Ich darf hier nicht vergessen, daß wir an Bord einen Hund und zwei Katzen hatten. Letztere hatte ich auf das Floß mitgenommen, der Hund aber war selbst ins Meer gesprungen und folgte mir schwimmend bis ans Ufer. Dieses anhängliche Tier blieb jahrelang mein treuer Gefährte und leistete mir wesentliche Dienste. Es fehlte ihm nur die Sprache, um mir die Gesellschaft eines Menschen zu ersetzen.
Kaum eine halbe Stunde fern dem Punkte, wo ich mit meinem Floß gelandet war, erhob sich ein steiler Berg, welcher aus einer Kette andrer Berge, die sich nach Norden hinzog, am höchsten emporragte. Ich nahm eine Jagdflinte, eine Pistole und ein gefülltes Pulverhorn, und so bewaffnet erklomm ich die Spitze des Berges. Von hier aus sah ich erst, daß ich mich auf einer Insel befand. Nirgends war größeres Land zu sehen, nur in der Ferne hohe, kaum erkennbare Felsenriffe, und nach Westen zu, etwa zwei Stunden weit, zwei kleinere Inseln. Allem Anscheine nach war die Insel, auf der ich mich befand, unbewohnt; auch von wilden Tieren konnte ich nichts wahrnehmen. Dagegen sah ich eine große Menge Vögel, deren Gattung ich nicht kannte und die sich vielleicht zur Speise nicht einmal eigneten. Bei meiner Rückkehr schoß ich einen großen Vogel, der auf einem Baume saß. Es war wohl der erste Schuß, welcher hier seit Erschaffung der Welt gefallen. Denn kaum ertönte der Knall, als sich aus allen Teilen des Gehölzes unzählige Vögel aller Art erhoben und mit wirrem Geschrei durcheinander emporschwirrten. Der erlegte Vogel glich an Farbe und Gestalt einem Habicht, nur die Form seiner Klauen war etwas abweichend. Leider erwies sich sein Fleisch als ungenießbar.

Robinson auf der Vogeljagd.
Ich mußte schon mit den Ergebnissen dieser ersten Entdeckungsreise zufrieden sein und kehrte deshalb nach meinem Floß zurück. Jetzt schiffte ich meine Ladung aus, womit ich den Rest des Tages verbrachte. Was in der Nacht aus mir werden sollte, wußte ich noch nicht, denn auf bloßer Erde zu schlafen schien mir bedenklich. Deshalb verbarrikadierte ich mich mit Kisten und Brettern, die ich ans Land gebracht hatte, und baute mir für die Nacht eine Art Hütte.
Am nächsten Morgen überlegte ich, daß ich aus dem gestrandeten Schiffe wohl noch eine Menge brauchbarer Dinge mir beschaffen könnte, und ich beschloß, wenn möglich, eine zweite Reise nach dem Fahrzeuge zu unternehmen, ehe ein nächster Seesturm das Wrack vollständig zertrümmern würde.
Zu solchem Zwecke beschloß ich, in gleicher Weise wie das erste Mal zu verfahren. Ich ließ meine Kleider in der Hütte zurück und behielt außer dem Hemd nur leinene Beinkleider sowie die Schuhe an. In diesem Anzuge schwamm ich an das Wrack und baute dort schneller als das erste Mal ein geeigneteres Floß zur Aufnahme einer neuen Ladung. Unter den Vorräten des Zimmermanns fand ich ein paar Beutel mit Nägeln und Schrauben, einen großen Bohrer, eine Anzahl Beile und Äxte und einen Schleifstein. Von den Gerätschaften des Kanoniers nahm ich zwei oder drei Hebeeisen, zwei Fäßchen mit Musketenkugeln, sieben Musketen und eine Bergflinte, einen kleinen Vorrat Pulver, einen tüchtigen Beutel mit Schrot und eine große Rolle dünngeschlagenes Blei.
Außerdem eignete ich mir alle Kleidungsstücke an, die ich nur finden konnte, ferner ein Vormarssegel sowie eine Hängematte mit Bettzeug. Reich beladen brachte ich dann das Floß zu meiner Freude glücklich ans Land.
Nun gab es alle Hände voll zu thun, um mittels der Segel und etlicher Pfähle ein Zelt zu errichten, und alles, was etwa durch die Witterung Schaden leiden könnte, unter Dach und Fach zu bringen. Ich stellte leere Fässer, Kisten und Tonnen um das Zelt und umgab mich mit einem Wall, so daß ich mich vor einem ersten Angriff oder Überfall von Menschen oder Tieren gesichert glauben durfte. Auch verschloß ich den Eingang mit Brettern, breitete eine der Matratzen auf den Boden, legte zwei Pistolen an das Kopfende, eine geladene Flinte längs der Seite des Lagers und schlief zum erstenmal wieder in behaglicher Weise ungestört bis zum Morgen.
