Es war 6:00 Uhr morgens.
Tom war die ganze Nacht hindurchgefahren. Soeben war er aus einem Sekundenschlaf erwacht und hatte verdammt viel Glück gehabt.
Der Zweiundvierzigjährige, dessen Aussehen öfters mit George Clooney verglichen wurde, war Schauspieler und Malemodel.
Mit zitternder Hand nahm er sich nun eine Zigarette von der Mittelkonsole und zündete sie an, während er ausstieg und seine 1,86 m durchstreckte.
Tief inhalierend, beobachtete er den Rauch, der Richtung Morgenhimmel aufstieg und verblasste, während er sich mit der frischen Luft vermengte. Erst nach dem dritten Zug entspannte sich sein Nacken. Er ging ein paar Schritte entlang der Leitplanke.
Von hinten preschte ein Fahrzeug, dessen Fahrer wild gestikulierte, hupend an ihm vorbei. Plötzlich bemerkte er, dass er auf einer Brücke angehalten hatte.
„Mist, ich brauche dringend etwas Schlaf“, sagte er zu sich selbst.
Auch das nächste Auto fuhr hupend und beängstigend nahe an ihm vorbei. Tom winkte ihm, sich entschuldigend hinterher, nahm einen letzten Zug an der Zigarette, bevor er sie über die Leitplanke schnippte, in seinen Wagen stieg und weiterfuhr.
Erst am Vorabend war er in Hamburg gestartet und nonstop südwärts, Richtung Tessin gefahren. Vor ihm lag Bellinzona und er wusste, dass die dortige Autobahnraststätte immer geöffnet und ein gutes Sortiment an frisch Zubereitetem hatte. Also fuhr er an der nächsten Abfahrt hinaus und parkte seinen Wagen direkt vor dem Eingang.
Im selben Moment warf die Sonne ihre ersten Strahlen über die östlichen Berggipfel. Es versprach ein wunderschöner Sommertag zu werden.
Um diese Uhrzeit war es im Marché noch ziemlich ruhig.
Der Duft von frisch Gebackenem erfüllte die Luft, und Tom nahm sich zwei Croissants, etwas Butter und eine Tasse Kaffee, setzte sich damit auf die Terrasse und genoss die Frische des Morgens.
Während die Gäste noch ausgelassen und lachend auf der Klippe tanzten, sammelten Jennifer und Sabine ihre Ausrüstung zusammen und stapelten diese hinter einem Felsvorsprung im Höhleninneren, wo bereits alle erdenklichen Obstsorten für die Cocktails aufgetragen wurden.
„Wusstest du, dass diese Felskammern aus dem 11. Jahrhundert vor Christus stammen und von Menschenhand geschaffen wurden“, fragte Jennifer, was Sabine nur mit einem desinteressierten „Aha“ quittierte.
„Scheint dich nicht sonderlich zu interessieren. Hier haben die Ureinwohner der Insel bis vor dreitausend Jahren ihre Toten beigesetzt“.
„Wirklich? Ist ja ekelhaft“. Sabine verzog ihr Gesicht und blickte in Richtung hintere Ecke, so als würde da jeden Moment eine Mumie aufstehen und auf sie losmarschieren.
„Sei nicht albern. Das ist die Geschichte dieses Volkes“, erwiderte Jennifer lachend.
„Woher weißt du das alles“?
„Während dem Flug heute Morgen, als du geschlafen hast, habe ich mich weitergebildet und den Reiseführer durchgeblättert. Dabei lernt man so etwas“.
„In das Alter, in dem mich solche Sachen interessieren, muss ich erst noch kommen“.
Jenny quittierte dies mit einem Lachen.
„Can I serve you a drink“?
Jennifer suchte gerade die Tasche mit den Objektiven und drehte sich erschrocken um, als die fremde Stimme sie ansprach. Vor ihr stand ein braungebrannter Adonis, mit bloßem, glänzendem Oberkörper und langer schwarzer Schürze, die bis zu seinen nackten Füßen reichte. An der Höhlendecke hingen Lichterketten die den Fremden in warmes Licht tauchten.
Hoppla! – dachte sie, während sie sich einen gleichgültigen Gesichtsausdruck aufzwang.
„Why not“, sagte sie.
„What can I get you? A Bloody Mary? Sex on the Beach“?
„Oh – no sex please. I´m working“. Hatte sie das tatsächlich gesagt?
„I mean, I shouldn´t drink any alcohol, because I get seasick“.
Adonis sah sie fragend an.
Klar, wie sollte sie auch seekrank werden, hier in den Höhlen.
