Ich drückte meinen Hut auf den Kopf und ging mit untergeschlagenen Armen durch den dicksten Haufen. Fürsten und Schranzen haben Spalier gemacht, der Herzog von Weimar hat vor mir den Hut gezogen und die Kaiserin mich zuerst gegrüßt. Ich sah zu meinem wahren Spaß die Prozession an Goethe vorbeidefilieren, der mit abgezogenem Hut gebückt zur Seite stand. Ich habe ihm nachher schön den Kopf gewaschen.“
Einst tat Goethe dem bekannten Maler von Kügelgen in Dresden den Schmerz an, ihn in einem Briefe „hochwohlgeborener Herr“ anzureden, und Zelter machte ihn auf die unerwünschte Wirkung seiner Förmlichkeit aufmerksam. „Mit Kügelgen geht es mir recht wunderlich,“ erwiderte Goethe, 33„Ich dachte ihm das Freundlichste zu sagen ... und nun stößt sich der gute Mann an ein äußeres Höflichkeitszeichen, das man denn doch nicht versäumen soll, indem man durch Vernachlässigung desselben manche Personen verletzt. Man hat mir einen gewissen Leichtsinn in diesen Dingen oft übel genommen, und jetzt betrübe ich gute Menschen durch die Förmlichkeit. Legen Sie ja, mein lieber Freund, keinen alten Fehler ab, Sie fallen entweder in einen neuen, oder man hält Ihre neue Tugend für einen Fehler.“
Aus solchen Äußerlichkeiten darf man nicht auf eine unfreie Gesinnung schließen. Goethe hat sicherlich seinem Fürsten und Freunde sehr oft scharf und deutlich die Wahrheit gesagt, auch wenn er ihn nicht öffentlich abkanzelte. In seinen Tagebüchern finden wir Andeutungen davon. „Mit dem Herzog gegessen,“ heißt es am 19. Januar 1782, „sehr ernstlich und stark über Ökonomie geredet und wider eine Anzahl falscher Ideen, die ihm nicht aus dem Kopfe wollen.“ Und ein andermal: „Conseil. Der Herzog zu viel gesprochen. Mit dem Herzog gegessen. Nach Tische einige Erklärungen über zu viel reden fallen lassen, sich vergeben, Sachen in der Hitze zur Sprache bringen, die nicht geredt werden sollten. Auch über die militärischen Makaronis (d. h. Liebhabereien).“ Eben so offen war Goethe in Briefen und Gedichten an den Herzog. 1786 schreibt er: „Wie sich auch Ihr Geschäfte wendet, betragen Sie Sich mäßig und ziehen Sich, wenn es nicht anders ist, heraus, ohne Sich mit denen zu überwerfen, die Sie hineingeführt und kompromittiert haben.“ Namentlich kämpfte er gegen die Lust des Herzogs an Krieg und Soldaten, die so sehr ein Hemmnis für die Besserung der Staatsfinanzen und Vermehrung des Volkswohlstandes waren. „Die Kriegslust, die wie eine Art Krätze unsern Prinzen unter der Haut sitzt, fatiguiert mich wie ein böser Traum, in dem man fort will und soll und Einem die Füße versagen. Sie kommen mir wie solche Träumende vor und mir ist es, als wenn ich mit ihnen träumte. Ich habe auf dieses Kapitel weder Barmherzigkeit, Anteil, noch Hoffnung und Schonung mehr.“ Ebenso trat er dem jagdlustigen Herrn entgegen, wenn die Felder der kleinen Leute unter solcher Liebhaberei litten. Und wenn es sich um Theatersachen handelte, ärgerte sich der Herzog oft genug über seines Untergebenen „Tyrannei“ und „Herrschsucht“. 34
Auch sonst sind einige Beispiele dafür, daß er nicht nachgab, wo er sich im Rechte fühlte, bekannt geworden, obwohl natürlich Goethe sich nicht selber mit seinem „Mannesmut vor Königsthronen“ gegen andere brüstete.