Am dritten Tage begab ich mich wiederum an Bord des Wracks. Diesmal nahm ich alle Taue, Stricke und Schnüre mit, die noch aufzufinden waren, ebenso ein großes Stück Zeug zum Ausbessern der beschädigten Segel sowie das Faß mit dem naß gewordenen Pulver. Natürlich ließ ich auch die Segel nicht zurück, die mir später trefflich zu statten kamen. Die größte Freude verursachte es mir jedoch, als ich eine große Tonne mit Brot, drei Fässer voll Rum, eine Kiste Zucker und eine Tonne mit feinem Mehl entdeckte. Auch diesmal brachte ich meine Ladung unversehrt ans Land.
So unternahm ich regelmäßig meine täglichen Ausfahrten und hatte in zwölf Fahrten alles von dem gestrandeten Schiffe geborgen, was ich auf meinem kleinen Floß fortbringen konnte. Als ich mich zum letztenmal auf dem Schiffe befand, entdeckte ich noch in der Schublade eines kleinen Tisches einige Rasiermesser, über ein Dutzend Tischmesser, Gabeln und Löffel, sowie europäische und brasilische Gold- und Silbermünzen im Werte von 40 Pfund Sterling (800 Mark). Ich konnte mich bei dem Funde eines spöttischen Lächelns nicht erwehren. »Was soll mir doch«, dachte ich zunächst, »dieses glänzende Metall nützen? Ein einziges Messer ist mir nützlicher als all das Gold und Silber! Lohnt es sich wohl der Mühe, es nur vom Boden aufzuheben? Ich brauche es nicht; mag es bleiben!« Aber schon nach wenigen Augenblicken besann ich mich eines andern, wickelte das Geld in ein Stück Leinwand und machte mich dann an die Errichtung des Floßes.
Während ich mit dieser Arbeit beschäftigt war, erhob sich ein starker Wind vom Lande her, und den Himmel überzogen schwere, dunkle Wolken. Ich sah wohl ein, daß keine Zeit zu verlieren war, daher sprang ich ins Wasser und erreichte schwimmend glücklich das Ufer. Immer heftiger blies der Wind und immer hohler gingen die Wogen der See; ich aber saß wohlgeborgen in meinem kleinen Zelte – jetzt noch ein Krösus unter meinen Reichtümern. Die ganze Nacht hindurch hatte der Sturm mit solcher Heftigkeit getobt, daß am Morgen von dem gestrandeten Schiffe nichts mehr zu erblicken war. Nur bei tiefstem Wasserstande konnte man dürftige Trümmer des Wracks aus den Fluten emporragen sehen. Zunächst war ich nicht wenig bestürzt; dann aber schlug ich mir das ganze Schiff aus dem Sinne, indem ich mich damit tröstete, die wertvollste Habe, selbst die Tiere, die ich noch lebend gefunden, in mein neues Standquartier gerettet zu haben.
Darüber konnte ich freilich nicht im Zweifel sein, daß meine Wohnung nur den ersten Anforderungen genüge, denn sie befand sich in der Nähe der Küste auf feuchtem Boden. Aber was sollte ich nun zum Aufenthalt wählen? Ein Zelt oder eine Höhle? – Vielleicht beides! Ich begab mich wiederum auf Entdeckungsreisen und gelangte an einen Hügel, dessen eine Seite eine hohe senkrechte Felsenwand bildete. Diese erschien mir geeignet, Schutz vor feindlichen Menschen und Tieren sowie vor glühenden Sonnenstrahlen zu gewähren. Außerdem bot sich mir von dieser Stelle auch die Aussicht auf das weite Meer, so daß ich jedes vorbeisegelnde Schiff erblicken konnte. Am Fuße der Felswand bemerkte ich eine Vertiefung, die jedoch keine eigentliche Höhle genannt werden konnte. Ihr unmittelbar gegenüber wählte ich meine Wohnstätte auf dem oberen Teile der Fläche. Diese Ebene war ansehnlich breit und dehnte sich noch einmal so lang wie ein grüner Rasenteppich vor meinem Zelte aus. Da sie auf der Nordwestseite des Hügels lag und den kühlenden Winden freien Zutritt gestattete, so sah ich mich auch vor der glühenden Hitze des tropischen Himmels geschützt.
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