Jürgen Heiducoff - Gedanken in Fernost

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Während des Aufenthaltes in Fernost wird der Autor durch manche Ereignisse und Begegnungen an eigene Lebensabschnitte erinnert. Hier findet er trotz einer völlig anderen Kultur im Alltag zum Teil vor, was in seiner Heimat nicht mehr existiert: strenge Schulausbildung und Erziehung in der Pionierorganisation, Achtung gegenüber den Alten, kein ausschließliches Streben nach materiellem Besitz.

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Jürgen Heiducoff

Gedanken in Fernost

Biografische Abrisse

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis Titel Jürgen Heiducoff Gedanken in Fernost Biografische - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Jürgen Heiducoff Gedanken in Fernost Biografische Abrisse Dieses ebook wurde erstellt bei

Prolog

Eindrücke aus meiner Kindheit

Rückkehr in die Zukunft

Jugenderinnerungen zwischen Qingdao und Peking

Leben unter primitivsten Bedingungen

Fernost und mein Moskauer Gebiet

Umbrüche, wirtschaftliche Chancen und Zwänge

Silhouettenwechsel

Die Menschen achten und von ihnen lernen

Hoffnungen an der Seidenstrasse

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Ich stehe an der Ostküste Chinas. Das Gelbe Meer geht weiter draußen in den Pazifik über. Mein Blick geht weit hinaus aufs Meer. Ich sehe einige Inseln und ein paar Schiffe.

Unendliche Weiten des Ozeans diesseits. Ebenso riesige Landflächen jenseits.

Am anderen Ende des „Jenseits“ befindet sich Europa.

Ich erlebe die neue Welt – China. Da ich mein Berufsleben hinter mich gebracht habe, kann ich mir dafür mehr Zeit als gewöhnlich nehmen.

Unter dem Einfluss der Eindrücke dieses aufstrebenden Teiles der Welt ziehen die Abrisse meines Lebens an mir vorbei.

Hinter mir liegt Dalian – das frühere Port Arthur. Es war im späten 19. Jahrhundert der südlichste Pazifikhafen des russischen Zarenreiches, aber auch später der Sowjetunion. Russische Heldendenkmäler erinnern an mehrere Kriege gegen Japan. 1894 eroberte Japan die strategisch günstig gelegene Buch. Im Russisch - Japanischen Krieg trat Russland Hafen und Festung an Japan ab. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges nahmen sowjetische Truppen die Stadt ein. Noch heute findet man die Spuren der Zarenzeit. Der Bahnhof von Lüshun, dem südlichsten Stadtteil Dalians könnte auch zu einer Kleinstadt im Raum Moskau passen. Interessant ist, dass die Russen im Unterschied zu den Japanern deutliche Spuren in der Architektur hinterlassen haben.

Ausländer, auch „Langnasen“ trifft man kaum in Dalian – gelegentlich ein paar Russen. Dies resultiert aus der militärischen und maritimen Präsenz auf der Halbinsel.

Wir Europäer haben den Eindruck, ostwärts von China, Korea und Japan ist die Welt zu Ende.

Das chinesische Weltbild ist ein anderes: China stellt das Zentrum der Welt dar – das Reich der Mitte. Die chinesische Weltkarte stellt eben China in den „Mittelpunkt der Welt“ und Europa befindet sich am westlichen „Ende der Welt“, während der amerikanische Kontinent den östlichen Weltrand markiert.

Ich befinde mich hier also im Zentrum des Weltgeschehens.

Sicher ist es nicht so, dass sich die Welt um China dreht. Aber der Einfluss des Riesenreiches steigt stetig an: wirtschaftlich, politisch und auch militärisch. Die letzten Olympischen Spiele haben der Welt vor Augen geführt, dass China auch auf dem Gebiet von Kultur und Sport zu den Großen dieser Welt gehört.

Die Selbstbetrachtung Chinas als Reich der Mitte hat auch in Übereinstimmung mit der Weltsicht des Philosophen Konfuzius auch etwas mit der Rolle Chinas als Macht des Ausgleiches zwischen den Polen dieser Welt zu tun. China lehnt jede Gewalt in den internationalen Beziehungen ab. Das Riesenreich bemüht sich wohl um Einfluss in der Welt und um die Wahrung der eigenen Interessen, aber ohne militärisches Engagement. Die Jahrhunderte andauernde Isolation Chinas vom Rest der Welt hat im wesentlichen negative Auswirkungen gehabt. Deshalb betrachtet sich das bevölkerungsreichste Land heute als integraler und nicht unwesentlicher Teil dieser Welt. Dies kommt auch durch die Spruchbänder im Ankunftsbereich des Pekinger Flughafens zum Ausdruck. In vielen Sprachen ist dort zu lesen: „Willkommen bei Freunden“.

