1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Aber dann beginnt schon das nächste Problem. Was meinen wir genau, wenn wir vom Urknall sprechen? Das ist nämlich keineswegs so eindeutig definiert, dass darüber sofort Einigkeit herrschen würde. Der Begriff wird verschiedentlich auf sehr verschiedene Perioden oder Vorgänge bezogen, je nachdem, worüber man gerade referiert.
Der Urknall kann so die Periode sein, in der sich aus einer extrem heißen und dichten Ursuppe die materielle Basis für das uns bekannte Universum entwickelte. Eine Periode, die etwas 380 000 Jahre dauerte und endete, als sich Strahlung und Materie entkoppelten und die Materie beginnen konnte, sich großräumig zu strukturieren. 380 000 Jahre sehen nicht gerade nach einem kurzzeitigen Ereignis aus, wie es ein Knall für gewöhnlich ist. Aber gemessen am Gesamtalter des Universums sind sie auch nur ein Wimpernschlag.
Das kann man zeitlich noch einengen, indem man den Urknall als jene Periode betrachtet, in der sich im Chaos der ursprünglichen Quarks, Elektronen, Positronen, Photonen und Neutrinos die ersten stabilen Atomkerne formieren konnten. Das dauerte etwa 3 Minuten, was auch nicht eben nach einem Knall, also einem plötzlichen Ereignis aussieht. Aber immerhin war es schon eine überaus turbulente Periode, in der sich in extrem kurzen Zeitabständen vielfältiges Geschehen abspielte.
Noch mehr Knall-Fall wäre dann die Periode der Inflation. In ihr vergrößerte sich das Universum in einer Zeit zwischen 10^-38 und 10^-35 Sekunden auf das 10^100fache oder das 10^50fache, kann auch sein nur um das 10^30fache; die Angaben der Fachleute variieren. In jedem Fall wäre es jedoch ohne jeden Zweifel ein, auf die Zeit bezogen, außerordentlich explosiver Beginn.
Am Häufigsten wird freilich mit dem Urknall noch etwas anderes gemeint; keine mehr oder weniger lange oder kurze Periode, sondern ein räumlich und zeitlich punktuelles, plötzliches und extrem kurzzeitiges Ereignis: Der Beginn des Universums, der Moment, da es in seine Existenz trat, der absolute Anfang von allem.
Und da gehen die Probleme mit dem Urknall erst richtig los.
Wenn uns die Wissenschaftler erklären wollen, was es mit diesem Beginn auf sich hat, geraten sie – ohne es sich sonderlich anmerken zu lassen – in ziemliche Not. Es sei darauf verwiesen, warum die Idee, das Universum habe einen Anfang gehabt, überhaupt auftauchte. Das war den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins, nein eigentlich denen von Alexander Friedmann und den Überlegungen des Priesters Georges Lemaître, schließlich den Beobachtungen der galaktischen Rotverschiebungen durch Edwin Hubble zu verdanken.
Die Gleichungen, ihre Interpretationen und die Beobachtungen zeigten ein dynamisches Universum, das entweder in sich zusammen fällt oder sich ausdehnt. Einstein hätte lieber ein statisches, schon immer existierendes Universum konstruiert. Aber das gelang dem „Ingenieur des Universums“ nicht, weshalb er es mit der künstlichen Einführung eines zusätzlichen Terms, der unnatürlichen kosmologischen Konstante versuchte. Auch das war erfolglos, denn auch mit ihr war das Universum nicht statisch.
Als Friedmann nachwies, Einsteins Allgemeine Relativität würde zwangsläufig zu einem instabilen Universum führen, unterstellte Einstein ihm zunächst mathematische und logische Fehler. Das musste er wenig später etwas kleinlaut zurücknehmen.
Dann kam Lemaître und machte Einstein ebenfalls darauf aufmerksam, seine, Einsteins, Gleichungen würden zu einem Universum führen, dass expandiert oder kontrahiert, aber einfach nicht stabil sein kann. Zur Abwechslung bestätigte Einstein Lemaître eine exakte Mathematik, bezichtigte ihn aber, eine abscheuliche Physik zu betreiben. Nicht dass Einstein der störrische Alte war, der den jungen Leuten einfach nicht recht geben wollte. Er war gefangen in einem damals von nahezu allen Physikern mit Überzeugung vertretenen Paradigma des schon immer existierenden Universums. Das verteidigte er, obwohl er in diesem Fall besser seinen eigenen Gleichungen hätte vertrauen sollen.
