Der Zauberer starrte mit einem nachdenklichen, wie festgefrorenen Grinsen in die bläuliche Glut im Kamin. Lugbert und Priscilla, diese beiden Verschwörer würde er auf irgendeine Weise aus dem Weg räumen lassen. Den Hofnarren könnte man wohl zur Not des Nachts in einer stillen Gasse von den Nari Dari einfach um die Ecke bringen lassen. Für die Baronin müsste sich der Zauberer jedoch etwas anderes ausdenken. Und ein Druckmittel hatte er ja schließlich zur Hand, wusste er doch von der Affäre Priscillas mit seinem Neffen Grimmbert, und dieses Wissen würde er nun nutzen müssen.
Aber auch die übrigen Verschwörer machten dem Soylentius Sorgen, sein alter Widersacher Melchidiekes, der sich nun Athanasius von Greifwald nannte, war entkommen, und der Magister glaubte nicht, dass sich sein Erzfeind einfach so aus dem Staub gemacht hatte. Im Gegenteil glaubte er, im Transportkorb des Ballons, mit dem diese verwunschenen Gnome entflohen waren, Melchidiekes erkannt zu haben. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, wie ein Blinder es fertigbringen sollte, solch ein Gefährt einigermaßen zielsicher durch die Lüfte zu steuern, doch war er fast sicher, dass es sich um dessen dickliche Silhouette gehandelt haben musste, die dort oben über den Platz geflogen war. Auch eine andere menschliche Gestalt war mit an Bord des Fluggerätes gewesen, doch hatte Soylentius keine Ahnung, um wen es sich hierbei gehandelt haben konnte. Wahrscheinlich nur so ein armseliges aufrührerisches Helferlein des Blinden. Und dann noch diese Kerle, die auf der Insel Lacrima seine Pläne durchkreuzt hatten! Wie mochte dies nur vonstattengegangen sein? Weybrecht sein treuester Vasall hatte mit seinem Leben dafür bezahlen müssen, und das Gezeitensieb war Soylentius nun verschlossen. Der einzige Trumpf, den der Zauberer in dieser Hinsicht noch im Ärmel hatte, war der Dämon siebten Grades namens Lumpazius Höllenstiebel, und der Kontakt zu diesem Wesen der Unterwelt war immerhin ja nicht gänzlich abgerissen. Er hoffte, dass dieser in der Lage sein würde herauszufinden, wie das Gezeitensieb wieder zu öffnen sein wäre. Dies alles musste mit diesem verwunschenen Jungen zu tun haben. Soylentius hatte längst herausgefunden, wer dessen Mutter war, ließ die Köchin von Süßspeisen bislang jedoch in aller Ruhe ihr Tagwerk verrichten. Doch wenn sich erweisen sollte, dass es von Vorteil wäre, ihr missratenes Früchtchen unter Druck zu setzen, wusste er ja, wie er dies anstellen könnte.
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Nachdem es Höllenstiebel gelungen war, ebenfalls durch das Sieb in diese andere Welt zu gelangen, fühlte er sich die ersten Stunden wie durch die Mangel gedreht. Dies mag für eine körperlose Wesenheit, wie ihn, eine völlig neue Erfahrung gewesen sein, doch wusste der Dämon das so gar nicht zu schätzen. Eine lange Zeit hing sein Bewusstsein in den Blättern der Bäume in dem kleinen Park, in den es ihn verschlagen hatte.
Lumpazius Höllenstiebel konnte sich kaum daran erinnern, dass es ihm schon einmal so schlecht ergangen war. Sein ganzes ätherisches Wesen schien sich schmerzhaft über die gesamte Gartenanlage verteilt zu haben, so kam es dem Dämon siebten Grades zumindest vor. Es war nicht gerade Schmerz, den er verspürte, man hätte keineswegs behaupten können, er verspüre ein Ziehen oder Stechen in irgendeinem abgelegenen Winkel seiner flüchtigen Bewusstheit, doch stellte sich sein Empfinden wohl wie das Äquivalent eines heftigen Katers nach einer durchzechten Nacht dar, bezogen auf die seltsam formlose Existenz eines Untergebenen des Fürsten der Dunkelheit.
Irgendwie schien sich alles um ihn herum zu drehen. Seit Höllenstiebel den Körper des sterbenden Weybrecht verlassen hatte, auch einem Wesen wie dem Dämon war es nicht möglich einen toten Mann durch die Welt zu steuern, waren nur einige wenige Sekunden vergangen, bis er diese fatale Entscheidung gefällt hatte, auf die Öffnung in jene andere Welt zuzusteuern und hinüberzugleiten. Wobei man von einem Gleiten kaum würde sprechen können.
Der Dämon hatte das Gefühl gehabt, dass alles, was sein Wesen ausmachte, in einem Strudel herumgewirbelt worden war, und er nun mit der Aufgabe dastand, aus allen Ecken des Geländes, auf dem er angekommen war, die Einzelteile dieser Wesenheit wieder aufzuklauben.
