Gerade öffnete sich die Tür und der Lärm schwoll an. Ein etwa vierzigjähriger wuchtiger Mann stiefelte durch die Tür und begann dann die Straße hinunterzulaufen. Höllenstiebel nutzte die wenigen Sekunden, die der Schließmechanismus benötigte die Tür in ihren Rahmen zu drücken, und spazierte mit erhobenem Schwanz hindurch.
Hier drinnen war der Krach beinahe infernalisch, hier fühlte sich der Dämon dann auch gleich pudelwohl, wenn man das von einem Terrier sagen kann. An einer langen Theke, wie missgeratene Perlen an einer Kette aufgereiht, lungerten etliche meist langhaarige Gestalten herum und kippten alles Mögliche an Alkoholika in sich hinein. Allerdings war und blieb Bier, das am meisten konsumierte Getränk. Doch zu jedem Halbliterhumpen wurden meist noch ein oder zwei Schnäpse gekippt, als ob der Gerstensaft so zähflüssig war, dass man noch etwas zum Nachspülen gebraucht hätte.
„Bring ma noch zwei Hörnerwhiskey!“, hörte Höllenstiebel einen Fettsack über das Tohuwabohu hinweg rufen. „Und 'n Sambuca!“
„Kannste nich ma AC/DC spielen! Aber nur mit Bon Scott!“, drang eine weitere plärrende Stimme an die empfindlichen Hundeohren Höllenstiebels.
Der Dämon hatte sich unter einen der wenigen kleinen Tische begeben, anscheinend hatte sich an diesem noch keiner der Kerle niedergelassen. Jetzt fiel Höllenstiebel allerdings auf, dass nicht alle der Gestalten dem männlichen Geschlecht zuzuordnen waren. Beinahe wäre ihm entgangen, dass ein Drittel der Gäste aus Frauen zu bestehen schien, die sich allerdings genauso gebärdeten wie die Kerle. Dies hätte in seiner Welt als unmögliches Verhalten gegolten, doch gefiel diese Tatsache dem Dämon im Grunde ausgesprochen gut. Auch die Art Musik fand langsam aber sicher immer mehr sein Wohlgefallen. Waren das nicht ganz ähnliche Töne wie diejenigen, die aus diesen 'Fernsehapparaten' gedrungen waren. Ja, jetzt schien der Sänger der Kapelle etwas von einem Hochweg in die Hölle zu berichten, selbst ein Dämon, der erst den siebten Grad erreicht hat, war durchaus in der Lage mehrere menschliche Sprachen zu verstehen. Die Barden vergangener Zeiten hätten sich sicher nicht getraut Lieder über die Hölle anzustimmen, dachte der Dämon. Und war das nicht ein ihn hoffnungsfroh stimmender Umstand, dass viele der Anwesenden auf ihren blauen ärmellosen Jacken das Symbol der gehörnten Hand trugen? Hier schien er richtig zu sein.
Das, in entlegenere Bereiche des Hundehirns zurückgedrängte, Bewusstsein Gizmos, verharrte inzwischen ängstlich dort, es befand sich im Angesicht des Lärms und der vielen groben Stiefel der Leute in einem angstvollen Zustand.
Dann öffnete sich die Eingangstüre und ein paar Gestalten betraten den Raum, die von ihrer Kleidung her hier nicht hineinpassen wollten.
‚Wusste ich es doch, dachte Höllenstiebel, ‚Zauberer, es ist immer Verlass darauf, dass sie die finstersten Spelunken ausfindig machen, wie Ratten, die jeden umgekippten Mülleimer kilometerweit riechen können.‘
Wirklich waren fünf Gestalten durch die Türe gekommen, hatten sich durch die Meute an der Theke hindurchgedrückt und sich weiter hinten an einem der größeren Tische niedergelassen. Der Dämon wartete einen geeigneten Moment ab, um nicht doch noch Bekanntschaft mit einer Stiefelspitze zu machen, und robbte dann an der Wand entlang in die Nähe des Tisches der Alchimisten vor. Schließlich gelang es dem Terrier sich unter die, die ganze hintere Seite des Lokals einnehmende, Bank zu schieben, um so die Gespräche der Zauberer belauschen zu können. Dies stellte sich allerdings, unter den gegebenen Umständen, als nicht ganz einfache Sache heraus. Zu Höllenstiebels Glück jedoch hing über den Plätzen der, ganz im üblichen schwarz gekleideten, Zauberer keine der Lautsprecherboxen, die ansonsten in jeder Ecke des Raumes vor sich hin schepperten. Dennoch musste er sich ziemlich anstrengen, um etwas von dem Gesprochenen zu verstehen, selbst die empfindlichen Gehörgänge des Terriers hatten einige Schwierigkeiten aus all dem Radau einzelne Stimmen herauszufiltern.
