Abrupt wechselt er das Thema: „Wie ich höre, war der Arzt mit deinem Gesundheitszustand höchst zufrieden? Dem Baby fehlt nichts?“
Carina war verblüfft über den schnellen Themenwechsel. Doch dann antwortete sie, ehrlich erfreut über sein Interesse: „Ja, alles bestens. Danke.“
„Und der Arzt hat deinen Zuspruch gefunden? Bei dieser Art von Untersuchungen ist es ja auch wichtig, dass sich die Mutter auch wohl fühlt …“, er ließ den Satz etwas verlegen verklingen.
Ebenfalls peinlich berührt lachte Carina kurz auf. „Ja, er war ganz bezaubernd. Sehr sympathisch. Ich bin Hanif sehr dankbar, dass er so besorgt um mich war und auf dieser Untersuchung bestanden hat.“
Von wegen Hanif, dachte sich Rayan, in dessen Auftrag die Untersuchung durchgeführt worden war. Aber diese Information behielt er noch für sich.
Carina dachte, mit ihrer Bestätigung sei das Thema abgeschlossen, aber Rayan hakte nochmals nach: „Und es hat dir nichts ausgemacht, dass es ein Mann war? Oder wäre dir die Behandlung durch eine Frau lieber?“
Sie war verwirrt, wieso stellte Rayan ihr diese Fragen?
„Nein, das ist schon in Ordnung. In München gehe ich ebenfalls zu einem männlichen Frauenarzt.“
Rayan nickte zufrieden: „Dann ist ja alles prima. Denn weißt du, du hast vorhin danach gefragt, wie lange es wohl dauern wird, bis wir die Männer erwischen. Doch dies ist nur die eine Zeitkomponente, was deinen Aufenthalt hier angeht.“ Er hielt kurz inne, um sicherzugehen, dass er Carinas volle Aufmerksamkeit hatte. In ihren Augen konnte er eine Ahnung aufkeimen sehen und setzte nach: „Der andere Zeitpunkt ist der Termin der Entbindung. Etwa 10. Mai, nicht wahr?“
Letzteres war natürlich eine rhetorische Frage, denn der Arzt hatte ihm das Datum bereits bestätigt.
Misstrauisch beantwortete Carina die Frage trotzdem: „Stimmt. Was soll das bitte heißen?!“
Rayan machte sich nicht die Mühe, den Triumph aus seiner Stimme zu verbannen, als er ihr antwortete: „Dass du bis zur Entbindung hier bleibst natürlich. Danach kannst du gehen.“
Er betonte das Wort „du“ derart, dass kein Zweifel aufkommen konnte, dass diese Erlaubnis nicht für das Baby galt.
Carina riss die Augen auf und holte Luft um ihrer Entrüstung Ausdruck zu verleihen. Doch er kam ihr zuvor: „Was denn? Überrascht dich das wirklich?! Du hattest vor, mir mein Kind vorzuenthalten! Und es bei diesem Sascha aufzuziehen. Aber nicht mit mir.“ Rayan wusste natürlich ganz genau, dass Carinas Ex-Freund Sven hieß, doch er wollte sie damit zusätzlich ärgern.
Und ohne ihre weitere Reaktion zu beachten, drehte er sich mit den Worten um „Und nun reg dich nicht so auf, das schadet meiner kleinen Tochter!“, und ließ Carina stehen.
Sie schrie ihm einige Beschimpfungen in Deutsch und Arabisch hinterher, die ihn aber nicht auf seinem Weg nach draußen aufhielten. Ein breites Grinsen war auf seinen Lippen.
„Meine kleine Tochter“, wie schön es war, sich diese Worte auf der Zunge zergehen zu lassen.
November 2005 - Alessia - Unendliche Sturheit
Am nächsten Morgen schockierte Taib seinen Chef, indem er ihm mitteilte, dass er sich zwar sehr über die Abstammungsurkunden freue, jedoch das Angebot für das Studium ablehne.
Und zum zweiten Mal innerhalb eines Tages saß Raschid mit offenem Mund an seinem Schreibtisch. „Aber wieso?!“, sein kompletter Ausdruck zeigte Verwirrung und komplettes Unverständnis.
Gelassen antwortete Taib ihm, der natürlich mit dieser Reaktion gerechnet hatte: „Ich habe gestern Abend noch lange darüber nachgedacht. Ich lasse mich nicht auf eine derartige Geschichte ein, wenn ich nicht weiß, was genau dahinter steht. Am Ende bin ich nachher erpressbar. Nein danke! Ich will mein eigener Herr bleiben.“
Sein Gesicht verriet, dass das für ihn das letzte Wort war.
Raschid Aziz kannte seinen Schützling mittlerweile gut genug, dass der in seiner unendlichen Sturheit einen Entschluss gefasst hatte, den er ihm nicht mehr ausreden konnte. Er seufzte und begab sich kopfschüttelnd wieder an seine Arbeit.