Als sich Höllenstiebel soweit erholt und nun alle wieder beieinander hatte, wie man sagen könnte, hielt er vergeblich nach dem Jungen Ausschau, der ihm durch das Gezeitensieb vorausgegangen war. Es hatte so ausgesehen, als söge das Tor den Jungen förmlich ein. Wie sich aufstülpende Lippen hatten sich die leuchtenden Fäden um Simon gewunden und ihn anscheinend mit voller Absicht hinübergezogen. Ein Geheimnis, das Lumpazius Höllenstiebel gerne lüften würde. Es kam dem Dämon fast vor, als hätte diese Pforte nur auf das Erscheinen dieses kleinen Kerls gewartet, um sich hernach für alle Zeiten wieder zu schließen. Wenn der Knabe der Schlüssel zum Gezeitensieb wäre, hätte man mit ihm eine nicht zu unterschätzende Macht in den Händen, dachte das Teufelchen. Und wer weiß, vielleicht könnte man diese Macht ja zu weitaus mehr nutzen, als er sich momentan ausmalen konnte. Zumindest schien es nun eine Unmöglichkeit zu sein, wieder zurückzukommen. Er konnte nichts mehr von dem Durchgang entdecken, den er passiert hatte, es war, als ob dieser niemals existent gewesen wäre.
Die dämonische Wesenheit namens Lumpazius Höllenstiebel glitt über die Rasenfläche, ohne den Boden zu berühren. Hätte man genauer hingesehen, hätte man ganz kurz einen kleinen schwebenden Fleck erblickt, der sich nur durch eine etwas dunklere Tönung von der Umgebung absetzte, wie der Schatten eines Schattens. Dazu hätte man aber wirklich ganz genau hinsehen müssen. Der Dämon wollte gerade eine Straße überqueren, wurde jedoch auf der Stelle von einem alten Opel Kadett erfasst und zerstob für kurze Zeit in kleine gräuliche Tröpfchen, die sich jedoch gleich wieder zum Rest seiner Nichtform gesellten, so dass er sich wieder vollständig fühlte.
Die Geschwindigkeit der Beförderungsmittel dieser Welt sollte man wohl besser nicht unterschätzen, dachte Höllenstiebel gerade, als er erneut, diesmal von einem Wohnmobil erfasst wurde, und sich danach schon wieder einsammeln musste. Es schien hier doch ziemlich gefährlich zu sein, einen festen Körper zu besitzen, dachte der Dämon. Andererseits hatte er es doch sehr genossen, wenn es auch nur für einige wenige Stunden war, in der er als Weybrecht van Aken durch die Welt stapfen konnte, einen solchen festen Körper sein Eigen zu nennen. Diese neue Erfahrung, nicht nur Beine, Arme und einen richtigen Kopf zu besitzen, hatte durchaus etwas für sich. Auch mit einem wirklichen Menschen den Geist zu teilen und ihn unter Kontrolle zu bringen, war nun wirklich eine Herausforderung für den Dämon gewesen. Das Ganze hatte durchaus auch eine geradezu erotische Note. Vielleicht wäre es auch jetzt schöner, als Mensch durch die Gegend zu streifen, dachte er. Man würde sich einmal nach einem passenden Exemplar umsehen müssen. Allerdings würde er diesmal vorsichtiger bei der Auswahl sein müssen, die Todeserfahrung, die er gemacht hatte, war nicht gerade angenehm gewesen.
Dann plötzlich erreichte Höllenstiebel die Stimme von Soylentius, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Es war nun natürlich nicht so, dass Töne in den nicht vorhandenen Ohren des Dämons erklangen, doch irgendwie hatte es der Zauberer, der ihn beschworen hatte, fertiggebracht zu Stiebel durchzudringen.
„Finde den Jungen, oh Dämon aus der Hölle!”, das in etwa war der Inhalt der Botschaft, die Lumpazius erreichte. „Er ist der Schlüssel zur Macht. Bringe ihn zu mir, und wir werden herrschen!”
Obwohl Höllenstiebel längst beschlossen hatte, seine ganz eigenen Ziele zu verfolgen, war er doch noch immer an den Zauberer gebunden. Zumindest war er gezwungen, seinen Befehlen zu gehorchen, obwohl man solche Anweisungen ja auch mal kurzerhand würde missverstehen können. Aber da der Dämon ohnehin den Plan hatte, den Jungen zu finden, änderte sich durch die Einmischung des Zauberers eigentlich nichts. Höllenstiebel wunderte es jedoch sehr, dass es Soylentius fertiggebracht hatte, zu ihm durchzudringen, das Gezeitensieb war schließlich verschlossen. Trotzdem hatte der Zauberer einen Weg gefunden, den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Vielleicht steckte doch mehr in dem verkommenen Subjekt als Höllenstiebel geahnt hatte?
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