war zu sehr mit seiner Bierflasche beschäftigt, als dass er mir gegenüber wirkliches Interesse zeigte, während ich mit den Händen gestikulierend, das Gespräch am Laufen hielt. Michael machte sich so seine eigenen Gedanken zu dem Thema, obwohl er beim Sprechen, das heißt, beim Kommentieren meiner Erlebnisse starke Ungenauigkeiten hatte, denn der Alkohol hatte bei ihm bereits die Wirkung gezeigt, welche ein Gespräch mit ihm zunehmend erschwerte. Eigentlich war er ja auch nur eine alte, von den Eltern verwöhnte Saufnase, aber der Gedanke, Cannabis in der einen oder auch der anderen Form einmal zu probieren, faszinierte ihn offensichtlich. Er erkundigte sich bei mir ob ich ihm etwas Stoff besorgen könnte, er wollte es mal testen, nur mal so... als ich mir Michael in dem Moment ansah, wie er da saß mit seiner Stirnglatze, seiner uralten, ergrauten Second Hand Jacke, seinen angesoffenen Augen, seinem sichtlich angeschlagenen Bewegungsrhythmus, da dachte ich mir: „Ja, warum sollte Michael, der mich seit meiner Finanzkrise aufopfernd mitdurchschleift - kneipentechnisch gesehen, nicht ruhig einmal Hasch ausprobieren, denn in seinem Gehirn kann man sowieso nicht mehr viel beschädigen.“ Einer wie er, der sein gesamtes Leben den Kneipen in Hamburg und Umgebung gewidmet hat, der braucht etwas Neues zum Genießen. Geld hatte er ja genug. Seine wohlhabenden, etwas einfältigen Eltern versorgten „ihn“ den Dauerarbeitslosen, reichhaltig mit Euros, damit Michael seinen Lebensstandard, trotz so mancher unangenehmer, wirtschaftlichen Krise, aufrecht erhalten konnte. Und er war darüber hinaus immer großzügig, das war auch der einzige Vorzug den er hatte. Ja, ohne überheblich wirken zu wollen muss ich zugeben, dass Michael Jürf, im Gegensatz zu mir, ein gern gesehener Gast in Hamburgs Kneipen war und ist. Er war sympathisch aufgrund seiner Primitivität, er furzte, er rülpste und er benahm sich in jeder Hinsicht wie ein Prolet. Aber Michael hatte die Geldmittel, die ihm ermöglichten, so ein Verhalten immer wieder neu und drastisch zu kompensieren. Das heißt, Michael sucht(e) eigentlich eine Freundin, aber er weiß selbst, dass man mit solchen Suffauftritten, die er sich fast täglich leistete, nicht nur Eindruck im positivsten Sinne macht, sondern, dass man auch zum Kneipenheini mutiert. Ob man dann noch für voll genommen wird, gerade von einer reizenden Frau, ist eher fraglich. Aber nichts desto Trotz, wir waren und sind einander gut bekannt. Wir haben denselben Humor, und uns zieht es immer wieder zur Reeperbahn, ins verruchte St. Pauli, zu den Mädchen der Nacht, zu dem Rotlicht, welches alle Makel und alle düsteren Gedanken überdeckt, und welches außerdem eine Illusion hervorruft, die ich als „wahnsinnig geil“ beschreiben würde. Michael Jürf wurde hier auch regelmäßig wahnsinnig, im krankhaftesten Sinne den man sich vorstellen kann, er war und ist seelengestört. Der Kiez hat zwar seinen eigentlichen Charme verloren, Gewalt und Mord dominieren dort seit Jahren, aber es ist trotzdem immer wieder erlebenswert die Herbertstraße zu durchwandern, um sich dann an den wohlgeformten Körpern der schönen Frauen zu erfreuen, zu ergötzen, und dabei den steif gewordenen Schwanz zu spüren, wie er sich gegen den Reißverschluss der Hose drückt. Man ist wie berauscht von der makellosen Symmetrie der Brüste, der Beine und des knackigen Gesamteindrucks, den diese, von Gott geschaffenen Geschöpfe herzeigen. Eine neue Generation von Frauen ist zurzeit der Anziehungspunkt der allgemeinen Lust. Sie sind ca. 18 bis 25 Jahre alt. Ein Wunder an Sexappeal, und sie sind die wahre Sünde, sie sind die Sünde: Die von den Religionen verteufelt wird, aber es ist eine besondere Sünde, der kein Mann widerstehen kann. Leider sind die Preise dementsprechend hoch. Leider, leider, leider,... Michael und ich planten trotzdem einen etwas größeren Kiezbesuch in ferner Zukunft. Denn der Frühling