Es war einige Tage später, dass Raschid einen Anruf erhielt, den er schon die ganze Zeit gefürchtet hatte: Scheich Rayan Suekran erkundigte sich, ob der Umschlag angekommen war. Sie hatten in den letzten Wochen mehrfach telefoniert, doch stets hatte der Scheich sich bei ihm gemeldet, nie hatte er ihm eine Telefonnummer für Rückrufe aufgegeben. Offenbar wollte er nicht gestört werden.
Zunächst bedankte sich der Anwalt höflich in seinem und Taibs Namen und äußerte seine Bewunderung für die gelungene Beschaffung all dieser Unterlagen.
Dann gestand er zerknirscht und unendlich verlegen dessen Entschluss, das Studium nicht wahrnehmen zu wollen. Einige Sekunden lang war es still am Telefon, dann sagte Rayan: „Ich verstehe.“ Seinem Tonfall war nicht anzuhören, was er dachte. Kurz danach beendeten sie das Telefonat.
Erleichtert atmete der Anwalt auf, dass er die schlechte Nachricht endlich überbracht hatte. Ihm war klar, dass es eine absolute Beleidigung war, ein derart großzügiges Angebot abzulehnen.
Eine Weile überlegte er, wie der Scheich wohl darauf reagieren würde, dann gab er diese Gedankenspiele auf. Ihm war klar geworden, dass er im Trüben fischte. Von komplettem Ignorieren bis hin zu einem Racheakt an Taib konnte er sich alles vorstellen. Er hoffte bloß, dass der Junge seine Sturheit nicht eines Tages bereuen würde.
Anfang März 2015 - Hummers Haus in Alessia - Stolz und Unnahbarkeit
Carina hatte den Diener kurzerhand zur Seite gedrückt und die Tür zu dem dahinterliegenden Trakt des Hauses geöffnet. Seinen Protest ignorierte sie einfach.
Sie war vorher noch nie hier in diesem Nebengebäude gewesen, obwohl sie nun schon einige Zeit mehr oder weniger freiwillig in Hummers Haus wohnte.
Sie war um 10 Uhr mit Rayan verabredet gewesen, inzwischen war es bereits 10 Uhr 15. Ihr war klar, dass er sie absichtlich warten ließ und sie war entsprechend empört. Seit ihrem letzten Gespräch Anfang Februar hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Das war fast vier Wochen her!
Mit Beharrlichkeit hatte sie es nun endlich erreicht, dass er einem Treffen zugestimmt hatte und dann war er noch nicht einmal pünktlich. Ein Diener hatte ihr mitgeteilt, dass der Herr noch nicht bereit sei. Und das hatte das Fass bei Carina zum Überlaufen gebracht.
Wutentbrannt enterte sie den großen Raum, nur um wie angewurzelt stehen zu bleiben. Mit offenem Mund sah sie sich um. Mit diesem Anblick hatte sie nicht gerechnet, denn offenbar handelte es sich um eine großzügige Badeanlage. Im Halbdunkel des Raumes konnte sie Fliesen in verschiedenen Brauntönen erkennen. Von hell-sandfarben bis zu elegantem Mahagonibraun. Modern, aber doch im Stil der alten Badeanstalten aus der Römerzeit. Was durch goldene Armaturen und Säulengänge unterstrichen wurde.
In der Mitte befand sich eine gigantische Badewanne, wobei dieser Begriff reichlich untertrieben war: ebenfalls gefliest und etwa vier mal vier Meter groß. Einige Treppenstufen führten hinein in das dampfend warme Wasser.
Und dort sah sie Rayan. Er stieg gerade aus dem wohlriechenden Schaumbad.
Carina traute kaum ihren Augen, als sie die fünf Badefrauen bemerkte, die sich sofort seiner annahmen. Sie waren alle vollständig bekleidet in edlen Seidengewändern und hübsch aufgemacht mit sorgsam frisierten Haaren und einem leichten Schleier vor ihrem Gesicht, der allerdings durchsichtig war.
Von beiden Seiten traten zwei der Mädchen an ihn heran und begannen, ihn an Armen, Beinen und dem Rücken abzutrocknen. Rayan selbst verharrte am Rand des Beckens und hob lediglich beide Arme ein wenig an.
Dann trat die dritte Frau von vorne an ihn heran und erkundigte sich, ob sie „ihrem Herrn auch den Rest seines Körpers abtrocknen dürfe“, was Rayan bejahte. Da dies ganz offenbar nicht nur seinen Bauch, sondern auch die Region zwischen seinen Beinen beinhaltete, schoss Carina das Blut ins Gesicht, während sie diese Szene heimlich mit beobachtete. Sie schwankte zwischen verschiedenen Emotionen: Peinlich-Berührt-Sein, über Empörung bis hin zu Bewunderung. Eigenartigerweise verspürte sie keinerlei Eifersucht.
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