Eine Zeitlang war das ja auch gutgegangen. Die mangelnden Steuereinnahmen des Herzogtums durch die strikten neuen Gesetze konnten mit Hilfe von Seiten Bodos halbwegs ausgeglichen werden. Das Alkoholverbot alleine schon hatte ein tiefes Loch in die Staatskasse gerissen, das Rauchen jeglicher Substanzen war auf dem Staatsgebiet von Kopoks schon seit längerem untersagt. Die einstmals reichen Klöster waren durch Bettelorden ersetzt worden und bestanden nur noch aus heruntergekommenen, schimmeligen Bauten, in welchen ständig magenübersäuerte Pastoren nichts anderes als Armut, Verzicht und Selbstkasteiung predigten. Auch von dieser Seite aus waren keinerlei Einnahmen mehr zu erwarten gewesen. Wurde ja schließlich an diesen ehemals fröhlichen Stätten auch kein Bier mehr gebraut und kein Wein mehr angebaut. Die Rebstöcke waren längst verdorrt oder verwildert. Durch die Gebote der lammelianischen Konfession, die so großen Einfluss auf die Ernährungsweise ihrer Anhänger nahm, war das Züchten von Schweinen, Rindern und Schafen zum Verzehr ungeheuer schwierig geworden. Man wusste nie ganz genau, welches Tier, zu welcher Jahreszeit einmal nicht als unrein angesehen wurde. Das Regelwerk war äußerst kompliziert und niemand hatte den vollständigen Überblick darüber; höchstens noch Nepomuk Lammel selbst, doch der war schon vor etwa sechzig Jahren von dieser Welt gegangen, und gönnte sich höchstwahrscheinlich jetzt in seinem himmlischen Dasein eine Schweinshaxe nach der anderen, wann immer er nur wollte. Nun, eine einzige Person im Fürstentum von Kopoks mochte noch den Durchblick behalten haben, über all die Regeln, Gebote und Verbote, die den größten Teil dieses seltsamen Glaubensbekenntnisses ausmachten. Und hier handelte es sich um die Gemahlin des Herzogs selbst.
Ohne diese Elspeth van Vilnius wären wohl die reformatorischen Ideen von Lammel überall auf dem Kontinent längst in Vergessenheit geraten. Nur hier in Kopoks fand sich noch die letzte Enklave dieser prohibitionistischen Art der Glaubensausübung.
Im Übrigen sagte man dem Reformator nach, er habe zeit seines Lebens an einer ungeheuerlich schlechten Verdauung gelitten, und hätte kaum irgendein Nahrungsmittel einigermaßen gut vertragen. Diesen ständig schmerzenden Magen also machten manche Historiker verantwortlich für den Glaubenskrieg, der immerhin etliche Jahre angedauert, und der tiefe seelische Narben in den Menschen des Kontinents hinterlassen hatte. Vielleicht war auch dies einer der Gründe, warum nun Kopoks seit der Regentschaft von Herzog Gosbert ein solch schlechtes Ansehen genoss, obwohl doch schließlich gerade in diesem Landstrich alles seine feste Ordnung hatte. Die Kriminalität beschränkte sich auf das Allernotwendigste, Hurenhäuser und Spielsalons waren aus dem Fürstentum verbannt worden. (Die Grenzen von Kopoks allerdings waren gesäumt von derlei Etablissements, und so mancher adlige Herr, der sich den Unmut seiner Landesherrin zugezogen hatte, war an den Rand des Fürstentums gezogen und verdiente sich nun als Gewerbetreibender in einem etwas anrüchigen Milieu eine goldene Nase, was wiederum dem Steuersäckel des Landes nicht mehr zu Gute kam) Man hätte im Grunde behaupten können, hier in diesem Fürstentum sei der Himmel auf Erden schon angebrochen, allerdings würden die meisten Menschen einem solchen Paradies die Hölle höchstwahrscheinlich vorgezogen haben. Herzogin Elspeth jedenfalls beharrte auf strengste Einhaltung von Sitte und Anstand, auch wenn sie selbst in härenen Gewändern gehen musste, wie sie sich auszudrücken pflegte.
Gosbert hatte seine Gattin als fröhliches junges Mädchen von zarten siebzehn Jahren dereinst auf einem Debütantinnenball in der Hauptstadt kennengelernt, wo die jungen Fräulein das erste Mal in die Gesellschaft eingeführt wurden. Er hatte das zarte Mädchen erblickt, und war auf der Stelle über beide Ohren in sie verliebt gewesen. Es hatte einen Stich in seinem Herzen gegeben, und es war um ihn geschehen. (So werden derlei Angelegenheiten ja immer wieder von Literaten geschildert, auch wenn es sich bei besagtem Stechen möglicherweise nur um ein leichtes Sodbrennen gehandelt haben mochte) Wenn der Herzog heute an diesen schicksalhaften Abend zurückdachte, wurde ihm immer noch warm ums Herz, niemals hätte er sich vorstellen können, was später aus dem jungen Ding werden würde, das damals so lebensfroh über das Tanzparkett gehopst war, ohne sich einen Deut drum zu scheren, was die Leute wohl von ihr denken mochten.
