Auf den ersten Blick erscheint dies wie unvereinbare Widersprüche, wenn nicht gar wie die Rechtfertigung einer sehr lockeren Moral. Weit gefehlt. Im Alltag erlebe ich Mahina als eine hübsche, coole, zuverlässige, gelegentlich überaus anstrengende, auf ihre Weise sehr treue und für mich einmalig packende Frau.
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Verglichen mit ihrem San Francisco-Appartement aus Wohnküche und Schlafklosett empfand Mahina unsere Vierzimmerwohnung in Steinbach als Luxuswohnraum. Mona brachte Mahina seit den ersten Telefongesprächen – auch aus Mitgefühl für deren übersinnliche Fähigkeiten – große Zuneigung entgegen. Dennoch hakte es während der erste Woche nach ihrer Ankunft ein paar mal zwischen beiden.
Mahina lacht eher selten; mit Ironie umzugehen fällt ihr schwer. Sie denkt sehr schnell und kreativ, sagt meist unverblümt, was sie denkt, nicht immer diplomatisch. Ihr meist ruhiger Gesichtsausdruck mag Leuten, die nicht genau hinschauen, wie gleichgültig erscheinen. Dafür lächelt sie innerlich um so öfter und geht gewiss die meiste Zeit zufrieden und vergnügt durch den Tag. Menschen, denen sie vertraut, zeigt sie eine anrührende Herzlichkeit.
Dann brach das Eis. Als Mona die Eigenheiten im Wesen unserer Mond-Göttin besser verstand. Inzwischen sind die beiden enge Verbündete im Herzen. Mona half Mahina beim Zurechtfinden im Alltag und in der deutschen Sprache. Auch wenn deren kreative, meist unbestechlich scharfe Denkweise sowie ihre Lust, über Worte und die Welt zu streiten, Mona mehr als einmal in stille Verwunderung versetzte.
In Sachen Liebe machte sie ebenfalls ganz neue Erfahrungen. Zunächst unsicher, dann zaghaft erfreut erlebte sie Mahinas reihum liebevolle Wertschätzung im alltäglichen Miteinander. Ohne jede Anzüglichkeit, spürbar frei von Eifersucht. Mahinas Umgang mit Sex und Sinnlichkeit – glaubwürdig, zwanglos und ohne Lüsternheit – wirkte für Mona erst missverständlich, dann wie eine innere Befreiung. Das Ergebnis: Auch wenn es gelegentlich anstrengend wird, wir halten zusammen, leben einen überwiegend heiteren, gelassenen Alltag zu dritt.
Bunte Familie.
Ein Stück traditionelles Hawaii in Steinbach.
Ob mit oder ohne Sex – Monas Platz in meinem Herzen oder unserem Haushalt zu schmälern kommt Mahina nicht in den Sinn.
Abgesehen davon, dass ihr dies nicht gelingen würde.
Gegenwärtig weilt Mahina für etwa zehn Tage in San Francisco. Sie will ihre kleine Wohnung für unregelmäßige Ferienbesuche einmotten und sich gebührend von ihrer bisherigen Arbeitgeberin Nancy Wong verabschieden. Außerdem sind noch Formulare für die Entzollung ihrer Harley-Davidson „Road King“ zu beschaffen.
Neulich, nach ihrem Abflug in Richtung San Francisco, standen Mona und ich betrübt am Flughafen rum. Nur wenige gemeinsame Wochen; doch mein Gefühl des Verlusts entsprach dem von Jahren. Mona hatte Tränen in den Augen, ungelogen. Und hat den Unterschied zwischen Corinna und unserer Mond-Göttin so ausgedrückt:
„Mahina ist wirklich anwesend, ganz und gar, wenn sie da ist.“
Treffender lässt es sich nicht sagen.
Jetzt stehe ich im Wohnzimmer und vermisse sie einfach.
Eine kleine Ewigkeit stehe ich im halbdunklen Wohnzimmer und sinniere über Leben und Tod und – einmal mehr erstaunt – über die Wirren meines Beziehungslebens. Gedanken sind in kürzester Zeit zu großen Sprüngen fähig.
Mona ist mit ihrer Freundin Sabine ausgehen.
Mit Mahina in San Francisco habe ich vor gut vier Stunden telefoniert und keinen Grund, sie erneut anzurufen. An sie zu denken reicht, um mich in eine bessere Stimmung zu bringen. Recht hat sie; schuld am Tod des Herrn Marx sind die Leute, die Hochhäuser erfunden haben.