Einmal wollte Karl August einen andern Orientalisten an die Universität Jena berufen, als Goethe für gut hielt, und suchte seinen Minister zu bereden. Dieser lehnte aber scharf ab, denn die Universität war sein Gebiet, das verstand er besser. Da rief der Herzog: „Du bist ein närrischer Kerl! Du kannst keinen Widerspruch vertragen.“ — „O ja, mein Fürst, aber er muß verständig sein.“ 35
Eine ähnliche Scene erzählt der allerdings zu Übertreibungen neigende Architekt Zahn, der 1827 in Goethes kunstliebendem Hause antike Wandgemälde aus Pompeji vorwies. „Plötzlich erklangen hinter uns straffe Schritte, und als ich mich wandte, erblickte ich einen untersetzten Mann in Feldmütze und kurzem grünsammetnen Jagdrocke mit goldenen Schnüren besetzt. Es war der Großherzog. Er war durch den Garten gekommen und durch die Hintertür eingetreten, von der er stets den Schlüssel hatte. Goethe begrüßte ihn mit den Worten: „Kommen recht zum Gastmahl, königliche Hoheit!“ Karl August hatte eine kurze Meerschaumpfeife in der Hand, aus der er, wo es irgend anging, beständig paffte; aber jetzt ließ er sie ausgehen, denn Goethe verabscheute den Tabak. — — — Der Großherzog lud mich für den folgenden Tag zum Essen, doch Goethe erklärte statt meiner: „Nein, mittags gehört Zahn mir!“ Und Karl August widersprach nicht.“
Als Goethe in Jena ein Stück der alten Stadtmauer fortreißen ließ, um gegen die Feuchtigkeit der Bibliothek das Nötige zu tun, schickte die Stadtverwaltung an den Herzog eine Deputation mit der untertänigen Bitte, daß es doch seiner Hoheit gefallen möge, durch ein Machtwort diesem Beginnen ein Ende zu setzen. „Ich mische mich nicht in Goethes Angelegenheiten,“ erwiderte der Herzog. „Er weiß schon, was er zu tun hat, und muß sehen, wie er zurechtkommt. — Geht doch hin und sagt es ihm selbst, wenn ihr die Courage habt!“ 36
Eckermann erzählt noch ein Geschichtchen, das hierher gehört. Er begleitete im September 1827 seinen Meister auf die Höhe des Ettersberges und Goethe blickte nach Westen, wo man über Erfurt hinaus das hochliegende Schloß Gotha entdecken konnte. Und sie sprachen darüber, warum er jetzt keine Verbindung mehr dahin habe. „Ich bin dort nicht zum besten angeschrieben,“ erzählte Goethe. „Als die Mutter des jetzt regierenden Herrn noch in hübscher Jugend war, befand ich mich dort sehr oft. Ich saß eines Abends bei ihr allein am Teetisch, als die beiden zehn- bis zwölfjährigen Prinzen, zwei hübsche blondlockige Knaben, hereinsprangen und zu uns an den Tisch kamen. Übermütig wie ich sein konnte, fuhr ich den beiden Prinzen mit meinen Händen in die Haare, mit den Worten: „Nun, ihr Semmelköpfe, was macht ihr?“ Die Buben sahen mich mit großen Augen an, im höchsten Erstaunen über meine Kühnheit — und haben mir es später nie vergessen.“
Und der Alte fuhr fort: „Ich hatte vor der bloßen Fürstlichkeit als solcher, wenn nicht zugleich eine tüchtige Menschennatur dahinter steckte, nie viel Respekt. Ja, es war mir so wohl in meiner Haut, und ich fühlte mich selber so vornehm, daß, wenn man mich zum Fürsten gemacht hätte, ich es nicht eben sonderlich merkwürdig gefunden haben würde. Als man mir das Adelsdiplom gab, glaubten viele, wie ich mich dadurch möchte erhoben fühlen. Allein unter uns, es war mir nichts, gar nichts! Wir Frankfurter Patrizier hielten uns immer dem Adel gleich!“
