«Der Mann war bei mir und hat mir seine Not geklagt!» sagte Franz, der Sohn.
«Not geklagt?» fuhr der Alte unwillig auf. «Der hat auch noch über Not zu klagen; erst liegt er bei mir hier fünf Wochen im Haus und ißt und trinkt, ohne einen Pfennig zu zahlen, nachher geb’ ich ihm noch Reisegeld und ein Gewehr, das mich selber fünfundsiebzig Dollars gekostet hat, und schicke ihn ins Innere, und nun soll ich auch noch seine Sachen wieder herausgeben und gar nichts haben, heh? – Und ist die Zeit, in der er es abholen mußte, nicht etwa schon seit acht Tagen verfallen? Hätt’ er mir v o r der Zeit gezahlt, was er mir schuldig war, so konnte er seinen Bettel, der mir überdies hier lange genug im Wege gestanden, ruhig wieder mit fortnehmen, ich wäre der Letzte gewesen, der ihn daran verhindert hätte – hab’ ich so vielen Deutschen fortgeholfen, würde ich den auch nicht haben sitzenlassen, aber jetzt ist die Zeit vorbei. Die ganze Sache ist ohnedies schriftlich abgemacht, und wenn er sich im Recht glaubt, soll er mich verklagen, Christoph Hamann ist nicht der Mann, der einer gerechten Sache aus dem Wege geht.»
Der Sohn seufzte tief auf und begann wieder, ohne weiter etwas gegen den Vater zu äußern, an seiner Arbeit, bis ihn der alte Herr Hamann mit einer neuen Frage unterbrach:
«Ist der Elsässer wieder dagewesen, wegen dem Land?»
«Ja, gestern Abend.»
«Nun? – Und hat das Geld nicht mitgebracht?»
«Er hatte es, verlangte aber von mir vorher eine genaue Beschreibung des Landes, wie es gelegen sei, ob sumpfig oder gesund, und da… »
«Hast Du ihm doch wohl nicht etwa in Deiner Dummheit von dem bißchen Wasser darauf erzählt?» fuhr der Alte heftig in die Höhe.
«Ich mochte nicht lügen, Vater», sagte der junge Bursche entschlossen.
«Na, nun wird’s Tag!» schrie der Alte, mit der geballten Faust zornig auf den Tisch schlagend. «Füttern soll ich Euch alle hier, und die teure Wirtschaft instand halten, Taxen 48soll ich bezahlen und Provisionen für alles mögliche Lumpengesindel, das hier herüberkommt von Europa, und wenn sich die Gelegenheit bietet, einen ehrlichen Pfennig zu verdienen, schlägt mir den der eigene Sohn vor der Nase weg.»
«Ich hielt das für keinen e h r l i c h e n Pfennig, Vater», sagte Franz entschlossen.
«Du hieltest es nicht dafür, Holzkopf – n u n freut mich mein Leben, D u also hieltest es nicht dafür. Ich will Dir einmal sagen, was ich von D i r halte: daß Du ebenso nach Amerika paßt, wie ein wilder Ochse in eine Porzellanhandlung. Wenn d a s also alles ist, was Du während der zwei Jahre, die ich Dich in Deiner Ausbildung in Deutschland in einem Geschäft gehabt, gelernt hast, dann kann ich mir gratulieren, das Reisegeld aus dem Fenster geworfen zu haben, und je eher Du machst, daß Du wieder hinüberkommst, desto besser.»
«Aber Vater, diese unglücklichen Menschen, die hier nach Amerika herüberkommen, sind ja so schon arm und elend genug – w i r wollen uns doch nicht an ihnen bereichern.»
«Wollen wir nicht, so? – Aber von was wollen denn l e b e n, heh?» rief der Alte. «Der Musjö schwatzt da ins Blaue hinein und bringt mir moralische Grundsätze auf einen amerikanischen Markt, die gerade so gute Geschäfte machen würden, wie ein Zahnarzt bei den Indianern. Junge, Junge, ich glaubte, Du hättest ausgelernt, und sehe jetzt, daß Du wieder ganz von vorn anfangen mußt. Die Reise nach Arkansas wird Dir übrigens gut tun, mein Geschäftsfreund dort, der einen besonders lebhaften Whiskyhandel nach dem indianischen Territorium treibt, ist ein höchst praktischer, gewiegter Bursche und wird Dir die deutsche Schlafmütze 49schon aus den Gliedern treiben, und Du mußt dann endlich einmal lernen, daß das deutsche Gesindel, das hier zu uns herüberkommt und mit seiner Überklugheit immer unser ganzes Amerika verbessern will, nicht eher Verstand bekommt, bis es seinen letzten Groschen an den Mann gebracht hat. Wer also dazu beiträgt, daß das recht bald geschieht, tut den Leuten nur einen Gefallen und ist ihr wahrer Freund, und nach d e n Grundsätzen handle ich, wie sich der junge Herr merken kann und wonach er zu achten hat – verstanden?»
