»Ja, das ist sie wohl«, merkte Klara an.
»Ich lebe ja auch schon lange genug hier.« Paula nahm Luki bei den Schultern und drehte ihn in Richtung Tür. »Wir lassen unsere Mütter mal in Ruhe ihren Kaffee trinken. Bis später!«
Die Kinder verließen die Küche und die beiden Frauen blieben alleine zurück.
Als Paula und Luki beim Nachbarhaus ankamen, saß Carina auf der Schaukel im Garten. Benni stand hinter ihr und schubste sie an.
»He Luki, schau, wie hoch ich schaukeln kann!«, schrie Carina und warf ihre Beine in die Luft.
»Ja toll, aber pass auf, dass du nicht auf dem Boden landest!«, rief Luki ihr zu.
Dann folgte er Paula ins Haus. Es war etwas kleiner als das der Lunas, wirkte aber sehr gemütlich. Sie gingen zuerst durch die Küche und das Wohnzimmer, danach sagte Paula:
»Komm, ich zeig dir den Keller.« Dort befand sich eine große Werkstatt.
»Die hat Papa noch eingerichtet«, erklärte Paula. »Hier bin ich oft und werke herum, meistens allein, manchmal mach ich was zusammen mit Benni.«
»Echt cool«, staunte Luki. »Die Werkstatt ist super ausgestattet. Was hat dein Papa für einen Beruf?«
»Er ist Kfz-Meister in einem Autohaus in Klerstadt.«
»Meiner ist bei >Digitrent<. Kennst du die Firma?«
»Sicher, ist ja eine große. Was wird dort gemacht?«
»Weißt du, >Digitrent< arbeitet an der Entwicklung von elektrischer Mobilität, zum Beispiel Elektrofahrzeuge aller Art, vom Dreirad bis zum Lkw. Seit einigen Jahren stehen auch selbstfahrende Autos auf dem Programm.«
»Ui, das klingt ja spannend!«
»Ist es auch. Leider weiß ich nicht alles drüber, manches ist ziemlich geheim, und Papa darf es uns nicht erzählen. Aber er hat gesagt, wir können ihn mal in der Firma besuchen. Willst du mit?«
»Echt? Das würde ich total gern.« Paula war ganz begeistert.
»Dann rede ich mit Papa, ich glaube, das wird sicher klappen in der nächsten Zeit.«
Die Kinder verließen den Keller und stiegen die Treppe in das Obergeschoss hinauf. Da gab es drei Zimmer und ein Bad.
»Geradeaus ist das Zimmer von Mama«, erklärte Paula, »hier rechts wohnt Benni und da geht’s zu mir.«
Sie betrat das Zimmer auf der linken Seite und machte eine einladende Geste mit der Hand.
»Willkommen in meinem Reich!«
Luki betrat das Zimmer und schaute sich um. Es war recht groß und gemütlich eingerichtet. Unter dem Fenster stand ein Schreibtisch mit allerlei Krimskrams darauf, Schreibutensilien und natürlich auch einem Computer. Gegenüber gab es ein Bücherregal.
»Du hast ja auch so viele Bücher wie ich«, staunte er, »scheinst wohl gern zu lesen, so wie ich.«
»Oh ja, immer schon«, sagte Paula, »ich verschlinge das meiste, was mir so unterkommt. Mich interessiert fast alles.«
»So wie bei mir. Ich verschlinge auch alle Bücher. Sogar die meiner Schwestern. Du wirst es sehen, wenn du mir später beim Reintragen hilfst.«
Luki schaute sich weiter um. Im Zimmer befanden sich zwei Betten, eines an der Wand rechts vom Fenster, das zweite an der Wand gegenüber.
»Du hast zwei Betten.« Lukis Kommentar klang eher wie eine Frage.
»Ja, wenn Mia da ist, schläft sie hier. Und wenn du mal bei mir schlafen willst, kannst du das Bett haben. Ich werde sie fragen, ob das für sie okay ist, aber das wird sicher kein Problem sein.«
»Und was sagt deine Mama dazu?«, fragte Luki.
»Oh, die ist cool. Wenn meine Leistungen in der Schule stimmen und ich mich an unsere Vereinbarungen halte, kann ich eigentlich mein Leben ziemlich selbst bestimmen.«
Luki dachte nach.
»Ja, wenn ich so drüber nachdenke, kann ich das eigentlich auch. Ich mache viel ganz selbstständig, und meine Eltern lassen mich auch.«
»Dann sind deine Eltern ja auch cool.«
»Ja, die meiste Zeit schon.«
»Okay, genug geredet«, sagte Paula schließlich, »lass uns die Räder holen und ein bisschen herumfahren.«
Die Kinder rannten hinunter. Während Luki zu sich nach Hause lief, schob Paula ihr Rad aus der Garage und fuhr los. Als sie zum Nachbarhaus kam, stand er schon fahrbereit auf der Straße.
