Pause
Ich war die Ältere, ich musste auf uns beide aufpassen.
Pause
Unser Vater ist vor dreizehn Jahren gestorben, ohne viel Aufsehen, kurze Krankheit, schneller Tod.
Ich sag´s ja nur.
3.
JÜNGERE:
Das ist jetzt nicht dein Ernst.
ÄLTERE:
Warum? Das macht man so.
JÜNGERE:
Das macht man also so.
ÄLTERE:
Viele machen das so. Du weißt doch, was ich sagen will.
JÜNGERE:
Und wenn viele von der Brücke –
ÄLTERE:
Das sagst du jetzt nicht wirklich.
JÜNGERE:
Ich will das nicht.
ÄLTERE:
Lass uns das bitte in Ruhe durchsprechen.
JÜNGERE:
Machen wir doch. Und ich sage, dass ich das nicht will.
ÄLTERE:
Das wird unser Leben radikal verändern.
JÜNGERE:
Als ob du so viel hättest, was es zu behalten lohnte.
ÄLTERE:
Das ist unfair.
JÜNGERE:
Aber wahr.
ÄLTERE :
Wir müssen einmal realistisch durchsprechen.
Was das heißt.
Und für wen –
und wie –
und ob –
JÜNGERE:
Ich kann meine Mutter nicht in ein Heim geben.
ÄLTERE:
Warum?
Warum kannst du das nicht, kommt da als Frage auf.
Du bist hier die Soziologin.
JÜNGERE:
Das war bevor ich zwei Kinder hatte und einen Job zum Geldverdienen.
ÄLTERE:
Du bist diejenige, die gesellschaftliche Normen immer in Frage stellte, und da kommt eben der Gedanke auf, ob du nur denkst, du könntest deine Mutter nicht ins Heim geben, weil es gesellschaftlich verpönt ist –
JÜNGERE:
–
ÄLTERE:
Guck jetzt nicht so, die Gesellschaft verlangt von dir – gerade als Frau – fürsorglich, liebend und familienfreundlich zu sein –
JÜNGERE:
Dann spricht jetzt mal die Soziologin zu dir, die Gesellschaft verlangt nämlich gerade das Gegenteil von mir, Effizienz und Flexibilität verlangt sie, das Aufkündigen fester Beziehungen, gerade familiärer, die Unterordnung unter die Bedingungen des Kapitals, so gesehen wäre die Pflege einer alten Angehörigen geradezu ein rebellischer Akt, du solltest nicht versuchen, mich auf meinem eigenen Gebiet zu schlagen –
ÄLTERE:
Ich will nur, dass du bedenkst, was das für deinen Alltag heißt, für deinen Beruf und ob es wirklich für alle die beste Lösung ist. Es gibt auch gute Heime. Mit Pflegekräften, die das gelernt haben und sich viel besser um sie kümmern können, ich meine nicht, dass du das schlecht machen wirst, aber die haben das eben gelernt. Können zwischendrin Pause machen.
Haben eine größere emotionale Distanz –
JÜNGERE:
Wieso gehst du eigentlich automatisch davon aus, dass ich diejenige bin, die sie zu sich nimmt?
4.
ÄLTERE:
Stadtrand.
Ein Meer aus Häusern, alle weiß.
Dazwischen eins, das ich kenne. Nicht er-kenne. Dass ich nur finde mit der Nummer, der Messingzahl neben der roten Tür. Fesch. Dieses Rot.
Auch die rote Tür hebt es nicht von den anderen ab, weil die Nachbarn ebenfalls einen kleinen farblichen Akzent setzen wollten.
Rot bietet sich an.
JÜNGERE:
Wir bauen alles um.
ÄLTERE:
Im Erdgeschoss ein großer offener Wohnbereich mit weitem Blick in den Garten.
JÜNGERE:
Wir trennen einen Teil ab. Die Mutter kriegt ihr Zimmer im Erdgeschoss, damit sie keine Treppen nehmen muss.
ÄLTERE:
Sie bauen eine Wand ein, mit Schiebetür.
Das große Fenster zum Garten ist jetzt Mutters Bildschirm nach draußen.
JÜNGERE:
Wir bauen das Gästebad behindertengerecht um.
ÄLTERE:
Der abgetrennte Teil im Wohnzimmer erhält ein Pflegebett. Höhenverstellbar.
Die Kinder lieben es, darauf herumzutoben und es hoch und runter zu fahren.
JÜNGERE:
Schluss jetzt. Kommt da runter.
Das ist kein Spielzeug.
ÄLTERE:
Der Umbau kostet ein Vermögen.
JÜNGERE:
Die Ostasienreise verschieben wir auf unbestimmte Zeit.
ÄLTERE:
Meine Schwester reduziert ihre Arbeitszeit.
JÜNGERE:
Ich will schon seit Jahren in Teilzeit gehen.
ÄLTERE:
Sie wollte Teilzeit arbeiten, um doch noch zu promovieren.
JÜNGERE:
Doktortitel sind mittlerweile wertlos geworden.
ÄLTERE:
Ich dachte, es ging um Selbstverwirklichung.
JÜNGERE:
Selbstverwirklichung ist vollkommen überschätzt.
ÄLTERE:
Wir holen Mutter gemeinsam aus dem Krankenhaus ab.
JÜNGERE:
Zuhause haben wir alles vorbereitet.
ÄLTERE:
Der Tisch im kleiner gewordenen Wohnzimmer ist gedeckt. Kuchen. Sekt. Saft für die Kinder.
Frische Blumen.
JÜNGERE:
Es soll festlich sein. Sie soll sich willkommen fühlen.
ÄLTERE:
Wir zeigen ihr ihr Zimmer mit dem Pflegebett, dem Rollstuhl, der Transferhilfe zum Umheben.
JÜNGERE:
Sie schweigt.
ÄLTERE:
Sie schweigt auch am Tisch. Sie isst keinen Kuchen.
JÜNGERE:
Sie trinkt keinen Sekt.
ÄLTERE:
Ich will jetzt allein sein.
JÜNGERE:
Sagt sie.
ÄLTERE:
Sie will aufstehen. Kann nicht. Wir helfen ihr in den Rollstuhl.
JÜNGERE:
Undankbar.
Denke ich fast. Kann es grade noch wegschieben.
ÄLTERE:
Sie rollt in ihr Zimmer.
Meine Schwester kippt ein Glas Sekt.
JÜNGERE:
Lass uns eine rauchen gehen.
ÄLTERE:
Du rauchst?
Schreien die Kinder entsetzt.
JÜNGERE:
Wir stehen im Garten, meine Schwester gibt mir eine Kippe.
ÄLTERE:
Ich gebe ihr Feuer.
Ich glaube, sie hat zum ersten Mal Angst vor dem, was sie da angefangen hat.
Ich frage sie, was ihr Mann dazu sagt.
JÜNGERE:
„Wenn es wichtig für dich ist, stehen wir das gemeinsam durch.“
ÄLTERE:
Ja, das ist doch schön.
JÜNGERE:
Wieso alle es nur als Bürde sehen, will ich wissen. Wieso es nur ums „Aushalten“ geht.
Das ist doch auch irgendwie krank.
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