Maurice Delage - Eddie, der Golem und Ich

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Die Liebe zum Heavy Metal hatte ich von meinen Eltern geerbt, schon lange bevor ich ihren Raritätenhandel übernommen hatte. Bonnie und ich führten ein einfaches Dasein, doch ich schuftete Tag für Tag, um ihr das Leben zu ermöglichen, das sie sich wünschte. Dachte ich zumindest. Bis dieser graumelierte Herr den Temple of Goods betrat. Von da an sollte sich alles ändern und Sie werden nicht glauben, was er mir angeboten hatte.

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»Nun komm erst mal runter,« sagte ich beschwichtigend. »In der Zwischenzeit mache ich uns einen Tee, hm.« Ich deutete auf die kleine Eckbank vor dem Schaufenster.

»Ich will keinen Tee. Ich will, dass du die Schlampe ...«

»Bonita, es reicht. Du setzt dich jetzt hin. Ich bin gleich bei dir. Dann kannst du mir alles erzählen.«

Teddy, das unser Kater, zuckte zusammen. Er schien zu überlegen, ob er etwas ausgefressen hatte, das meinen Ausbruch rechtfertigen würde. Das Ergebnis war natürlich negativ. Dennoch schlich er sich eiligst davon. Sicher ist sicher.

Meine Tochter hingegen schien sich keiner Schuld bewusst. Schmollend und in ihrer Ja Daddy, aber nur unter Protest Mine ließ sie sich auf die mit rotem Kunstleder bezogenen Polster der erwähnten Sitzecke sinken. Über ihr hing ein gerahmtes Poster des Live After Death Covers, das ich erst am Vortag aufgehangen hatte. Bonnie betrachtete es einen Moment lang, dann flätzte sie sich an den Tisch und stützte ihren Strubbelkopf auf die Hände.

Mit ihren dunklen Locken sah sie aus wie die kleine Momo, die die Zeit vor den Grauen Herren rettete. Obwohl sie da natürlich gänzlich anderer Meinung war. Sehe ich aus wie acht? Zudem würde ich niemals solche Lumpen tragen.

Das war die andere Seite meiner Tochter. Sie war sich ihrer Intelligenz sehr wohl bewusst, sie war stets Klassenbeste (was sie sicher nicht von mir hat) und trug Röcke und Nylonstrümpfe seitdem sie zwölf war. Eine Dame von Welt läuft nun mal nicht herum wie ein Bauerntrampel . Ja, sie war schon sehr überzeugt von sich selbst, mitunter zu sehr.

Ich ließ mir Zeit mit dem Tee, ließ ihr bewusst ein paar Minuten, um sich zu beruhigen. Dann setzte ich mich zu ihr.

Als sie die noch warmen Scones entdeckte, rang sie sich ein Lächeln ab. Die hatte sie schon als Kind geliebt.

»Tut mir leid, Papps«, begann sie auf einem Törtchen kauend. Das heißt, ich vermutete es.

»Wenn du denn Mund leer machst, verstehe ich dich besser.«

»Sorry.« Sie stopfte sich den Rest in den Mund und wischte sich über die Lippen. »Die sind echt lecker.«

Ich schmunzelte. Sie hielt inne. »Warum schmunzelst du? Hab ich mich mit Marmelade bekleckert?« Entsetzt prüfte sie ihr Outfit. »Echt jetzt, ich hab‘ ne Stunde gebraucht, um mich anzuziehen.«

»Es ist alles in Ordnung, Schatz. Du siehst toll aus.«

Erleichtert verdrehte sie die Augen. Dann knuffte sie mich in die Seite. »Du Arsch«, sagte sie und lachte.

Ich erwiderte es. »Ein bisschen mehr Respekt, junge Dame. Ich bin immer noch dein Vater.«

»Ich bin dein Vater«, intonierte sie mit tiefer Stimme.

Kopfschüttelnd sah ich sie an. Wie sollte ich ihr jemals böse sein?

»Du wolltest mit mir über Ariel sprechen?«

Ihre Mine änderte sich schlagartig. Eben noch strahlender Sonnenschein, presste sie nun die Lippen aufeinander, als läge eine schwere Last auf ihren Schultern.

»Die blöde Kuh hat mir ein Messer ...«

»Bonita, bitte ...«

»Wie soll ich die denn sonst nennen?«

»Wie wäre es mit Ariel? Oder Frau Château?«

Sie sah mich an, als hätte ich sie geohrfeigt. »Das ist jetzt nicht dein Ernst. Die will mich umbringen und alles was dich stört, ist meine Ausdrucksweise?«

Sie sprang auf, als hätte sie etwas in den Allerwertesten gepikst. Und stieß gegen den Beistelltisch. Tee und Scones flogen durch die Luft. Die gläserne Kanne zersprang auf den Fliesen in tausend Teile.