Immer war ihm diese spätere Veränderung im Wesen seiner Frau ein Rätsel geblieben. Wie konnte jemand, der einstmals so voller Lebensmut und Fröhlichkeit bis zum Rand angefüllt gewesen war, binnen einer kurzen Zeit sich in ein ältliches, missmutiges und bigottes Weib verwandeln. Dies war einfach nicht fassbar. Er hatte in der ersten Zeit ihrer Ehe nichts von einer Veranlagung zur Frömmlerei feststellen können, ganz im Gegenteil war der Herzog oft beinahe überfordert gewesen von der Sinnenfreude, die seine Gattin ausgestrahlt hatte. Irgendwann war Gosbert erwacht, so kam es dem armen Mann zumindest vor, und hatte sein ganzes Leben, von einem Tag auf den anderen, vollkommen verändert vorgefunden.
Natürlich kam dies dem Herzog Gosbert wirklich nur so vor, der Prozess war eher ein schleichender gewesen, wie er zugeben würde müssen, wenn er sich einmal selbst ernsthaft befragt hätte. Wäre er wirklich einmal in sich gegangen, und hätte sich Gedanken darüber gemacht, was da in seiner Gemahlin für ein Abgrund geschlummert hatte, wäre er vielleicht fündig geworden. Kaum hatte ihm Elspeth den Erben geschenkt, den ein Regent, mochte sein Reich auch noch so klein sein, unbedingt zum Fortbestand seines Geschlechtes brauchte, schien sie sich innerlich von ihrem Gemahl auch schon verabschiedet zu haben.
Zugegeben, es war eine wirklich schwere Geburt gewesen. Die fürstliche Hebamme hatte schon Monate zuvor die Vermutung geäußert, möglicherweise würden dem Paar Zwillinge geboren werden, und tatsächlich erschien, kurz nachdem die Herzogin von einem prachtvollen Mädchen entbunden worden war, ein weiterer Kopf im Geburtsausgang, doch dauerte es noch einige Stunden bis man dann auch noch einen Jungen hier auf unserem Pfannkuchen der Mühsal und des Leides begrüßen konnte, um es einmal poetisch auszudrücken. Nachdem auch dieses kleine Geschöpf nun also das nächtliche Gaslicht dieser Welt erblickt hatte, war die Herzogin auf ihrem Lager zurückgefallen und hatte von da an kein Wort mehr gesprochen. Die weise Hebamme hatte so etwas öfter schon beobachten können und sprach Gosbert Mut zu. Die Fürstin würde sich schon wieder fangen, hatte sie gemeint, wenn erst einmal ein paar Tage vergangen wären.
Doch hatte Elspeth zu ihren Kindern keinerlei Gefühle entwickeln können. Nachdem sie entbunden hatte, wurden die winzigen Wesen ihrer Amme übergeben und Elspeth schien sich keinen Deut mehr um die Kleinen zu scheren. Tagelang lag sie in ihrem abgedunkelten Schlafgemach auf dem Bett und starrte, dem Anschein nach, die ganze Zeit über an die Decke. Was in ihrem Kopf vorging, war nicht zu erahnen. Gosbert, der solch ein Verhalten in keiner Weise nachvollziehen konnte, hatte begonnen sich große Sorgen um seine Angetraute zu machen und ließ daraufhin die gesamte Ärzteschaft von Kopoks im Schloss antreten.
Elspeth ließ mit finsterer Miene alle Untersuchungen über sich ergehen, die die Doktoren dann an ihr vollzogen, obwohl sie die Herren mit ihren kalten Instrumenten eigentlich allesamt für Quacksalber hielt. Unzufrieden mit den Künsten der hiesigen Ärzteschaft ließ Gosbert sogar noch einige medizinische Koryphäen aus der Hauptstadt kommen, doch widersprachen sich die Diagnosen dieser Heilkundigen noch mehr, als die der ansässigen Doktoren. Eine Widersprüchlichkeit, die sich auch in den Behandlungsmethoden spiegelte. Drängte der eine auf die Anwendung von Einläufen, die alle zwei Stunden durchzuführen waren, war wiederum ein anderer der Ansicht, dass hier nur eine dreiwöchige Kur mit Brechmitteln zu einem Erfolg führen würde. Gosbert konnte nicht mehr zählen, wie viele Male seine Gemahlin in der Zwischenzeit zur Ader gelassen worden war, die einzige Methode, von deren unbedingter Wirksamkeit sämtliche Ärzte überzeugt waren. Nur der ehemalige Leibarzt des ehemaligen Kaisers, sogar diesen hatte Gosbert herbeischaffen lassen, obwohl der alte Mann längst mit seinen 98 Jahren sich im Ruhestand befand, wagte Sinn und Zweck einer solchen Behandlung anzuzweifeln. Er schwor auf gewisse alchymisch erzeugte Substanzen, die die Herzogin auch brav Tag für Tag einnehmen musste, jedoch konnte Gosbert außer kreisrundem Haarausfall und einem schlimmen Hautausschlag keinerlei Wirkung feststellen. So hatte der Herzog eher den Eindruck, dass seine einst wunderschöne junge Frau von Tag zu Tag elender aussah. Ja, an manchen Tagen dachte Gosbert, wenn er Elspeth anblickte, dies könne unmöglich die Frau sein, die er geehelicht hatte, so absurd erschien ihm die Veränderung, die nicht nur in ihrem Inneren vor sich gegangen war, sondern nun auch ihre ganze Erscheinung in Mitleidenschaft zu ziehen begann.
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