Doch was tut ein relativ bodenständiger und heimatverbundener Mensch, der ich lange Zeit war, in dieser fernen Welt? Hat mich der Beruf hier her verschlagen? Ist es Tourismus? Suche ich nach einer neuen Existenz oder einen neuen Wirkungskreis? Ist es eine Art Flucht?

Wer bin ich eigentlich?

Mein Berufsleben habe ich hinter mir. Dies kam nicht unverhofft. Seit vielen Jahren ist mir bekannt, dass ich mit Erreichen des 59. Lebensjahres in den Ruhestand gehen werde. Und dennoch – es bringt mich aus dem Tritt.

In der Ferne – de facto am anderen Ende der Welt denke ich viel über mich und mein Leben nach. Meine Gedanken schweifen zurück in die verschiedenen Etappen meines Lebens. Ich brauche den Abstand vom gewohnten Alltag und ich brauche die Kulisse Ostasiens, um einige Phasen meines Lebens im Rückblick zu betrachten.

Eindrücke aus meiner Kindheit

Alles begann – wie immer – in der Kindheit.

Die Kindheit prägt jeden Menschen.

Es waren bescheidene, aber glückliche Jahre im sächsischen Bergbaugebiet unweit Leipzigs.

Nur ungern ging ich in den Kindergarten. Als der erste Schultag nahte, schrie ich, weil ich da nicht hin wollte. Doch dann, als wir fast alle Junge Pioniere wurden und das blaue Halstuch tragen durften, mochte ich die Schule doch. Es war eine kleine und alte Dorfschule, in der Unterricht für die Schüler der ersten bis vierten Klasse erteilt wurde. Der Schulhof befand sich direkt neben der Dorfkirche und dem Pfarrhaus. Im Pfarrhaus fand die Christenlehre statt.

Als Junge lebte ich mit meiner Mutter und dem Großvater in einem kleinen, alten Haus am Rande des Dorfes. Hinter dem Haus war der Garten, der durch die alte Schnauder, einem Bach, der vom Schachtgraben gespeist wurde, begrenzt war. Mächtige Waiden wuchsen entlang des Baches.

Mein Großvater hatte den entscheidenden Einfluss auf mich und meine Erziehung. Er war ein magerer und zäher Mann, der sehr einfühlsam, aber auch jähzornig sein konnte. Sein struppiger Schnurrbart, seine kaukasische Nase und seine zweckmäßige, dem Trend nicht entsprechende Kleidung machten ihn zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit weit über die Dorfgrenzen hinaus. Der störrische Paul hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, den er an uns Jungen weitergeben wollte. Sein langes Leben war durch viele Begegnungen mit guten Menschen – wie er sagte – bereichert worden, aber auch geprägt durch Erlebnisse und Eindrücke unter unmenschlichen Bedingungen. Seine Lebensphilosophie gipfelte darin, keinem Menschen automatisch Ehrfurcht entgegenzubringen oder gar Scheu zu empfinden. Er war zutiefst geprägt von den Ideen des Humanismus. Ich war von seinem Einfluss bestimmt.

Noch lange bevor in der Schule Geografie auf dem Lehrplan stand, hatte mich mein Großvater Paul für ferne Welten begeistert. Gern schloss er mich in seine Träume ein. Er konnte stundenlang von den Bergen des Kaukasus, von Persien und von Mittel und Ostasien erzählen, als habe er sein halbes Leben dort verbracht. Er vermochte es, von den Menschen im Süden Russlands zu schwärmen, als seien es seine Verwandten. Sicher lag diesem Schwärmen der Wunsch zugrunde, der Welt der fünfziger Jahre im verarmten Sachsen wenigstens in der Fantasie zu entfliehen. Was bot das kleine westsächsische Ramsdorf schon? Sollte dieses Leben das sein, wofür er als Veteran der deutschen Arbeiterbewegung gekämpft hat?

Er war mit Leib und Seele Sozialdemokrat und sein Idol war stets August Bebel, dessen Foto über seinem Bett hing. Von Pieck mochte er nichts wissen. Über Ulbricht machte er sich lustig. Er hasste die Nazis und misstraute den Kommunisten.

Eines Morgens rief er mich zu sich und sagte: „Junge, dein Leben wird dich in die Berge des Kaukasus und weiter nach Zentral- und Ostasien führen und du wirst von den Menschen tief beeindruckt sein! Glaube deinem alten Opa!“

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