Bevor ich etwas sagen konnte, lief sie weinend davon.

»Kinder sind etwas wunderbares, nicht wahr? Auch wenn sie uns manchmal zur Weißglut bringen.«

Ich drehte mich um. Ein graumelierter Herr stand im Laden. Offenbar hatte ich versäumt, die Tür zu verriegeln.

- 2 -

Mein Gast hatte sich sehr verständnisvoll gezeigt, er sei ja ohnehin zu früh gekommen. Erst da hatte ich auf die Uhr gesehen. Es war tatsächlich noch nicht ganz halb zehn.

Während ich die Scherben zusammenkehrte, sah er sich im Laden um, wobei ich nicht umher kam, ihn zu beobachten. Er wirkte wohlhabend, seine Hände waren manikürt, sein Anzug gewiss nicht von der Stange. Gesehen hatte ich ihn noch nie. Wahrscheinlich war neu zugezogen, sagte ich mir oder auf der Durchreise. Und noch einmal stellte ich mir die Frage, wie ich hatte vergessen können, die Tür zu verriegeln. Doch offensichtlich musste ich es getan haben. Wie hätte er sonst so plötzlich vor mir stehen können?

»Sie scheinen ein wahrer Kenner zu sein«, sagte er beiläufig, als ich mich schließlich zu ihm gesellte.

Ich lächelte etwas unsicher und legte den Kopf zur Seite.

»Ihre Exponate sind von außerordentlicher Qualität. Alles Einzelstücke, viele sogar handsigniert. Er deutete auf das gerahmte Cover, das Bonita vorhin noch naserümpfend missbilligt hatte. Bruce Dickinson hatte es persönlich mit seiner Unterschrift veredelt. Dann wies er mit einer raumgreifenden Geste in die Runde. »Ihre Räumlichkeiten gleichen mehr einem Galerie, denn einem Raritäten Shop.«

Gerissener Hund, dachte ich. Er versteht es, einem Honig ums Maul zu schmieren. Wahrscheinlich hatte er bereits etwas entdeckt, dass für ihn von Interesse war.

»Sie scheinen auch nicht zum ersten Mal mit Dingen wie diesen in Kontakt zu geraten«‘, sagte ich seine Geste erwidernd.

Er lächelte ausdruckslos.

»Haben Sie bereits etwas gefunden, das Ihnen gefallen könnte?«

»Oh, sogar einiges. Allerdings bin ich nicht gekommen, um etwas zu erwerben.«

Ich war überrascht und noch mehr, als er plötzlich, wie ein Magier aus dem Nichts, eine kleine hölzerne Truhe präsentierte. Mir war gar nicht aufgefallen, dass er sie mitgebracht hatte.

»Ich möchte Ihnen dieses, ja ich möchte sagen, einzigartige Exponat anbieten.«

Verwundert nahm ich die schlichte Schatulle entgegen. Sie war handgefertigt und recht hübsch anzusehen. Wahrscheinlich Nussholz, dachte ich. Schätzungsweise Ende neunzehntes Jahrhundert. Französisch, vielleicht auch englischer Herkunft.

Das war es jedoch auch schon, was ich positiv bemerken konnte. Sämtliche Ecken waren beschädigt. Einer der Füße fehlte vollständig. Die Beschläge waren aus einfachem Messing und der Unterboden wölbte sich fleckig. Offenbar wurde er einmal von einer Flüssigkeit durchdrängt.

Ich zog die Stirn in Falten. Beim besten Willen konnte ich nicht erkennen, was an dieser Kiste besonders sein sollte. Und schon gar nicht war sie einzigartig.

»Nun ...«

»Sie ist wundervoll, nicht wahr?« Er strahlte, als habe er mir Elvis’s Memoiren angeboten. Im Original. Handgeschrieben.

Ich atmete durch, suchte nach den passenden Worten, um ihm eine Absage zu erteilen, da beugte er sich vor und schürzte eine Hand an die Lippen.

»Sie werden nicht glauben, was sich in ihr befindet.«

*

Ich glaubte es tatsächlich nicht. Natürlich glaubte ich es nicht. Der feine Herr wollte mir allen Ernstes weismachen, in der Schatulle befände sich das Herz des Eddie. Stellen Sie sich das einmal vor. Was für ein Humbug. Und damit nicht genug. Edward the Head sei keine leblose Gestalt, die man an Seilen über die Bühne führen müsse. Er sei, halten Sie sich fest, die Inkarnation des Golem, wer auch immer das sein sollte, und Derek Riggs habe sich lediglich der uralten Legende um Rabbi Loew bedient, als er mit seiner Erweckung die Heavy Metall Szene revolutionierte.

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