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Ein Knall riss ihn aus seinen Gedanken. War Jill schon wieder da? Sie konnte die Tür nie leise schließen. Das überließ sie anderen. Sie war ja reich und die geborene Herrin. Er hatte ihr aber gesagt, dass sie heute nicht zu kommen brauchte, da die neue Hausdame ankommen sollte. Aber so etwas ignorierte sie ständig. Er wusste nicht, wie er sie höflich hinauskomplimentieren sollte, ohne dass sie beleidigt war. Außerdem hatte er einen Kredit bei ihrem Vater laufen. Und er konnte es sich nicht leisten, den sofort zurückzahlen zu müssen. Somit war er in der Zwickmühle. Auf einmal wurde die Tür aufgerissen und Jill kam wie immer wie ein Wirbelwind herein.
„Hallo, mein Lieber! Kannst du deinem Personal endlich mal anständige Manieren beibringen?“, polterte sie.
Sie sprach von Manieren? Sie hatte selbst keine. Kam ohne Anmeldung und anzuklopfen einfach herein und grüßte nicht mal. Und wollte, dass andere sie akzeptierten und Manieren hatten.
Sie sah immer wie aus dem Ei gepellt aus. Immer nach der neuesten Mode gekleidet. Schlank und kein Gramm Fett zu viel. Sie mied alles, was dick machen könnte. Fettes Essen, Süßes, Brot nur spärlich usw.
„Zuerst mal: Guten Tag! Und habe ich dir nicht gesagt, dass du heute nicht kommen brauchst, da wir einen Neuzugang haben?“, erklärte er ihr in einem ruhigen, höflichen Ton.
Eigentlich wollte er auch so lospoltern wie sie. Doch dann hätte er seine Manieren vergessen und wäre nicht anders gewesen als sie.
„Ach, Tigerchen. Sei nicht so grob zu mir. Hast du nicht gesagt, dass sie erst gegen Abend kommt? Und was stört sie mich? Das alte Mütterchen wird mir schon nicht den Rang ablaufen. Und wieso brauchst du eine Hausdame, wenn du mich haben könntest?“, schmeichelte sie ihm und strich ihm über die Brust.
„Weil du ständig unterwegs wärst und ich dann trotzdem eine brauchen würde.“
Jetzt hatte er sie mit den eigenen Waffen geschlagen. Sie war sogar kurz stumm. Nur hielt das nie lange an.
„Papperlapapp! Das könnte man auch alles telefonisch regeln und wir könnten es uns am Meer oder Strand gemütlich machen.“
„Jill, ich habe dir schon oft gesagt, dass ich mir das nicht leisten kann und ich auch längere Zeit von hier nicht weg kann.“
„Aber das würde ja aus unserer gemeinsamen Kasse bezahlt werden. Denn du weißt, mein Vater würde gerne alles bezahlen.“
„Ja, ganz genau. Von deinem Vater. Ich will nicht auf Kosten deines Vaters oder deines Geldes leben.“
„Aber das wäre doch egal, wenn wir verheiratet wären.“
Das behagte ihm ganz und gar nicht. Das ging wieder in die Richtung, in die er nicht wollte. Er wollte sie nicht heiraten. Auch keine andere. Er liebte immer noch seine verstorbene Frau. Und es würde auch keine andere ihren Platz einnehmen. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor 10 Uhr. Die Dienstboten sollten sich um 10 Uhr in der Halle einfinden.
„Jill, würdest du bitte gehen? Ich habe um 10 Uhr einen Termin mit den Dienstboten und der neuen Hausdame.“
„Wieso soll ich gehen? Die stören mich ja nicht. Ich werde einfach hier warten, bis du zurückkommst, und dann können wir zu meinem Vater fahren und dort zu Mittag essen.“
„Jill! Ich bleibe am Sonntag zu Hause bei meinen Kindern. Das ist der einzige Tag, an dem wir wirklich alle miteinander in Ruhe essen können. Unter der Woche habe ich oft keine Zeit. Und anschließend planen wir die folgende Woche.“
„Du bist ein Spielverderber! Ich bleibe sicher nicht hier bei dir zum Essen. Die Köchin kann ja nur etwas Gewöhnliches kochen.“
„Es ist dir überlassen, was du machst. Ich gehe jetzt in die Halle“, erklärte er, stand auf und ging.
Er drehte sich nicht noch einmal um, um zu schauen, was sie machte. Er kannte sie. Sie würde sicher schmollen und glaubte, wenn sie ein sehr trauriges Gesicht machte, würde er alles tun, was sie wollte. Vielleicht klappte das bei anderen und bei ihrem Vater, aber bei ihm nicht!
