»Ich glaube, ich kann Ihnen gratulieren«, flüsterte Anna Pawlowna der Fürstin ins Ohr und küßte sie innig. »Wenn ich nicht Migräne hätte, würde ich noch bleiben.«
Die Fürstin gab keine Antwort, sie fühlte sich von Neid über das Glück ihrer Tochter gequält.
Während die Gäste sich verabschiedeten, blieb Peter mit Helene lange Zeit allein in einem kleinen Salon. Er war auch früher während dieser sechs Wochen oft mit Helene allein gewesen, hatte aber niemals mit ihr von Liebe gesprochen. Jetzt fühlte er, daß das unumgänglich nötig sei, konnte sich aber durchaus nicht zu diesem letzten Schritt entschließen. Aber etwas mußte gesagt werden. Er fragte sie, ob sie mit dem heutigen Abend zufrieden sei, und mit ihrer gewöhnlichen Einfachheit erwiderte sie, dieser Namenstag sei für sie einer der schönsten.
Einige Verwandte blieben noch im großen Salon beisammen. Fürst Wassil ging mit langsamen Schritten in das Nebenzimmer. Peter stand auf und sagte, es sei schon spät. Fürst Wassil blickte ihn streng und fragend an, doch bald wurde seine Miene freundlicher, und er zog Peter an der Hand auf den Stuhl neben sich nieder.
»Nun, Helene«, wandte er sich sogleich an seine Tochter und wiederholte eine lächerliche Anekdote, die er eben gehört hatte, verließ dann aber bald wieder das Zimmer mit etwas finsterer Miene. Auch Helenes Gesichtsausdruck schien ihm düsterer geworden zu sein. Als Fürst Wassil wieder in den Saal trat, sprach die Fürstin leise mit einer älteren Dame über Peter.
»Natürlich ist das eine sehr glänzende Partie, aber das Glück, meine Liebe …«
»Ehen werden im Himmel geschlossen«, erwiderte die alte Dame.
Fürst Wassil ging vorüber und setzte sich in eine Ecke auf einen Diwan, schloss die Augen und schien einzuschlafen.
»Aline«, sagte er nach einiger Zeit zu seiner Frau, »sieh nach, was sie machen.«
Die Fürstin ging an der Tür vorüber und blickte in den kleinen Salon. Peter und Helene saßen noch dort im Gespräch.
»Immer noch wie bisher«, erwiderte sie ihrem Mann.
Fürst Wassil zog die Augenbrauen zusammen, stand auf, warf den Kopf zurück und ging mit entschlossenen Schritten an den Damen vorüber in den kleinen Salon. Rasch und mit freudiger Bewegung ging er auf Peter zu, sein Gesicht war so ungewöhnlich feierlich, daß Peter halb erschrocken aufstand.
»Gott sei Dank«, rief Fürst Wassil, »meine Frau hat mir alles gesagt.« Er umarmte mit dem einen Arm Peter, mit dem andern seine Tochter. »Mein Freund! Helene! Ich bin sehr, sehr glücklich!« Seine Stimme zitterte. »Wie habe ich deinen Vater geliebt! … Und sie wird dir eine gute Frau sein! … Gott segne euch!« Er umarmte die Tochter und dann wieder Peter und küßte sie. Wirkliche Tränen flossen über seine Wangen. »Fürstin, komm doch hierher!« rief er. Die Fürstin trat ein und begann auch bald zu weinen, auch die alte Dame zog das Taschentuch heraus. Man küßte Peter, und er küßte mehrmals die Hand der schönen Helene.
Nach einiger Zeit wurden sie wieder allein gelassen.
»Das alles mußte so kommen und konnte nicht anders sein«, dachte Peter, »deshalb ist es überflüssig zu fragen, ob es gut sei oder nicht. Es ist ein Glück, daß die bisherigen quälenden Zweifel ein Ende haben.«
Schweigend hielt Peter die Hand seiner Braut und blickte auf ihren wogenden schönen Busen.
»Helene«, rief er, sich erhebend. Er wußte, daß man bei solchen Gelegenheiten etwas Besonderes sagte, konnte sich aber durchaus nicht erinnern, was das war. Er blickte ihr ins Gesicht, sie trat ihm noch näher und errötete.
Er wollte sich auf ihre Hand bücken und sie küssen, aber mit einer schnellen Bewegung des Kopfes drückte sie ihre Lippen auf die seinen, Ihr Gesicht strahlte.
»Nun ist es zu spät, alles ist entschieden, und ich liebe sie ja auch«, dachte Peter.
»Ich liebe Sie!« rief er. Endlich war ihm eingefallen, was man bei solchen Gelegenheiten zu sagen habe, aber diese Worte klangen so armselig, daß er sich selbst darüber schämte.
