Wir schlendern am Strand entlang, unsere Füße werden immer wieder von den Wellen umspült. Genau so, wie ich es liebe. Gott sei Dank sind ein paar Wolken am Himmel, so dass der Sonnenuntergang nur hin und wieder zu sehen ist. Ansonsten hätte ich gedacht, ich träume. So viel Kitsch und Romantik auf einmal kann einfach nicht wirklich sein. Michael greift in seine Tasche und holt – nein, keine Kerze, sondern eine unromantische Taschenlampe hervor. Ich muss lachen. Michael sieht mich mit fragendem Blick an, aber ich winke nur ab. »Alles in Ordnung, hatte nur gerade so einen Gedanken.« »Annie Sommer, warum lässt du mich nicht an deinen Gedanken teilhaben?« Ich stelle mir vor, wie Michael bei diesem Wind mit einer Kerze in der Hand neben mir herläuft. »Weil du mich auslachen würdest.« Wieder schüttelt er den Kopf, fragt aber nicht weiter nach, sondern nimmt meine Hand und führt mich zielstrebig zu zwei Strandliegen, die etwas geschützt in einer Bucht stehen, als würden sie nur auf uns warten.
Ich setze mich und Michael legt mir fürsorglich die Decke über meine Beine, bevor er die andere Liege ganz dicht neben meine stellt und sich ebenfalls niederlässt. Hand in Hand lauschen wir wortlos den Wellen, die teilweise heftig auf die Felsen der Bucht knallen. Selbst im Sommer kann die Natur rau sein. Plötzlich schleicht sich mein Gedanke vom Nachmittag wieder in den Kopf. »Sag mal, möchtest du eigentlich Kinder haben?« Michael war auf diese Frage nicht vorbereitet. Aber sie schockt ihn auch nicht. Im Gegenteil. Seine Antwort kommt sehr schnell. »Wenn es passiert, ist es gut, wenn nicht, ist es auch gut.« Jetzt bin ich überrascht. Er scheint ganz unbeschwert zu sein in dieser Hinsicht.
»Ist aber eine ungewöhnliche Einstellung, oder?« Jetzt wird Michael nachdenklich. Eine Weile sagt er nichts mehr. Als ich seine Hand etwas fester drücke, weil ich befürchte, dass ich ihn irgendwie verletzt habe, beginnt er zu erzählen: »Das war der Grund, warum meine bisherigen Beziehungen in die Brüche gegangen sind. Entweder wollten die Frauen unbedingt Kinder und fanden meine Einstellung zu lapidar. Oder aber sie wollten auf gar keinen Fall Kinder und hatten immer die Angst, dass ich es nicht ehrlich meine und ihnen irgendwann vorwerfe, keine Familie zu haben.«
Puh, irgendwie nachvollziehbar. Ich weiß ja auch nicht, ob ich unbedingt noch ein Baby möchte. Wie kann ich ihn da festlegen wollen? Wenn ich für mich Klarheit habe, kann ich mir immer noch Gedanken machen. Eigentlich kann ich beruhigt sein, dass ich ihn nicht enttäusche, falls ich mich dagegen entscheide und glücklich, dass er sich darüber freuen würde, falls doch. »Ist das für dich in Ordnung?« »Ja«, antworte ich schnell, »ich sehe das genauso wie du. Lassen wir es einfach auf uns zukommen.«
Genauso schnell nehme ich nun die Decke von meinen Beinen und setze mich so auf Michaels Schoß, dass ich ihm ins Gesicht sehen kann. Ich nehme es in meine Hände und küsse ihn zärtlich. »Das heißt ja nicht, dass wir nicht trotzdem üben könnten«, flüstere ich ihm ins Ohr. Mit den Fingern gehe ich durch seine Haare und streiche ihm eine Locke aus der Stirn, die aber gleich mit dem nächsten Windhauch wieder dort landet. Richtig verwegen sieht er aus mit seinen strahlend blauen Augen, den wilden dunkeln Haaren und seinen braungebrannten, markanten Gesichtszügen. Entschlossen befreie ich ihn von seinem T-Shirt, um auch den Anblick seines wunderschönen, muskulösen Oberkörpers zu genießen.
Mittlerweile ist es dunkel geworden. Nur der Schein der Taschenlampe, die Michael gegen einen Felsen gestellt hat, spendet einen sanften Lichtschein. Leidenschaftlich erwidert Michael meinen Kuss und mit einer kleinen Handbewegung hat er beide Träger meines Sommerkleides hinab gestreift. Es gleitet hinab und enthüllt meine ebenfalls gebräunte Haut und meine Brüste, die ihm erwartungsvoll gegenüberstehen. Sie zeigen auf der Stelle ihre Wirkung. Michaels Blick wird sinnlich und seine Augen schließen sich leicht, als er sich meinem Dekolleté nähert und es mit zärtlichen Küssen bedeckt, bevor er weiter hinab wandert und schon jetzt ein Feuerwerk auslöst. Ich weiß nicht, ob es die Wucht der Wellen ist, die um uns herum ihre Kraft entlädt oder die Vorfreude des Tages. Völlig erhitzt und atemlos sacke ich irgendwann auf seinem Schoß zusammen und lege mich in seinen Arm. Nachdem auch er langsam wieder zu sich kommt, hüllt er uns in die Decke ein und wir verweilen an diesem wunderschönen Ort. Wortlos. Es muss nichts gesagt werden.