stand vor der Tür, die Hormone drohten mal wieder verrückt zu spielen, und wir konnten den Anblick der Frauen einfach nicht vergessen. Wir redeten uns gegenseitig heiß. Denn man schwärmt nicht nur vom Kiez, man erlebt ihn, man genießt ihn, man lässt sich führen und man wird letzten Endes verführt. Michael wurde aufgrund dessen, aufgrund meines Erzählens, wieder nüchtern. Er stimmte mir zu, dass wir den nächsten Kiezbummel ausführlicher gestalten sollten, denn beim letzten Besuch der Herbertstraße, war Michael derartig angesoffen gewesen, dass er laut keuchend, stöhnend und einen brumpfenden Hirsch imitierend, durch die dunkle Gasse der sündigen Meile gezogen war, und das direkt an meiner Seite. Ich lachte, alle in der kleinen Straße lachten, nur die Mädchen hinter ihren Fenstern warfen dem dahintorkelnden Michael Jürf einen verächtlichen, kopfschüttelnden Blick zu. Aber das interessierte ihn nicht. Er ignorierte es ganz einfach, weil er nichts mehr merkte. Michael war in seinem Element gewesen, in jenem, vielleicht sogar schon, historischen Moment für ihn. Besoffen, laut, fernab jeden guten Geschmacks, schleppte er sich an den erleuchteten Fenstern, der leicht bekleideten Schönheiten vorbei. Jeder Busen, jeder leicht gebräunte Körper, jedes hübsche, vor allem jedes junge Gesicht, fand seine begeisterte Anerkennung. Die Begeisterung der Mädchen, in Bezug auf Michael, war allerdings sehr verhalten. Sie hielten ihn für einen durchgeknallten, aus der Kontrolle geratenen, Idioten. Und damit lagen sie gar nicht mal so fern - allerdings im erfreulichsten Sinne, muss man hinzufügen. Ich ging daraufhin, etwas Abstand haltend, hinter ihm her... Und so sollte es wieder sein, so lustig, - beim nächsten Mal, nur nüchterner. Dieses und vieles mehr besprachen wir in der Altengrab-Kneipe in Harburg und der Termin rückte in der Tat immer näher. Es war ein Sonntag, an dem wir spontan beschlossen, zum Kiez zu fahren, so geschah es auch. Dort angekommen, stürzte sich Michael heißhungrig auf eine nahegelegene Imbissbude. Michael entschied sich für Fettes und Nahrhaftes vom Grill. Die Bedienung erfolgte prompt. Schinkenwurst und Pommes frites schmatzend, erklärte Michael dem Inhaber des Imbisses, im Groben, die Unterschiede zwischen Frikadelle, Schinkenwurst und Currywurst. Der Besitzer des Imbisses sah mich erstaunt an. Auch ich war durchaus überrascht, was dieser Anfall von Bildung seitens Michael bedeuten sollte. Aber diese Bildungslücke blieb für mich und für den Imbissbudenbesitzer ungeklärt, denn Michael schmatzte lustig, munter weiter, er ersparte uns eine detaillierte Erklärung seiner Analyse. Doch dann, nachdem Michael vorerst gesättigt war, gingen wir weiter zum Silbersack, eine der bekanntesten Kneipen auf St. Pauli. Der durstige Michael bestellte Bier und Korn, um so seinen gedehnten Magen zum Entspannen zu bewegen. Hastig und unkontrolliert ließ er den Alkohol durch seine Kehle fließen. Der Abend verlief ausgesprochen harmonisch. Nicht nur, weil Michael, allen Erwartungen zum Trotz, friedlich, um nicht zu sagen „menschlich“, auftrat, nein, er hatte sich richtig im Griff. Allzu viele Nackenschläge, Verbalentgleisungen und unangenehme Primitivfehltritte in der Vergangenheit, hatten ihre Wirkung gezeigt - von anderen, die ihn zurechtgewiesen hatten. Michael Jürf war auf dem besten Wege, sich zu einem normal trinkenden Zeitgenossen zu entwickeln. Eine begrüßenswerte und vielleicht erfreuliche Tatsache, auch wenn diese Entwicklung letzten Endes bei ihm fehlschlug. - Am darauffolgenden Montag trafen wir uns, zum Nachtrunk, in der etwas schummrigen Bahnhofskneipe von Ingo Wilff. Mitten im Harburger S-Bahnhof gelegen. Klein, dunkel, klebrig, unsauber und ein bisschen gammelig. Das Besondere an dieser Kneipe sind die Angestellten. Mit nur einer Ausnahme arbeiteten hier ausschließlich Menschen die es im Leben zu rein gar „nichts“ gebracht haben. Allen voran eine gewisse Christiana. 