»Sie bereiten sich auf den Krieg vor, Fürst?« fragte sie.
»Der General Kutusow hat mich zum Adjutanten erwählt«, erwiderte Bolkonsky.
»Und Ihre Frau?«
»Sie wird aufs Land gehen.«
»Schämen Sie sich nicht, uns Ihrer entzückenden Frau zu berauben?«
»Andree!« rief die kleine Fürstin, ebenso kokett ihrem Mann wie den anderen gegenüber. »Wenn du die hübsche Geschichte wüßtest, welche der Graf uns eben erzählt hat.«
Der Fürst machte wieder ein verdrießliches Gesicht und entfernte sich. Peter, der ihn seit seinem Eintreten mit seinen vergnügten, freundlichen Augen verfolgt hatte, näherte sich ihm jetzt und ergriff seine Hand. Die Miene des Fürsten Andree erhellte sich plötzlich und mit gutmütigem, herzlichem Lächeln rief er: »Ach, wirklich! Bist du auch in der großen Welt?«
»Ich wußte, daß Sie hier sein würden! Ich werde nächstens bei Ihnen speisen, darf ich?« fügte er leise hinzu.
»Nein, du darfst nicht«, sagte Andree lachend, indem er Peter durch einen Händedruck die Überflüssigkeit seiner Frage begreiflich machte.
Er wollte noch etwas sagen, als der Fürst Wassil und seine Tochter sich erhoben, und die Umstehenden auf die Seite traten, um ihnen Raum zu geben.
»Entschuldigen Sie, verehrter Graf«, sagte der Fürst, »diese ungelegene Festlichkeit beim englischen Gesandten beraubt uns eines Vergnügens und nötigt uns, Sie zu unterbrechen. Ich bedaure sehr, teuerste Anna Pawlowna, Ihre reizende Soiree verlassen zu müssen.«
Seine Tochter Helene bahnte sich einen Weg durch die Stühle, indem sie ihr Kleid mit einer Hand zurückhielt. Peter betrachtete diese blendende Schönheit mit einer Mischung von Entzücken und Schrecken.
»Sie ist sehr schön!« sagte der Fürst Andree.
»Ja, sehr«, erwiderte Peter. Der Fürst Wassil drückte ihm im Vorübergehen die Hand.
»Vollenden Sie die Erziehung dieses Bären«, sagte er zu der Hofdame. »Seit elf Monaten wohnt er bei mir und dies ist das erste Mal, daß ich ihn in Gesellschaft sehe. Nichts bildet einen jungen Mann so wie die Gesellschaft geistreicher Damen.«
Die Hofdame versprach lächelnd, sich mit Peter zu beschäftigen, welcher, wie sie wußte, durch seinen Vater mit dem Fürsten Wassil verwandt war. Die alte Dame, welche neben der Tante saß, erhob sich plötzlich und holte den Fürsten Wassil im Vorzimmer ein.
»Was haben Sie mir zu sagen, Fürst, wegen meines Boris? Ich kann nicht länger in Petersburg bleiben. Bitte, sprechen Sie, was ich meinem armen Sohne sagen kann.« Ungeachtet der sichtlichen Verdrießlichkeit und Unhöflichkeit, mit der der Fürst sie anhörte, lächelte sie ihm zu und hielt ihn mit der Hand zurück. »Es würde Sie nur ein Wort beim Kaiser kosten, daß er direkt in die Garde eintreten könnte.«
»Seien Sie überzeugt, Fürstin, daß ich alles tun werde, was ich kann, aber es ist schwierig, Seine Majestät darum zu bitten. Ich möchte Ihnen raten, sich lieber an Rumjanzow zu wenden, das wäre besser.«
Die alte Dame war die Fürstin Drubezkoi und gehörte einer der ersten Familien Russlands an, aber sie lebte in Armut und Zurückgezogenheit und hatte alle früheren Verbindungen verloren. Sie war nur nach Petersburg gekommen, um ihren Sohn in der Garde unterzubringen, und in der Hoffnung, dem Fürsten Wassil zu begegnen, hatte sie diese Soiree besucht. Ihr einst schönes Gesicht drückte lebhaften Verdruss aus, aber dann lächelte sie wieder und ergriff den Arm des Fürsten noch kräftiger.
»Hören Sie, Fürst, ich habe Sie nie um etwas gebeten und werde auch nie wieder etwas von Ihnen erbitten. Ich habe Sie niemals an die Freundschaft meines Vaters für Sie erinnert. Aber um Gottes willen, tun Sie das für meinen Sohn, und Sie werden unser Wohltäter sein«, fügte sie hastig hinzu. »Nein, Sie müssen mir das versprechen. Ich war schon bei Galizin, aber er hat mich abgewiesen. Seien Sie so gut, wie Sie ehemals waren«, fuhr sie fort und versuchte zu lächeln, während ihre Augen sich mit Tränen füllten.
