Sowie sie alle eingetreten waren, gingen die Lichter an. Aus allen Ecken sprangen Gäste hervor und umarmten die frisch Vermählten. Jenny hatte es gerade noch geschafft, ihre Kamera ans Auge zu führen und die Momente einzufangen. Die Überraschung war perfekt inszeniert und gelungen, sodass Gabi über beide Ohren strahlte.
Jetzt begriff auch sie, dass dies der Grund für die eigentlich unsinnige Fahrt nach Mallorca gewesen war. Sie fiel Klaus um den Hals und überhäufte ihn mit Küssen, während Kim Skip einen fragenden Blick zuwarf, den er nickend quittierte. Offensichtlich war er eingeweiht gewesen.
Kapitel 37 Coming Home - München
Florian war mit dem Taxi bis vor die Haustür ihrer gemeinsamen Wohnung in München gefahren. Während der Fahrt hatte er fast nichts gesprochen. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich auf das, was vor ihm lag, zu konzentrieren. Bereits als das Taxi in die Straße eingebogen war, hatte sein Herz begonnen, im doppelten Tempo zu schlagen. Ihm war fast schwindlig geworden.
Als er ausstieg, blickte er zur Haustür, wie er es schon tausendmal getan hatte, aber dieses Mal war alles anders. Da war niemand, der ihn erwartete, keine Umarmung, kein Begrüßungskuss und kein, hallo Schatz, wie war dein Tag?
Schon dachte er darüber nach, einfach weiter zu gehen und in ein Hotel einzuchecken.
Wo war der ganze Mut, den er sich die letzten Tage erarbeitet hatte? Aus der Ferne betrachtet, hatte dieser Schritt viel einfacher ausgesehen. Nun, da er vor dem Eingang stand, bekam er zittrige Knie und Schweißausbrüche. Er fasste sich ein Herz, zog den Schlüssel aus seiner Hosentasche und ging langsam auf die Haustüre zu.
Bereits beim Überschreiten der Schwelle schlug ihm der vertraute Geruch entgegen. Es war ein Jugendstilhaus, das um 1900 errichtet worden war, und die Gerüche im Treppenhaus formten sich aus Holz, Bohnerwachs und Moder, da der Keller feucht war.
Erinnerungen blitzten vor seinem inneren Auge auf. Er musste mehrmals blinzeln, und sich, die ohne Vorankündigung aufquellenden Tränen, mit dem Hemdsärmel aus den Augen reiben. Wieder zwang er sich zur Ruhe. Langsam schritt er die Treppen hinauf in die oberste Etage. Dabei fiel ihm seine erste Nacht mit Jennifer ein. Sie hatte damals auch eine Wohnung im obersten Stock gehabt, in der Siebertstraße. Das lag nun fast zwölf Jahre zurück, und es fühlte sich an, als wäre es gestern gewesen. Sein Herz schnürte sich zusammen und bekam nicht genug Sauerstoff. Der Schwindel übermannte ihn und er kippte, noch halb bei Bewusstsein, nach vorn, fing sich jedoch rechtzeitig mit einer Hand ab und setzte sich auf eine Stufe. Für ein paar Sekunden beherrschte sein Körper ihn, und nicht umgekehrt. Er fühlte den Druck in seinem Schädel und wie seine Pupillen, mit aller Gewalt, nach oben, hinter die Augenlieder flüchten wollten, währenddessen ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat. So vergingen gefühlte dreißig Sekunden, in welchen er nur Lichtblitze sah und seinen Puls in den Schläfen wahrnahm. Aber er gewann den Kampf und überstand den Schwächeanfall. Als sich sein Herzschlag wieder normalisiert und er den Schweiß von seiner Stirn gerieben hatte, erhob er sich vorsichtig und wartete, bis sich seine inneren Organe allesamt damit abgefunden hatten, dass er nicht von seinem Vorhaben abzubringen war.
Mit neuer Kraft, nahm er die letzten Stufen bis zur Wohnungstür. Der Schmerz in seinem Kopf und seinem Herzen war zwischenzeitlich unermesslich groß. Gleichzeitig schwebte der Hauch der Angst, wie eine Vorahnung, wie der Schatten einer riesigen Wolke über ihm. Es war die Angst einen Rückfall zu erleiden. Die Angst davor, einen weiteren Blackout zu haben, einen Filmriss, wie er ihn gehabt hatte, nachdem er Jenny das letzte Mal geschlagen hatte.
Was hatte er in jener Nacht getan, was war es, das sein Gehirn vor ihm verbarg?