„No, I mean, I have to be on the boat later on, and so I shouldn´t drink any alcohol“.
Genau so Jenny, konzentriere dich und fasle keinen Unsinn.
Sie bemerkte, dass Adonis eine Schweißperle über die Schläfe rann. Er sah verlegen auf das Meer hinaus, das zwischenzeitlich tiefschwarz zu ihren Füßen lag und den aufgehenden Mond, sowie die bereits sichtbaren Sterne, reproduzierte.
Offensichtlich war auch er verunsichert. Nach einem kurzen Moment, in dem beide schwiegen, kam ihr
Selbstbewusstsein zurück. Jennifer bemerkte Sabine´s Kichern.
„Wie wär´s mit ´nem Glas Wasser“, schlug diese vor und sah dabei Adonis an.
Erleichtert über Sabine´s Eingreifen, streckte er den beiden die Hand hin.
„Hi, I´m Raphael. My friends call me Ral“.
Das Eis war gebrochen. Lachend stellten auch sie sich vor.
„Follow me to the bar and I´ll fix you a cold glass of water“. Er drehte sich und signalisierte ihnen, ihm zu folgen. Jennifer wagte den Blick, und stellte mit Erleichterung fest, dass er unter seiner Schürze eine Jeans trug.
Die Hochzeitsgäste bedienten sich bereits an dem üppigen Tappasbuffet und genossen das einmalige Spektakel, das für die meisten von ihnen bereits morgen schon vorbei sein würde.
Während Ral die versprochenen Drinks zubereitete erfuhren die beiden, dass er neunundzwanzig Jahre alt war und auf Menorca lebte. Mit routinierten Bewegungen ließ er zwei Gläser über seine Hände tanzen, um sie in der Drehung, mit zwei Fingern aufzufangen und simultan abzustellen. Sein muskulöser, braungebrannter Oberkörper glänzte dabei im warmen Licht der Höhlenbeleuchtung. Er füllte die Gläser und drapierte deren Rand mit einer Erdbeere. Sich selbst goss er eine Coke ein und prostete den beiden Frauen zu, wobei er seine schwarze Mähne nach hinten warf und Jenny mit stahlblauen Augen fixierte.
„So, how long are you staying“?
Während sie ihren Durst stillte, erwachten ihre Sinne zu neuem Leben. Die Hitze des Tages, der Klimawechsel und die salzige Meeresluft hatten sie müde gemacht. Die letzten Minuten hatte sie wie in Trance erlebt und sie fühlte sich beinahe, als machte sie hier Urlaub.
Jetzt, da Ral sie fragte, wie lange sie hierbleiben würde, schien sie aufzuwachen und sich ihrer eigentlichen Aufgabe zu besinnen.
„Eigentlich ist das für uns kein Urlaub. Wir wurden gebucht um die Hochzeit und die Flitterwochen zu filmen. Unsere Yacht liegt da unten in der Bucht und wir werden bereits morgen früh ablegen“.
„Das ist schade“.
„Ja, das ist es und ich wünschte ich könnte das ändern. Aber so ist das Leben“.
Jennifer hatte die Gabe, ein „ nein danke“, so zu verpacken, dass der Angesprochene sich danach sogar gut fühlte.
Ral begann zu plaudern und zu erzählen, währenddessen sich Jennifer über ihren, wenn auch nur kurzen Kontrollverlust wunderte. Es war lange her, dass ein Mann es geschafft hatte, sie so zu verunsichern.
Sie warf einen Blick zu den Hochzeitsgästen, die nun alle an Holztischen saßen und die Köstlichkeiten genossen.
Am anderen Ende der Höhle hatte sich ein DJ eingerichtet, der Licht und Musik zu einem bezaubernden Ambiente verschmelzen ließ. Aus den Lautsprechern ertönte „ All Night Long“ von Lionel Richie.
Kapitel 4 Verabredung - Tessin
Tom fühlte sich gestärkt. Trotz seiner Müdigkeit würde er die vierzig Minuten Fahrt nach Hause hinter sich bringen. Es war 8:30 Uhr. Er ging die Treppen hinunter zum Parkplatz, als sein Handy klingelte. Es war Gianna.
„Ciao Bello“.
Er wusste nicht genau, wie er ihre Beziehung nennen sollte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wären sie längst ein Paar. Gianna Bernini, 32, war Italienerin, 1,78 m groß, hatte langes, schwarzes, gewelltes Haar und grüne Augen. Sie war attraktiv und gescheit, jedoch hatte sie leider häufig diese impulsive, laute Art an sich, die Tom etwas störte.
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