Um den letzten Rest unguter Gefühle loszuwerden, wechsele ich in mein Sportdress und lege mich zum Gewichtdrücken auf die Hantelbank in Monas Zimmer. Einen Teil des Raums haben wir mit einer langen, dunkelblauen, spanischen Wand abgetrennt. Die Dojo-Matte, der Boxsack und die Hantelbank sind dahinter verschwunden. Dennoch bietet das Zimmer reichlich Platz für Monas – und mehrere Nächte Mahinas – Bett, einen Regalschank mit Schreibplatte sowie eine Leseecke mit zwei bequemen Sitzgelegenheiten.
Eher beiläufig zwischen meinem Schnaufen und dem schabenden Bewegungsgeräusch der Hantelstange vernehme ich erst die Wohnungs-, kurz darauf die Zimmertür.
„Oh, oh, mein Hauptmann hat Probleme,“ stellt Mona halblaut fest, während sie sich an ihrem Schrank zu schaffen macht. Augenblicke später erscheint sie schräg vor mir hinter der spanischen Wand. Ich beende die Übung, richte mich keuchend auf.
„Huh! Guten Abend, schöne Frau. Danke für den scharfsinnigen Hinweis auf meinen Seelenzustand.“
„Hm, schöne Frau; der meint mich. Hör auf, Berkamp; mir brauchst Du nichts vormachen. Hanteln um die Uhrzeit ist alles andere als üblich. Was ist? Ich koche uns Tee und dann reden wir.“
Mona ist ein echter Sonnenschein.
Wenige Minuten später liegen wir wie gewohnt nebeneinander im Wohnzimmer auf der Ledercouch, ich längs ausgestreckt, sie quer halb sitzend mit angezogenen Beinen.
„War was ... hier im Haus? Unten steht ein Polizeiwagen, zivil, reichlich spät. Riecht nach Kripo, mit Funkgerätgequake durch den Fensterspalt. Erst dachte ich, Mammi wäre hier. Ist sie aber nicht, oder?“
„Nein, Corinna ist nicht hier, ist auch nicht beteiligt. Hattest Du mit Sabine wenigstens einen schönen Abend?“
„Heißt auf Deutsch, deiner war nicht so schön. Hast Du damit was zu tun, unten mit den Bullen?“
Ein altes Ehepaar macht das kaum besser.
Also berichte ich, was vorgefallen, wer wie herabgefallen ist. Möchte es bei einer Kurzfassung belassen. Doch Mona damit abzufertigen ist nahezu ausgeschlossen. Mühelos schüttelt sie etliche Fragen aus dem Ärmel; sachbezogen, folgerichtig, in angemessener Tonlage.
Sie ist nun mal die Tochter ihrer Mutter.
Obendrein angehende Kriminologin.
Anders als ich hat sie eine Vorstellung, wer Herr Marx ist, war.
„Du müsstest öfter mal Fahrstuhl fahren,“ empfiehlt sie.
Kleine Spitze gegen meine Gewohnheit, Treppen zu steigen.
„Dann triffst Du auch die Leute, immerhin unsere Nachbarschaft.“
Seit der ersten Begegnung redet Mona mich hartnäckig mit Berkamp an. Von ihr mag ich das sehr. In jüngster Zeit sagt sie gelegentlich auch „Bear“. Das hat sie von Mahina übernommen.
Als ich bereits denke, damit sei das Thema Marx beendet, drückt Mona mir ihren nackten Fuß gegen den Oberarm.
„Und ... was wird jetzt aus seiner Tochter?“
Oh. Tochter? Die Frage kommt völlig unerwartet.
„Welche Tochter? Laut Aussagen der Nachbarn lebte Marx allein, hat keine Tochter.“
„Na gut, dann hat er halt keine Tochter.“
„Wie kommst Du denn darauf, Mona? Auf eine Tochter?“
„Ach, weil ... da war ein junges Mädchen. Wir sind zwei- oder dreimal zusammen im Fahrstuhl gefahren, mit Marx. Wie die geredet haben, und er mit ihr umgegangen ist, sie angefasst hat. Ich dachte, so vertraut, das muss seine Tochter sein. Für seine Geliebte war die jedenfalls reichlich jung.“
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