Friedrich kam gerade die Treppe runter.
„Wo sind die Kinder?“, fragte er.
„Die kommen gleich.“
Das Personal wartete schon aufgereiht in der Halle. Friedrich gesellte sich dazu. Er zeigte der Köchin den Daumen hoch. Sie wusste nicht, was das bedeuten sollte. Aber sie würde es bald sehen.
Der Graf wurde auch schon nervös. Jeder sah die Treppe hinauf und wartete darauf, dass die Kinder stürmisch herunter rennen würden, das Kindermädchen bzw. die Hausdame hinterher, um sie aufzuhalten. Doch um die Ecke bog die neue Hausdame und hielt an jeder Hand ein Mädchen.
Der Graf starrte sie an und war sprachlos. Das Personal tuschelte leise. Unten angekommen zogen die Mädchen Anna gleich zum Personal. Sie warteten gar nicht erst, bis ihr Vater eine Ansprache hielt. Der war immer noch sprachlos. Seine Kinder so gesittet, hübsch und sauber angezogen zu sehen. Es war ein sehr schönes Bild.
„Anna, wir stellen dir gleich alle vor“, meinte Elisabeth. „Das ist Friedrich, unser Butler. Er scheucht alle herum.“
Er hüstelte bei dieser Aussage. Anna gab ihm die Hand und begrüßte ihn nun auch offiziell.
„Guten Tag, Friedrich. Wir haben ja schon Bekanntschaft gemacht.“
„Ja, und hier ist Ihr Autoschlüssel.“
„Danke fürs Wegbringen.“
„Das hat der Chauffeur erledigt. Bei ihm müssen Sie sich bedanken.“
Elisabeth zog sie auch schon weiter.
„Das ist unsere Köchin Elfriede oder, wie wir sie nennen, Elfi.“
Auch ihr gab sie die Hand und begrüßte sie freundlich. Die Köchin war überrascht über so viel Freundlichkeit. Man merkte, diese Frau hatte Manieren. Sie gab einem jeden die Hand. Egal, wer er war.
Die meisten neuen Kindermädchen sprachen nur ein paar Worte, oder sie stellten sich gar erst nicht richtig vor und glaubten sich schon am Ziel als Herrin des Hauses.
„Das ist Franz, unser Fahrer. Er bringt uns in die Schule und fährt auch unseren Vater.“
„Hallo! Und danke fürs Wegbringen meines Autos. Ich hoffe, Sie hatten keine Probleme beim Starten. Manchmal hat er einige Mucken.“
„Danke der Nachfrage. Ich bin gut damit klargekommen. Ich werde ihn mir mal ansehen, wenn ich Zeit habe. Wann benötigen Sie ihn wieder?“
„Spätestens am Sonntag.“
„Bis dann geht er wie eine Eins.“
Franz fand sie sehr sympathisch. Und bereute es nicht, das Auto umgeparkt zu haben.
Der Graf wunderte sich über sein Personal. So freundlich waren sie noch nie zu jemandem gewesen. Aber Anna war auch freundlich und nett zu allen. Seine Kinder waren wie ausgewechselt. Sie war erst eine Stunde da und hatte schon alle um den Finger gewickelt. Oder was war hier los?
„Das sind Andrea und Fritzi, unsere Zimmermädchen. Sie helfen auch in der Küche, wenn Not am Mann ist.“
Vor lauter Nervosität machten die beiden sogar einen Knicks.
„Meinetwegen braucht ihr keinen Hofknicks zu machen.“
Sie wurden rot vor lauter Verlegenheit.
„Ich bedanke mich für den Empfang und hoffe, dass wir gut miteinander auskommen werden. Mein Name ist Anna Berger, um mich auch richtig vorzustellen. Und bitte nennen Sie mich Anna.“
Sie alle klatschten Beifall. Jetzt wurde auch der Graf wach.
„Ja, ich möchte mich bei euch auch für den herzlichen Empfang bedanken. Und hoffe auf gute Zusammenarbeit. Ich denke, meine Töchter haben das Wichtigste erklärt. Jetzt kann jeder wieder an seine Arbeit gehen. Und wir sehen uns dann zum Mittagessen um Punkt 12. Frau Berger, ich hoffe, Sie geben uns heute die Ehre und essen mit uns. Wie ich sehe, haben meine Kinder Sie schon ins Herz geschlossen und wären mir sicher böse, wenn Sie in der Küche mit den anderen essen sollen.“
Was redete er denn da? Hatte sie ihm auch schon den Kopf verdreht? Er hatte ja nur ein paar Worte mit ihr gewechselt. Aber sie hatte etwas an sich, dass man nicht anders konnte.
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