„Was meinst du jetzt dazu, Pfeifentrist?“, sagte gerade einer der Kerle, kaum dass sie sich niedergelassen hatten.
„Ich sag' nur eins das Sieb ist weg, futschikato, verschwunden, hat sich in Luft aufgelöst!“, erwiderte eine andere, heiser klingende Stimme.
„Aber wie sollen wir jetzt jemals wieder zurückkommen?“, meinte ein dritter Alchimist, Verzweiflung klang mit in dieser Frage.
„Ich will vielleicht gar nicht zurück!“, mischte sich jetzt ein Vierter ein. „Wieso in Gottes Namen sollte irgendjemand überhaupt auf die blöde Idee kommen zurückzuwollen, frag ich mich?“
„Zuhause ist nun mal Zuhause!“, erwiderte der, der Pfeifentrist genannt worden war. „Man kann doch nicht einfach so seine Heimat verlassen. Ja wenn es nur darum ginge, in eine andere Stadt zu ziehen oder in ein anderes Fürstentum, dann wäre das vielleicht etwas anderes.“
„Wieso? Wir können bestimmt auch auf dieser Welt hier unser Auskommen finden!“, wurde zurückgefragt.
„Da wäre ich mir nicht so sicher! Ich hab schon mal versucht einem schrulligen alten Herrn, der einem jungen Mädchen nachgestiert hat, einen Liebeszauber anzudrehen. Er hat mich nur angesehen, als wäre ich nicht ganz bei Sinnen.“
„Womit er ja vielleicht auch nicht ganz im Unrecht ist, hi, hi!“
„Also bitte, in meiner Heimatstadt Solpertingen waren meine Tränke äußerst beliebt. Ich hätte ein Vermögen verdienen können!“, erklang es beleidigt zurück.
„Ja, wenn sie dich nicht irgendwann zu den Toren der Stadt mit Schaufeln und Äxten hinausgejagt hätten. Und damit warst du noch gut bedient! Ich erinnere mich, dass der Kaufmann Sulminger noch sechzehn Wochen lang an Dauerdurchfall gelitten hat, nachdem er einen deiner ganz speziellen Erotisierelixiere getrunken hatte!“
„Das war ein Unfall, ich schwöre. Diese Tränke haben in den allermeisten Fällen gewirkt, manchmal sogar ein wenig zu gut! Besonders auch die Viagranello Tinktur!“, erklärte der, der Unfähigkeit Verdächtigte trotzig. „In diesem Fall allerdings, war wohl irgendetwas mit der Zusammenstellung der Ingredienzien danebengegangen.“
Der Wirt, der anscheinend nur mit einer Aushilfe den Laden ganz alleine betrieb, war an den Tisch gekommen und wollte die Bestellungen aufnehmen.
„Fünf Halbe und fünf Jägermeister, wie immer nehme ich an?“, fragte der hochaufgeschossene Mann, der das Haar wie die meisten seiner Kunden schulterlang trug, und es jetzt zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, über den Lärm hinweg.
„Ich hätte gern lieber einen Amaretto!“, erklang zaghaft ein Stimmchen, das sich bislang noch nicht in das Gespräch eingemischt hatte.
„Amaretto, ok! Kommt sofort!“
„Amaretto? Immer diese Flausen, Berkeldorf! Mit dir wird es einmal ein schlimmes Ende nehmen!“, wieder die heisere unangenehme Stimme.
„Man wird sich ja noch selbst aussuchen dürfen, was man trinken möchte?“, kam es zögerlich zurück.
„Ich sag euch eins, den Berkeldorf hättet ihr wirklich auf dem Kontinent lassen können, das is ja 'n Mädchen!“
„Lass mal gut sein, Wunsiedel. Der ist schon in Ordnung der Berkeldorf!“, meinte wieder Pfeifentrist. „Aber was das Gezeitensieb angeht, oder das Weltenportal, wie du es immer nennst, du kennst dich von uns allen doch am besten aus? Bist du nicht mindestens ein ganzes dutzend Mal von der einen in die andere Welt gereist und umgekehrt?“
Der Wirt kam mit den Getränken, machte Striche auf die Bierdeckel und verschwand wieder.
„Ja, da hast du wohl recht! Ich denke, ich bin wahrscheinlich derjenige, welcher sich mit wahrem Fug und Recht als den allergrößten Weltenreisenden bezeichnen kann!“, antwortete Wunsiedel prahlerisch, leerte mit einem einzigen großen Schluck sein Bierglas und rülpste daraufhin herausfordernd. „Nochmal dasselbe!“, rief er dann laut in Richtung Theke.
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