Eva Markert - Prinzessin Feuerrose und die Schneerosenelfen

Sie schwebten in die kühlen Schatten unter den Tannen hinein und flogen geräuschlos zwischen den borkigen Baumstämmen hindurch.

Auf einmal stieß Honigrose einen schrillen Schrei aus.

Vor Schreck verlor Feuerrose das Gleichgewicht und taumelte durch die Luft wie ein betrunkener Schmetterling.

„Jemand will mich fangen!“, quiekte Honigrose.

Feuerrose blickte sich hastig um. „Hier ist niemand.“

„Ich hab es aber genau gemerkt.“

Beiden Prinzessinnen zitterten vor Schreck die Flügel und sie mussten sich erst mal auf einen Tannenzweig setzen.

„Vorsicht! Die Tannennadeln pieksen!“, rief Feuerrose. Plötzlich riss sie die Augen auf. „Dein Kleid ist ja hinten ganz zerrissen!“

Honigrose wurde bleich. „Siehst du“, wisperte sie, „das ist der Beweis: Mich hat wirklich jemand festgehalten.“

Feuerrose grinste. „Ich würde eher sagen, dich hat etwas festgehalten. Guck dir mal den Zweig an, auf dem wir sitzen. Bestimmt bist du an so einem Ding hängen geblieben.“

„Egal, wer oder was es war“, sagte Honigrose, „auf jeden Fall will ich jetzt sofort nach Hause.“

„Halt!“ Feuerrose hielt sie am Arm fest. „Wir können nicht zurückfliegen, ehe wir hier nicht alles gründlich durchsucht haben.“

„Aber das haben wir doch. Es gibt keine Tanne, um die wir nicht mindestens einmal herumgeflogen sind“, entgegnete Honigrose.

Stumm deutete Feuerrose auf den Boden.

„Du willst durch dieses braune Zeug waten?“, rief Honigrose entsetzt.

„Möglicherweise versteckt sich darunter das weiße Wesen.“

„Von mir aus suche darin herum, solange du willst“, erwiderte Honigrose. „Ich guck dir von hier oben aus zu.“

„Nichts da, du kommst mit!“, sagte Feuerrose mit fester Stimme. „Denn erstens bist du meine Freundin und zweitens auch eine Prinzessin.“

Misstrauisch schaute Honigrose sie an. „Wenn man dich so hört, könnte man fast meinen, dir macht das Ganze Spaß!“

„Ich finde es unheimlich spannend“, antwortete Feuerrose. „Aber Spaß? Nein, Spaß macht es mir nicht.“

Feuerrose und Honigrose breiteten die Flügel aus und schwebten vom Tannenast hinunter. Es knirschte, als sie auf dem Boden landeten. Honigrose schrie: „Au!“

„Sag jetzt bitte nicht, dich hätte jemand gestochen“, knurrte Feuerrose. „Mir tun nämlich auch die Fußsohlen weh. Kein Wunder, bei den spitzen Dingern, die hier überall liegen.“

Sie hockten sich hin, um das Ganze mal genauer zu betrachten.

„Das sind wahrscheinlich dieselben Nadeln wie an den Zweigen“, sagte Feuerrose.

„Aber warum sind sie braun und nicht grün?“, fragte Honigrose. „Ob das weiße Wesen sie verzaubert hat?“

„Quatsch! Die sind einfach nur vertrocknet. Genauso wie Blätter an unseren Rosensträuchern.“

Mit gesenktem Kopf krochen sie weiter.

Honigrose schrie wieder: „Au!“

„Was ist denn nun schon wieder los?“, fragte Feuerrose ungeduldig und schrie im nächsten Augenblick selbst: „Au!“.

Beide hatten sie sich an einem Holzpfahl gestoßen.

Feuerrose rieb sich die Stirn. „Das wird eine schöne Beule geben. Sieh mal. Hier steht eine ganze Reihe von diesen Pfählen.“

„Ein Zaun“, sagte Honigrose. „Wir sind am Ende unseres Rosengartens angekommen. Hier war ich noch nie. Was mag wohl dahinter liegen?“

„Sehen wir nach“, schlug Feuerrose vor. Sie wartete Honigroses Antwort gar nicht ab und kletterte über den Zaun.

„Was sagst du dazu?“, rief sie. „So was habe ich noch nie gesehen!“

Honigrose tauchte neben ihr auf und schaute sich um. „Hier blühen ganz andere Blumen als bei uns und es gibt anscheinend keinen Teich.“

„Das meine ich nicht.“ Feuerrose deutete auf einen Rosenbusch. Und an diesem Busch blühten weiße Rosen. „Ich glaube, jetzt weiß ich, was es mit dem Gespenst auf sich hat“, sagte sie. „Komm, wir schauen uns das mal aus der Nähe an.“

Honigrose hielt sie am Arm fest. „Wir sollten es nicht allein machen. Wir können ja morgen mit den anderen wiederkommen.“

„Du bist eine Angstameise“, lachte Feuerrose. „Aber vielleicht hast du trotzdem Recht. Ich bin mal gespannt, ob sich morgen jemand traut mitzukommen.“

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