Auch als wir nach dem Heimweg irgendwann ziemlich durchgefroren wieder im Haus ankommen und wie alle anderen nur noch ins Bett schlüpfen, schlafen wir ohne große Worte glücklich aneinandergeschmiegt ein. Das letzte, was ich spüre, sind seine Fingerspitzen, die zärtlich meinen Nacken streicheln.
»Warte, ich brauche noch meine Spongebob-CD«, kreischt Tom, bevor er in Michaels BMW steigt. Schnell kommt er herübergelaufen und durchsucht das Handschuhfach. »Dann will ich meine Kopfhörer«, murrt Ben. Die Aussicht auf drei Stunden Schwammkopf-Alarm löst in ihm alles andere als Begeisterung aus.
»Hast du alles abgeschlossen?« »Ja«, seufzt Lotte, »ist alles gut verriegelt. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis ich wieder hierher komme.« Wehmütig steckt sie den Schlüssel in ihre Handtasche und wirft einen letzten Blick auf ihr Schmuckstück. Ich habe das Gefühl, dass die Erinnerungen an ihre kleine Emma gerade wieder in ihr hochkommen. Sie hat die Tage mit meinen Jungs hier sichtlich genossen, doch natürlich schweifen ihre Gedanken dann auch zu ihrer kleinen Tochter, mit der sie die kurze, kostbare Zeit auf Erden am liebsten hier verbracht hat. Gemeinsam mit ihrem ebenfalls schon verstorbenen, geliebten ersten Ehemann Werner.
Lotte versucht, sich nicht von der Melancholie beherrschen zu lassen und verabschiedet sich gefasst von Michael und Manfred. »Aber wir sehen uns doch noch, wenn wir irgendwo eine Pause machen, oder nicht?«, fragt Michael nach. »Wir müssen mal sehen. Falls Brutus eingeschlafen sein sollte, würde ich lieber in einem durchfahren.« »Lass uns einfach telefonieren«, schlage ich vor, »dann können wir das spontan entscheiden.« Damit steigen wir ein und machen uns auf den langen Heimweg.
Nachdem wir gut auf der Autobahn gelandet sind, und ich mich nicht mehr darauf konzentrieren muss, mich nicht zu verfahren, beginnt Lotte mit dem bereits angekündigten Gespräch. »Also, Annie, ich habe ja gestern schon gesagt, dass ich etwas mit dir besprechen möchte.« Froh darüber, dass sie mich endlich erlöst, nicke ich erwartungsvoll mit dem Kopf. »Es geht um den Hof.« Sie macht eine kleine Pause. »Erzähl!«, fordere ich sie sanft auf. »Nachdem Lenas Anwältin ja endlich dafür gesorgt hat, dass ihre Dinge abgeholt wurden und das Haus nun leer steht, stellt sich für mich die Frage, was ich damit tun soll. Eigentlich müsste ich es wieder vermieten. Aber ehrlich gesagt, fühle ich mich mit der Abwicklung ein wenig überfordert. Genauso wie mit den ganzen Verwaltungsdingen, die den Hof betreffen.«
Ich unterbreche Lotte nicht und warte geduldig auf ihre weiteren Ausführungen. »Auf der anderen Seite weiß ich, dass du am liebsten einen Nebenjob hättest, den du von zu Hause aus erledigen könntest.« Ich ahne, worauf sie hinaus möchte, weiß aber noch nicht, was ich davon halten soll. »Und da dachte ich«, fährt sie fort, »vielleicht hättest du Lust, die komplette Verwaltung des Hofes für mich zu erledigen und ich zahle dir ein Gehalt dafür.« Die Vorstellung, von Lotte Geld zu bekommen, damit ich ihr helfe, verursacht auf der Stelle ein Magendrücken bei mir. »Ich kann dir gerne bei diesen ganzen Dingen helfen, aber ich werde dafür kein Geld nehmen.«
Lotte schien darauf vorbereitet zu sein, denn auch sie antwortet sanft, aber entschieden. »Annie, lass mich bitte ausreden. Ich weiß, dass du das tun würdest. Aber da ich weiß, wie knapp deine Zeit ist, wenn du weiterhin zwei Jobs machst und auch genügend Zeit für deine beiden Jungs haben möchtest, würde ich dir das nicht zumuten. Ich werde so oder so jemanden einstellen, der mir das alles abnimmt, aber es wäre mir viel lieber, ich könnte dir diese Dinge anvertrauen, als jemandem, den ich nicht kenne. Und wenn du statt des Jobs im Restaurant zu Hause arbeiten kannst, haben wir doch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Du kannst dir die Zeit frei einteilen. Die Pflege des Hofes machst du sowieso schon fast alleine und das möchte ich auch nicht einfach so annehmen. So könnte ich dir die Aufgaben komplett übergeben und würde mich viel besser damit fühlen.«
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