Er wusste, dass die Antwort irgendwo im Inneren seines Gedächtnisses verborgen lag, nur fand er den Zugang zu diesen Informationen nicht. Sein Gefühl suggerierte ihm jedoch, dass es keine guten Nachrichten sein würden.
Kapitel 38 KS-Uhren - Zürich
Bevor sie zum Abendessen gegangen waren, hatte Tom noch seine Taschen gepackt und ins Auto geladen. Vorsorglich hatte er Badehose, Sportkleidung, sowie etwas Legeres und etwas Elegantes eingepackt. Er konnte ja nicht wissen, was von ihm erwartet wurde und wollte in jedem Falle vorbereitet sein.
Als sie dann gegen 22 Uhr nach Hause gekommen waren, fielen sie todmüde ins Bett. Sechs Stunden später ging bereits der Wecker.
Tom stand auf, als hätte er acht Stunden erholsamen Schlaf genossen. Er fühlte sich fit und nahm eine Dusche, während Gianna sich nochmals auf die Seite drehte. Als er fertig war, stand auch sie auf und während sie sich im Bad frisch machte, trank Tom eine Tasse Kaffee. Gianna hatte dankend abgelehnt. Zwanzig Minuten später saßen sie bereits im Aston Martin und fuhren Richtung San Bernardino. Es war noch dunkel und die Straße wie leergefegt.
Der Bürokomplex von KS-Uhren befand sich in der Nähe des Bellevueplatzes, am Limmatquai, und Gianna genoss den Blick über den Zürichsee, als sie über die Quaibrücke fuhren. Fünf Minuten später parkten sie den Wagen in der Tiefgarage eines natursteinbekleideten Hochhauses, dem Firmensitz von KS-Uhren, dessen Fenster wie Spiegel wirkten und die Häuser der gegenüberliegenden Uferseite, leicht verzerrt wiedergaben. Ein luxuriöser Aufzug beförderte sie lautlos in den 12. Stock, wo sie von einer Hostess freundlich in Empfang genommen und zum Anmeldebereich geführt wurden.
Sie trug eine Uniform, eine Kombination aus schwarzem, kurzem Rock, dazu passendem Blazer, weißer Bluse mit rotem Tuch und schwarzen Highheels. Tom verkniff sich den Scherz, einen Tomatensaft bei ihr zu bestellen.
Der Anmeldebereich erstreckte sich über die gesamte Gebäudebreite. Die Seite zur Limmat hin war komplett verglast und bot einen fantastischen Blick auf den Fluss mit seinen Brücken und den alten Häusern.
Tom registrierte sofort, dass die bereits anwesenden Teilnehmer, nicht von schlechten Eltern waren. Er erkannte einige von ihnen. Auch Gianna war dies nicht entgangen und sie hob eine Augenbraue, als ihre Blicke sich trafen.
Am Empfang standen zwei weitere Hostessen mit gleichem Dresscode, die Anmeldeformulare überprüften.
Viele kleine Inseln, bestehend aus Loungemöbeln, Pflanzen und beleuchteten, brusthohen Glaszylindern mit ausgestellten Chronografen, schafften eine aufgelockerte, ruhige Atmosphäre.
Die bereits anwesenden Teilnehmer blickten Richtung Empfang, um zu sehen, wer der Neue war. Natürlich erkannten einige von Ihnen Tom, und Gianna meinte, die schwindenden Chancen in ihren Gesichtszügen ablesen zu können.
Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und sah ein üppiges Buffet, auf dem Getränke, Kaffee und Tee, sowie Gebäck und Fingerfood standen.
„Sind sie beide Kandidaten“, fragte die Hostess mit Schweizer Akzent.
„Nein, nur ich“, antwortete Tom.
Sie nickte und sagte zu Gianna:
„Wenn sie möchten, können sie sich gerne am Buffet bedienen und es sich in einer Lounge bequem machen. Es wird vermutlich ein langer Tag werden. Mein Name ist übrigens Denise. Wenn sie etwas benötigen, dürfen sie sich gerne an mich wenden“.
Gianna war erstaunt, über die Freundlichkeit und dankte lächelnd.
„Guten Morgen Herr Angelosanto, wir haben sie bereits erkannt. Mein Name ist Rosi und das ist Kathleen“.
Sie zeigte mit einer Handbewegung zu ihrer Kollegin.
Dann überreichte sie ihm eine Handvoll Formulare und wies ihm ein angrenzendes Büro zu, in welchem er diese ungestört durcharbeiten konnte, während Gianna auf ihre Uhr sah und feststellte, dass es bereits viertel vor Neun war. Sie waren pünktlich angekommen. Als sie sich gesetzt hatte, verschaffte sie sich ein genaueres Bild von der Konkurrenz.
Читать дальше