Nach sechs Wochen war er verheiratet und zog in das neu renovierte Haus des Grafen Besuchow ein, als glücklicher Besitzer einer schönen Frau und zahlreicher Millionen, wie die Leute sagten.
Der alte Fürst Nikolai Andrejewitsch Bolkonsky erhielt im Dezember 1805 einen Brief vom Fürsten Wassil, der ihm dessen baldige Ankunft mit seinem Sohne ankündigte, und zwei Wochen später trafen die Gäste ein. Der alte Bolkonsky hatte immer eine geringe Meinung von dem Charakter des Fürsten Wassil gehabt. An dem Tage, an welchem Fürst Wassil ankommen sollte, war der alte Fürst Nikolai besonders schlechter Laune.
»Hören Sie, wie er umhergeht«, sagte der alte Tichon zum Architekten, »mit dem ganzen Absatz stampft er auf! – Nun, wir wissen schon …«
Aber um neun Uhr machte der Fürst seinen gewohnten Spaziergang in seinem Samtpelz mit Zobelkragen und ebensolcher Mütze. Am Abend vorher war Schnee gefallen. Der Fürst ging finster und schweigend durch die Orangerie und besichtigte verschiedene Gebäude.
»Kann man mit dem Schlitten durchkommen?« fragte er den Verwalter.
»Der Schnee ist tief, Erlaucht, ich habe schon die Hauptallee fegen lassen.«
Der Fürst ging weiter bis zur Hauptpforte.
»Gott sei Dank«, dachte der Verwalter, »die Wolke ist vorübergezogen.« – »Es war schwierig, Erlaucht, mit dem Schlitten zu fahren«, fügte er hinzu. »Wie ich hörte, wird ein Minister zu Euer Erlaucht auf Besuch kommen.«
Der Fürst wandte sich mit finsterem Gesicht um. »Was? Ein Minister?« rief der Alte mit seiner durchdringenden Stimme. »Für die Fürstin, meine Tochter, hat man nicht gefegt, aber für den Minister! Ich brauche keine Minister!«
»Erlaucht, ich dachte …«
»Du dachtest?« schrie der Fürst immer heftiger. »Du dachtest, du Räuber? Ich werde dich denken lehren!«
Er hob den Stock auf und schwang ihn über Alpatitsch und hätte zugeschlagen, wenn der Verwalter nicht unwillkürlich zurückgewichen wäre.
»Gleich den Weg zuwerfen, Halunke!«
Vor Tisch erwarteten Marie und Fräulein Bourienne im Speisesaal den Fürsten, von dessen schlechter Laune sie schon gehört hatten, Fräulein Bourienne mit strahlendem Gesicht, Marie aber bleich und schüchtern. Als der Fürst eintrat und das erschrockene Gesicht seiner Tochter sah, pfiff er. »Dummheiten!« murmelte er. »Man hat ihr wohl schon etwas vorgeschwatzt? – Wo ist die Fürstin?« fragte er laut.
»Sie ist nicht ganz gesund«, sagte Mademoiselle Bourienne mit heiterem Lächeln, »und geht nicht aus. Das ist so begreiflich in ihrer Lage.«
»Hm, hm«, machte der Fürst und setzte sich an den Tisch. Einen Teller, der ihm nicht ganz rein schien, warf er beiseite.
Die kleine Fürstin war nicht unwohl, fürchtete aber den Fürsten so sehr, daß sie es vorzog, nicht auszugehen, als sie von seiner schlechten Laune hörte. Sie lebte überhaupt auf dem Gute immer in Angst und im Gefühl der Antipathie gegen den alten Fürsten. Der Fürst erwiderte ihre Antipathie, die sich aber in Verachtung vertiefte. Die kleine Fürstin liebte Mademoiselle Bourienne sehr und verbrachte einen großen Teil des Tages mit ihr.
»Es werden Gäste ankommen, Fürst?« fragte Mademoiselle Bourienne, indem sie die Serviette ausbreitete. »Seine Erlaucht der Fürst Kuragin mit seinem Sohne, wie ich gehört habe?« sagte sie fragend.
»Nun ja, ein dummer Junge!« sagte der Fürst ärgerlich. »Und warum er seinen Sohn hierherbringt, kann ich nicht begreifen, vielleicht wissen das Fürstin Lisa und meine Tochter.«
Er blickte nach seiner errötenden Tochter.
»Bist du nicht gesund aus Angst vor dem Minister?«
»Nein, Väterchen.«
Nach Tische ging der Fürst zu seiner Schwiegertochter. Die kleine Fürstin saß an einem Tischchen und schwatzte mit Mascha, der Kammerzofe. Sie errötete beim Anblick des Alten.
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