Als endlich klar war, dass Friedmanns Gleichungen, Lemaîtres Überlegungen und Hubbles Galaxien-Beobachtungen gut zusammenpassen, wurde die Auffassung vom ewig existierenden Universum aufgegeben. Die Vorstellung von der Expansion des Universums war etabliert.
Deshalb sah Einstein sich nun gezwungen, die Kosmologische Konstante als seine größte Eselei zu bezeichnen und zurückzunehmen. Das hätte man so stehen lassen können. Da hat er sich halt mal geirrt, der Meister. Aber er hat es ja noch rechtzeitig eingesehen und korrigiert.
Damit war nur leider ein neues Problem entstanden. Wenn das Universum nicht schon ewig existiert, muss es also eine Geschichte haben; es muss irgendwann und irgendwie einen Anfang genommen haben. Und da drängte sich den Physikern eine nahe liegende und einfache Konstruktion auf: Aktuell wird beobachtet, dass sich fast alle Galaxien voneinander entfernen. Wir sehen das Geschehen wie in einem Film ablaufen; von Jahr zu Jahr, besser von Jahrmillion zu Jahrmillion, werden die Entfernungen zwischen den Galaxien größer.
Wenn man sich nun vorstellen will, wie dieser Prozess begonnen haben könnte, muss man das, was wir aktuell beobachten, nur umkehren. Gedanklich kann man ja den Film auch rückwärts laufen lassen, also so tun, als würde man sich von der Gegenwart in die Vergangenheit begeben. Die Galaxien nähern sich im Verlauf dieses jetzt rückwärts laufenden Films einander an, kommen sich immer näher, verschmelzen miteinander. Die Sterne in ihnen rücken immer näher zusammen. Da sich der Raum permanent zusammen zieht, wird aus dem heute vielfältig strukturierten materiellen Universum schließlich ein einziger großer Materiebrei.
Aber wo stoppt denn nun der rückwärts laufende Film? Die Kontraktion geht immer weiter, die Moleküle und Atome werden zerquetscht, auch die Teilchen, die die Atome bildeten, werden zu Opfern des Prozesses. Der gewaltigen Kraft der Gravitation, die eigentlich die mit Abstand schwächste Kraft im Universum ist, aber mit immer kleiner werdenden Distanzen und wachsender Materiedichte allen anderen Kräften zeigt, wer im Universum eigentlich das Sagen hat, widersteht bei einer solchen Materiekonzentration nichts mehr. Selbst die anderen drei Grundkräfte werden gezwungen, sich wieder mit der Gravitation zu einer einheitlichen Kraft zu vereinen.
Die gesamte Materie des Universums wird auf immer kleineren Raum zusammengequetscht; da ist nur noch eine Kugel mit einer gigantischen Dichte von etwa 10^94 Gramm pro Kubikzentimeter, einer Temperatur von circa 10^32 Grad. Diese Materiekugel, die – wenn wir den Film wieder vorwärts laufen lassen wollen – das Anfangsstadium des Universums repräsentieren soll, wäre winzig. Über ihre Größe kann man Verschiedenes lesen. Sie sei von der Größe eines Fußballs oder einer Melone oder einer Pampelmuse oder einer Kirsche oder einer Erbse gewesen, steht geschrieben. Andere Wissenschaftler machen es spannender und taxieren die Größe des ursprünglichen Feuerballs auf kleiner als ein Atom.
Die Idee, das Universum habe seine Existenz aus einer extrem dichten und heißen Materiekugel heraus begonnen, wurde erstmals vom Pater Lemaître in die Welt gesetzt. Er bezeichnete den ursprünglichen Zustand als Uratom, verstand darunter aber kein extremst kleines Gebilde, sondern ein „Atom“ mit gewissen stattlichen Ausmaßen.
Heute wird dem ursprünglichen Zustand nur wenig räumliche Ausbreitung zugebilligt. Und hier beginnen die eigentlichen Probleme, die die Wissenschaftler mit dem Urknallmodell haben. Warum sollen wir denn den rückwärts laufenden Film gerade an dieser Stelle anhalten und wieder umkehren? Klar, so würde sich der Beginn beschreiben lassen und so wird er ja auch häufig beschrieben. Da war am Anfang alle Materie auf kleinsten Raum konzentriert und dieses Gebilde begann sich plötzlich und wie bei einer Explosion auszudehnen. Das kann sich sogar unser so genannter gesunder Menschenverstand gut vorstellen. Etwas wird so gewaltig komprimiert, dass es dem so entstehenden Druck nicht mehr standhält und explodiert.
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