»Papa, wir werden zu spät kommen«, rief die Fürstin Helene von der Tür her.
Der Einfluß ist in dieser Welt ein Kapital, mit dem man sparsam zu wirtschaften verstehen muß. Das wußte der Fürst Wassil. Das sicherste Mittel, nichts mehr für sich selbst zu erreichen, wäre es gewesen, wenn er für alle, die sich bittend an ihn wandten, sich hätte verwenden wollen, das hatte er längst begriffen. Deshalb wandte er nur sehr selten seinen persönlichen Einfluß an. Aber die dringende Bitte der Fürstin Drubezkoi erweckte ihm leichte Gewissensbisse. Auf was sie angespielt hatte, das war die Wahrheit, ihrem Vater hatte er in der Tat die ersten Schritte seiner Laufbahn zu verdanken. Er wußte auch, daß sie zu den Frauen, zu denjenigen Müttern gehörte, welche keine Ruhe geben, bevor sie das Ziel ihrer hartnäckigen Wünsche erreicht haben, und welche stets bereit sind, bei jeder Gelegenheit eine Szene zu machen. Dieser Gedanke war bei ihm entscheidend.
»Teuerste Anna Michailowna«, sagte er mit seiner gewöhnlichen Vertrautheit, »was Sie verlangen, ist mir fast unmöglich, aber ich werde es dennoch versuchen, aus Achtung für das Andenken Ihres Vaters. Ihr Sohn wird in die Garde kommen, mein Wort darauf. Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Teurer Fürst, Sie sind mein Wohltäter! Das habe ich von Ihnen erwartet, denn ich kenne Ihre Herzensgüte. Noch ein Wort«, sagte sie, als er sie verlassen wollte, »wenn er in der Garde ist …« und sie hielt verwirrt an … »Sie stehen so gut mit Kutusow, Sie werden ihm meinen Boris empfehlen, nicht wahr, damit er ihn zum Adjutanten nimmt? Dann werde ich ruhig sein und niemals wieder …«
Fürst Wassil lächelte.
»Das kann ich Ihnen nicht versprechen. Seit Kutusow zum Obergeneral ernannt wurde, wird er mit Bittschriften überschüttet. Er sagte mir selbst, alle Damen von Moskau wollen ihm ihre Söhne zu Adjutanten geben.«
»Nein, nein, versprechen Sie mir das, mein Freund, mein Wohltäter, versprechen Sie mir das, oder ich halte Sie noch länger zurück!«
»Papa«, wiederholte die schöne Helene, »wir kommen zu spät.«
»Nun, Sie sehen! … Auf Wiedersehen! Ich kann nicht länger …«
»Also, Sie werden morgen mit dem Kaiser sprechen?«
»Unfehlbar, aber was Kutusow betrifft, kann ich nichts versprechen.«
»Mein Wassil«, begann Anna Michailowna wieder mit einem koketten Lächeln. Sie vergaß, daß ihr Lächeln von ehemals mit ihrem müden Gesicht nicht mehr harmonierte. Sie dachte nicht mehr an ihr Alter und suchte nur alle Mittel anzuwenden. Kaum aber war der Fürst verschwunden, als ihr Gesicht wieder seinen früheren kalten Ausdruck annahm. Sie trat wieder zu der Gruppe, in deren Mitte der Graf erzählte, und gab sich den Anschein, sich dafür zu interessieren, während sie nur an den günstigen Moment zum Verschwinden dachte, da sie ihr Vorhaben nun ausgeführt hatte.
»Wie finden Sie diese neue Komödie?« fragte die Hofdame. »Monsieur Bonaparte sitzt auf einem Thron und hört die Wünsche der Nation an. Wunderbar! Nein, man sollte glauben, die ganze Welt habe den Kopf verloren!« Der Fürst Andree lächelte.
»Wirklich«, rief die Hofdame, »die Regenten können diesen Menschen nicht länger dulden, er ist für alle eine lebendige Drohung.«
»Die Regenten«, sagte der französische Emigrant höflich und in traurigem Tone. »Was haben sie für Ludwig XVI. getan und für die Königin? Nichts! Und glauben Sie mir, sie sind dafür gestraft, daß sie die Bourbonen verlassen haben. Und wenn Napoleon noch ein Jahr auf dem Throne von Frankreich bleibt, so wird die französische Gesellschaft, ich meine die gute Gesellschaft, wohlverstanden, vernichtet sein, und dann …«
Peter wollte ihn unterbrechen, aber die Hofdame, die ihn beobachtete, kam ihm zuvor.
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