46 Jahre alt, ketterauchend, ungepflegt, schlechte Zähne, affenähnliche Gesichtszüge, aggressiv und eine Intrigantin aller erster Güte. Sie sieht aus wie eine ehemalige Heroinabhängige, die es mit Mühe und Not (Methadon-Programm) geschafft hat, in der Gesellschaft der Gestrandeten, dennoch wieder einen Fuß auf die Erde zu setzen. Vielleicht ist sie auch HIV-positiv? Ich will da nichts behaupten, aber aussehen tut sie auf jeden Fall so. Christiana ist asozial, hinterhältig, schleimig und gewöhnlich, im negativsten Bild das man sich vor Augen halten kann. Sie mischt sich in jedes Gespräch ein, und erhebt für sich den Anspruch „etwas Besseres“ zu sein, weil sie es ja aus ihrer Sicht wieder geschafft hat - glücklich ist, wer vergisst. Sie versammelt innerhalb der Bahnhofskneipe, immer mal wieder, in der sogenannten warmen Ecke, „die Männer“ um sich herum, die alleinstehend, und sich, sexuell gesehen, in sogenannten Orientierungsprozessen befinden. Befinden? Was? Oh ja! So mancher Kerl wird auf seine alten Tage schwul, das ist nun mal so. Christiana selbst, die durch ihr maskulines Auftreten, Gehabe und Getue inbegriffen, viel Verständnis für die bestimmten Herren zeigt, fühlt sich in dieser Rolle (als die Verständnisvolle) durchaus wohl. Sie genießt ihre angeborene Zwittrigkeit, sowie ihr stark männliches Gebaren, welches mehr als offensichtlich ist. Es ist ihr eigenartiges Aussehen, das sie aus der Masse des Normalen heraushebt. Ihre alte, runzelige Gesichtshaut ist bereits zu Leder geworden, und ihr Bauch wölbt sich unter einer viel zu engen, sowie, viel zu alten Jeanshose hervor. Die Fingernägel sind brüchig, dreckig, abgekaut und unansehnlich geworden, das Nikotin tut sein Übriges. Auch ihr Friseur hat es allem Anschein nach aufgegeben, ihr eine vernünftige und moderne Frisur zu verpassen, denn zerzaustes, selbst gefärbtes Haar, so wie sie es bevorzugt, sieht nicht bei jeder Altersgruppe gut aus. Und ihre Gesichtszüge entwickeln darüber hinaus immer wieder neue, abstoßende, ekelerregende Variationen. Ääähhh... Im Umgang mit der Kundschaft fällt der schlechte Eindruck den sie macht besonders auf. Ja, es liegt beinah die Vermutung nahe, dass sie wieder voll auf Droge ist - es aber gut verbergen kann. Trotzdem, ihre Augen sind immer leer, unfreundlich, beängstigend, sowie böse und aus medizinischer Sicht gesehen „krankhaft belastet“. Christiana hatte mehrfach, auch in meinem Beisein, Michael Jürf geraten, für mich kein Bier auszugeben. Christiana konnte es nämlich nicht ertragen, dass jemand überhaupt, jemanden etwas schenkt, oder jemanden auch nur hilft, wenn es ihm nicht so gut geht. Ihre angeknackste Psyche ließ so etwas wie Freundschaft und Kumpelei nicht zu, weder unter Frauen noch unter Männern, und Geschenke schon mal gar nicht. Denn sie selbst war immer allein gewesen in einer Welt, die eigentlich freundlich ist, in der die Persönlichkeit zählt, in der Gutes ankommt und nicht Verletzendes, beziehungsweise jenes bereits erwähnte Böse. Leider hat sie weder das eine noch das andere, ich meine von den guten Eigenschaften. Sie ist eine Hexe mit einem Persönlichkeitskonflikt, der ihr das Leben unbewusst zur Qual macht. Den Ausgleich sucht sie, vermutlich, in Alkohol und Drogen. Es würde mich nicht wundern, wenn auch sie über eine Bewässerungsanlage verfügen würde, um ihrer Sucht den notwendigen, zuverlässigen Nährboden zu geben. Was für eine armselige Frau? Selbst die Höllenengel werden ihr eines Tages den Zutritt in das Reich der Finsternis verwehren, weil Christiana auch den Teufel (nicht Bert Teufel ist gemeint) hintergehen und bescheißen könnte. Daran kann man einmal sehen, dass auch die Hölle nicht jeden so ohne weiteres hinein lässt. Und im Fall von Christiana ist das wohl auch ratsam und empfehlenswert. Arme Teufel, alle miteinander.

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