«Lieber Vater», sagte Franz, der sein Pult verlassen und die Feder niedergelegt hatte, ruhig und bestimmt, «Sie haben sich da einen Weg vorgezeichnet, dem ich im Leben nicht folgen kann und will. Es mag, wie Sie vielleicht Recht haben, viel Gesindel aus Europa zu uns herüberkommen, aber es kommen auch viele wackere, wenngleich arme Familien herüber, und die gerade sind es dann, die von Agenten und Seelenverkäufern ausgezogen und beraubt, anstatt von dem Staat, dem sie ihre Kräfte weilen wollen, dem sie ihr alles herüberbringen, was sie auf der Welt noch das Ihre nennen, unterstützt und geschützt zu werden.» 50
«Auch noch?» rief der alte Hamann verwundert aus. «Wir sollten wohl noch überselig sein, wenn sie ankommen, und sie füttern und pflegen und sie noch bitten, nur um Gotteswillen nichts zu arbeiten, daß sie sich ja nicht die faulen Knochen strapazieren. Gott verdamm’ mich, Junge, Du schwatzest da Zeug, daß man verrückt werden möchte!»

Typisches Boardinghouse Ende des 19. Jahrhunderts
«Ich spreche nur von etwas», rief sein Sohn, in edlem Eifer erglühend, «das mir schon lange auf der Seele brennt, und das, neben der Sklavenfrage, ein Schandfleck für die Union ist – ich spreche von dem unbeschützten Zustand, in dem sie gerade d i e Menschen an ihrer Küste berauben und plündern läßt, die das Mark ihrer Bevölkerung bilden, und ohne welche die einzelnen Staaten schon in ihren Schulden erstickt und zugrunde gegangen wären – die fleißigen Ackerbauer, die den Boden urbar machen, die den Verkehr brechen für Dampfschiff und Eisenbahn, die den Wert des Landes in den weißen Staaten um das Zehnfache, in vielen um das Hundertfache vermehrt haben, und anspruchslos und tätig dabei ihre stille, ruhige Bahn fortgehen.»
«Und was soll der Staat mit denen anfangen, was sollte er für die tun», sagte der Alte mit einem spöttischen, ja, fast verächtlichen Lächeln, «die der Musjö da für die G e p l ü n d e r t e n und B e r a u b t e n hält, und seinem eigenen Vater dabei gewissermaßen P l ü n d e r u n g und R a u b unter die Nase reibt, he?»
«Er sollte in den Haupthafenplätzen seines großen Reiches, in New Orleans und New York, Philadelphia, Baltimore und wie sie heißen, Häuser erreichten, in denen die Armen, wenigstens die ersten Wochen hindurch, ein Unterkommen, im Notfall u n e n t g e l t l i c h , fänden, und wo ihr Eigentum, wenn sie in das Land hinein müssen, um Arbeit zu suchen, von geschworenen Beamten, sicher und vor Verfall geschützt, aufbewahrt würde, bis sie imstande wären, es zu reklamieren.»
«Könnte gleich eine Kleinkinderbewahranstalt damit verbunden werden», lachte der Alte.
«Wollte Gott, es geschähe!» rief Franz. «Tausende von Kindern, die später einmal unsere besten und kräftigsten Bürger bilden, würden dann vor Elend und Untergang bewahrt.»
«Aber was sagst Du m i r das hier?» rief der Alte, endlich ungeduldig werdend. «Was hab’ i c h damit zu schaffen? Warum gehst Du damit nicht zum Gouverneur oder zum Präsidenten und stellst ihm einmal die Geschichte vor? Der wird mit dem größten Vergnügen darauf eingehen.»
«Der Präsident kann dabei noch nichts tun», sagte der Sohn, den im Spott gemachten Vorschlag ganz ernsthaft nehmend. «Nein, die einzelnen Staaten müssen das aus sich selber kräftig schaffen und herstellen, die einzelnen wohlhabenden Bürger zusammentreten und zum Besten ihrer eigenen Stadt ein solch Asyl gründen. Wieviel tausend Menschen sehen in Amerika die Hand, die sich ihnen und ihrer Not Hilfe bietend entgegenstreckt – wieviel tausend finden aber nur, daß eben die Hand, anstatt sie zu stützen und zu halten, in ihre Taschen greift und sie des Letzten beraubt, was sie noch mitgebracht, um sich selbst zu helfen. Oh Vater, Sie sind reich – wenn Sie den Anfang machten zu solchem großen Werk… »
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