Die kleine Bar, zu der Logan uns fährt, liegt im Zentrum von New Jersey. Es ist ein kleiner Pub, die Wände sind dunkel getäfelt, die Stühle und Bänke sind gepolstert und mit rotem Samt bezogen. Wir setzen uns an eine große Tischgruppe, die offenbar von unseren Freunden bereits zusammengeschoben wurden. Logans Freunde, die auch für uns schon mehr als nur Bekannte sind, begrüßen uns mit Umarmungen und Schulterklopfen.
Kasia lässt sich mir gegenüber nieder, ständig mit den Fingern an ihrem Handy. Hin und wieder schleicht sich ein Lächeln auf ihre Lippen, was auch mich schmunzeln lässt.
„Wem schreibst du?“, frage ich. Während Logan unsere Getränke ordert.
„Wie bitte?“ Entschuldigend blickt meine Freundin von ihrem Smartphone auf. „Ach, nur einem Bekannten.“ An ihrem Blick erkenne ich, dass sie lügt.
„Welcher Bekannte? Du bist meine beste Freundin, meine Schwester, ich kenne alle deine Bekannten“, grinse ich, muss laut lachen, als sich ihre Wangen leicht rot färben.
„Du kennst nicht alle meine bekannten“, versucht Kasia sich mit hochrotem Kopf heraus zu reden. Für den Moment lasse ich sie in Ruhe. Das letzte, was ich will, ist sie in Verlegenheit zu bringen. Vielleicht hat sie jemanden kennengelernt, den sie mir noch nicht vorgestellt hat. Unwahrscheinlich, da wir mehr oder weniger unzertrennlich sind, aber durchaus möglich.
Als Logan mit einem Tablett zurück zu Tisch kommt, greift sich Kasia ihre Cola und trinkt einen großen Schluck. Logan stellt eine zweite Cola vor mich, einen Pitcher Bier und ein Glas an seinen Platz. Er sitzt, wie immer, neben mir, rückt ein wenig mehr zu mir auf, als ich ihm eigentlich Platz machen möchte.
Obwohl Kasia ihr Glas schon zur Hälfte geleert hat, stoßen wir an und trinken auf einen schönen Abend. In der Öffentlichkeit trinken meine beste Freundin und ich eigentlich nie Alkohol. Auch wenn Logan uns das ein oder andere Mal versucht hat zu überzeugen, dass der Besitzer des Pubs es eher europäisch hält – Volljährigkeit mit achtzehn. Daher dürfte man sich bei ihm schon mal ein Bier genehmigen. Auch, wenn es verlockend ist, mögen wir Max, den Besitzer, zu sehr, als das wir seine Schanklizenz aufs Spiel setzen würden.
Nach und nach füllt sich der Pub, es wird laut, wodurch auch wir immer lauter reden müssen. Mittlerweile gehören Kasia und ich schon mit zu der riesigen Clique rund um Logan und Vince. Einige unserer Bekannten aus der Schule gehören auch schon dazu. Wir quatschen, diskutieren und lachen alle miteinander.
Der Platz neben Logan wird von Tessa, seiner Exfreundin, besetzt. Sie sind schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr zusammen, lange, bevor ich Logan kennengelernt habe. Dennoch ist es merkwürdig, die beiden so vertraut miteinander zu sehen. Es geht mich natürlich rein gar nichts an. Irgendwann erzählte Logan mir, dass sie eine Art Vorzüge-Abmachung hätten. Ich wollte keine Details hören. Besonders nicht, nachdem er mit mir ausgehen wollte. Angeblich haben sie nur miteinander geschlafen, wenn sie beiden niemanden hatten. Ich kenne Logan jetzt schon zwei Jahre. In dieser Zeit war er meines Wissens nach mit niemanden liiert.
„Wo habt ihr Vince denn heute gelassen?“, will John wissen, der neben Kasia sitzt. John ist Musiker, lebt schon lange nicht mehr in New York. Momentan hat er Urlaub, denn die nächste Tour steht vor der Tür. Er und seine zwei Kumpels bringen einen Hit nach dem anderen raus. Sie waren schon überall. Beneidenswert.
„Der hat noch ein Date“, erklärt Logan. Früher, so haben sie es erzählt, waren Logan, Vince und John die besten Freunde. Bis sie ans College und damit in verschiedene Bundesstaaten gingen. Naja, John zog weg, Vince und der tätowierte Muskelmann neben mir blieben in Jersey.
„Mit wem?“ Johns Neugierde ist unverhohlen. Er neigt sich über den Tisch, rempelt Kasia ein wenig dabei an, die so aussieht, als würde das Gespräch sie nichts angehen. „Erzähl mir alles!“
„Er hat mir nichts erzählt! Ist das zu glauben? Ich hatte keine Ahnung, dass Vince überhaupt jemanden kennengelernt hat.“ Auch Logan beugt sich über den Tisch, trotzdem müssen die Männer sich fast anschreien, so laut ist es in dem Pub.