»Auf geht’s«, sagte er.
5
Familienangelegenheiten
Eine knappe Stunde später hielten sie vor einem grünen Einfamilienhaus, das auf einer kleinen Anhöhe stand. Sie waren durch Siebenwald gefahren und Paula hatte Luki den Ort gezeigt. Viel gab es ja nicht zu sehen, die Kirche, den Kindergarten, die Grundschule, das Gemeindeamt und einen kleinen Lebensmittelladen.
»Früher hatten wir auch noch eine Bank und eine Post«, hatte Paula erzählt, »aber die wurden schon vor einiger Zeit geschlossen. Es zahlt sich nicht aus, wurde berichtet. Wenigstens haben wir dieses kleine Geschäft, aber wer weiß, wie lange noch.«
Dann waren sie noch ein wenig durch die Gegend gefahren, ein wenig bergauf, ein wenig bergab, und nun standen sie schwitzend vor diesem grünen Haus.
»Hier wohnt meine beste Freundin Leonie«, erklärte Paula. »Schauen wir mal, ob sie zu Hause ist.«
Sie stiegen von den Rädern und stellten sie auf die Ständer.
Gerade, als sie auf die Haustür zusteuerten, öffnete sich diese und ein schlankes, blondes Mädchen trat heraus.
»Hallo Leonie!«, rief Paula.
»Selber hallo!«, rief Leonie zurück.
Die Mädchen umarmten sich. Leonie war etwas größer als Paula und trug ihre Haare schulterlang.
»Und wer ist das?« Sie sah Luki fragend an.
»Er war auf einmal da.«
»Wie jetzt?«
Luki schaute Leonie an, entdeckte ganz viele Sommersprossen in ihrem Gesicht und fand sie auf Anhieb sympathisch.
»Paula hat recht, ich war auf einmal hier. Ich bin Luki Luna, gerade von Südtirol hierher gezogen. Wir sind die neuen Nachbarn der Silbersteine.«
»Silbersteine ist gut.« Leonie kicherte. »Ich heiße Gruber, das ist leider kein so toller Name wie Luna oder Silberstein. Heißt >luna< nicht Mond?«
»Ja, >luna< ist der Mond. Mein Vater ist ein echter Italiener, meine Mutter ist von hier.«
»Dann kannst du Italienisch?«
»Un poco - ein bisschen«, sagte Luki und grinste.
»Das ist wohl die Untertreibung des Jahres, natürlich kann er«, sagte Paula und puffte ihn in die Seite. »Aber jetzt sollten wir fahren, sonst kommen wir zu spät. Wir müssen nämlich noch Bücher schleppen«, fügte sie zu Leonie gewandt hinzu.
»Hä?«
»Die Spedition kommt bald mit unseren letzten Sachen«, erklärte Luki, »und da sind meine Bücher dabei. Paula hat sich freundlicherweise bereit erklärt, mir beim Hineintragen und Einsortieren zu helfen.«
»Da siehst du’s«, stöhnte Paula, »kaum krieg’ ich einen neuen Nachbarn, werde ich schon zum Arbeiten verdonnert.«
»Ach, du Arme«, spottete Leonie spaßhaft, »ich glaube, du wirst es überleben. Na, dann tschüss, ihr zwei, man sieht sich!«
»Ja klar, bis dann«, verabschiedete sich Luki.
Paula zwinkerte Leonie zu.
»Bis bald!« Sie drehte sich zu Luki um. »Wer ist Erster bei eurem Haus? Gilt’s?«
»Du hast so was von keine Chance!«
»Werden wir ja sehen.«
Die Kinder traten in die Pedale und erreichten nach einer knappen Viertelstunde ziemlich gleichzeitig, außer Atem und völlig verschwitzt ihr Ziel.
»Unentschieden, einverstanden?«, japste Paula.
»Klar doch«, keuchte Luki und hob die rechte Hand.
Sie klatschten sich ab.
»Ich komm dann später wieder rüber«, sagte Paula beim Wegfahren.
Luki stellte sich unter die Dusche und zog frische Sachen an. Anschließend ging er in die Küche und trank ein Glas Wasser.
Gabi kam herein. »Ah, du bist wieder da. Hast du ein bisschen was von unserer neuen Heimat gesehen?«
»Ja, habe ich. Wo ist Papa?«
»Er hat eine Besprechung in der Firma, aber er müsste eigentlich bald wieder da sein. Die Spedition ...« Sie wurde durch ein Hupen im Hof unterbrochen. »Das müssten sie sein.«
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