„Ihr seid schlimmer als Waschweiber“, lache ich und trinke einen Schluck von meiner bereits warmen Cola.
„Hayley hat Recht“, mischt sich Tessa nun ist das Gespräch ein. „Lasst ihm den spaß. Vince war schon ewig nicht aus.“ Eigentlich kann ich Tessa ganz gut leiden, aber ihre ständigen Annäherungsversuche gegenüber Logan nerven mich schon eine ganze Weile. Versuche, seine Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Wie jetzt. Ihr Hand landet, wie zufällig, auf seinem Oberschenkel, gefährlich nahe seinem Schritt. Zu allem Überfluss beginnt sie auch noch, kleine Kreise auf sein Bein zu zeichnen.
Unbeabsichtigt schnaufe ich, rücke ein wenig von Logan ab. Ich revidiere meine Aussage, ich kann Tessa kein Stück leiden. Ich meine, die beiden können machen, was sie wollen, sie sind ungebunden. Soll er doch Spaß mit ihr haben, mir egal.
Logan sucht meinen Blick, seine Augen fragen gefühlt tausend Dinge auf einmal. Ich wende mich ab, widme mich meiner Freundin, die schon wieder auf ihr Handy schaut.
„Es muss dich schwer erwischt haben“, stelle ich grinsend fest.
„Ja, ich meine, nein, natürlich nicht.“ Schnell verstaut sie ihr Handy wieder in ihrer Tasche. „Hayls, wärst du mir sehr böse, wenn ich mich jetzt vom Acker machen würde? Ich … also ich hätte da noch eine Verabredung.“
„Es ist natürlich okay. Du hast es vorhin gar nicht erwähnt.“
„Ja, es stand vorhin noch nicht fest. Deshalb haben wir die ganze Zeit geschrieben. Es ist doch okay? Ich werde nach Haus gebracht, du musst dir keine Sorgen machen.“ Während meine beste Freundin sich um Kopf und Kragen redet, leuchten ihre Augen, wie sie es schon lange nicht mehr getan haben. Scheinbar freut sie sich auf dieses Date. Wie könnte ich es ihr dann verwehren? Nach all der Zeit, die sie schon auf den einen wartet.
„Natürlich ist es okay. Los, ab mit dir und hab ganz viel Spaß! Morgen will ich alles wissen!“ Kasia springt auf, kommt zu mir herüber und drückt mich fest an sich. Auch ich stehe auf, begleite sie noch zu Tür. Wir geben uns noch einen Kuss auf die Wange und schon ist sie verschwunden.
„Wo geht sie hin?“, will Logan wissen, als ich wieder an den Tisch trete. Tessa ist noch näher an ihn gerutscht, sie sitzt praktisch auf seinem Schoss.
„Sie ist verabredet. Entschuldigt mich bitte kurz.“ Ich drehe mich wieder um, gehe zur Toilette. Ich würde zu gern gehen, den Abend auch für mich als beendet erklären. Doch Logan hat extra auf uns gewartet, hat Überstunden gemacht, weil wir mal wieder zu spät waren. Bin ich es ihm da nicht schuldig, noch eine Weile zu bleiben?
Als ich aus den Toilettenräumen trete, glaube ich einen kurzen Moment, dass Logan mich hier abfangen wird. Kurz erlaube ich meiner Fantasie, sich auszumalen, wie es wohl wäre, wenn er mich an die Wand presst, sein Bein zwischen die meinen schiebt und mich küsst, als wäre ich die einzige Frau für ihn auf der ganzen Welt. Ich würde in sein Haar greifen, ihn fester an mich ziehen. Seine Zunge würde über meine Lippen streichen, mich um Einlass bitten. Natürlich würde ich ihn gewähren lassen, ein wenig an seinem Haar ziehen, er würde leicht aufstöhnen. Seine Härte würde sich an mein Bein drücken, vielleicht sogar gegen meine pochende Mitte, je nachdem, wie er mich halten würde. Dann würden wir uns tief in die Augen schauen und im stummen Einvernehmen den Pub verlassen und auf schnellsten Weg in seine Wohnung fahren.
Doch solche Momente gibt es nur in Büchern oder Filmen, nicht in der Realität. Natürlich wartet niemand mich auf dem kleinen Flur. Ich gehe zurück zu den anderen, versuche keine Miene zu verziehen. Natürlich hat sich Tessa nicht von Logan wegbewegt, aber das geht mich nichts an. Ich habe ihm einen Korb gegeben, wollte nicht mit ihm ausgehen. Es. Geht. Mich. Nichts. An.
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