Hatte er „vor der bloßen Fürstlichkeit als solcher nie viel Respekt,“ so mochte er doch das Feine und Gute am aristokratischen Wesen gern genießen. Gegen Boisserée rühmte er 1815, „was die Verhältnisse zu Fürsten teuer und wert macht,“ das sei: „das Beständige darin, wenn einmal ein Vertrauen entstanden.“ Und noch in seinem Todesjahre sprach er zu Eckermann einmal davon, wie sympathisch ihm ein echter Aristokrat sei, ein Mann wie Karl v. Spiegel, von dem gerade die Rede war. „Seine Abkunft kann er ebensowenig verleugnen, als jemand einen höheren Geist verleugnen könnte. Denn beides, Geburt und Geist, geben dem, der sie einmal besitzt, ein Gepräge, das sich durch kein Inkognito verbergen läßt. Es sind Gewalten wie die Schönheit, denen man nicht nahe kommen kann, ohne zu empfinden, daß sie höherer Art sind.“
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Diese aristokratischen Neigungen hinderten ihn nicht, so freundlich gegen Niedrigstehende zu sein, wie er es ohne Gefahr sein durfte. Von seinen Inkognito-Reisen war schon die Rede, so bleibt namentlich sein Verhältnis zu Untergebenen und Dienern zu prüfen. Er war sich stets bewußt, daß sie an ihrem Platze ebenso nötig sind und ebenso vollkommen sein können, wie er an dem seinen. „So göttlich ist die Welt eingerichtet, daß jeder an seiner Stelle, an seinem Orte, zu seiner Zeit alles übrige gleichwägt.“ So sagte er 1810 zu Riemer, und „wenn der Größte ins Wasser fällt und nicht schwimmen kann, zieht ihn der ärmste Hallore heraus.“ Und „es ist ganz einerlei, vornehm oder gering sein: das Menschliche muß man immer ausbaden.“ 37Den ihm unterstellten Beamten gönnte er ziemlichen Ellbogenraum. „Ich suche jeden Untergebenen frei im gemessenen Kreise sich bewegen zu lassen, damit er auch fühle, daß er ein Mensch sei; es kommt alles auf den Geist an, den man einem öffentlichen Wesen einhaucht.“ 38Er wurde als junger Minister ein Vorbild des Fleißes und der Uneigennützigkeit, „das weimarische Faktotum“ nach Herders und „das Rückgrat der Dinge“ nach Knebels Ausdruck; so riß er die andern mit. „Wenn Sie es nicht machen wollen, so mache ich es selber,“ war ein Trumpf, den er gegen Untergebene gern ausspielte. „Und sie wußten, daß ich verrückt genug war, mein Wort zu halten und das Tollste zu tun,“ fügte er selber hinzu, als er von dem Schauspieler Becker erzählte, dem eine Rolle zu unbedeutend für seine hohe Persönlichkeit erschien. 39Als sein Diener Stadelmann immer noch keine Wischtücher zum Abstauben der Kunstmappen besorgt hatte, da schalt er: „Ich erinnere dich heute zum letztenmale! Gehst du nicht noch heute, die oft verlangten Tücher zu kaufen, so gehe ich morgen selbst, und du sollst sehn, daß ich Wort halte.“ Aus solchem Schelten hörte man schon heraus, daß Goethe es gut meinte. Er machte sich viele Gedanken um das gute Fortkommen seiner Diener und Untergebenen. Für den Bibliotheksdiener erbat er 1805 vom Herzog sogar die Erlaubnis, sich von den Personen, die die Bibliothek benützten, ein Neujahrs-Trinkgeld erbitten zu dürfen, denn „zur allgemeinen Bettelei dürfte wohl auch diese billig hinzukommen,“ und die Finanzen des Ländchens mögen in jenen Kriegszeiten ihre Verwalter nicht zu Stolz und Freigebigkeit gestimmt haben. Bei seinen eigenen Dienern wünschte er, daß sie das Rasieren, die Gartenarbeit oder dergleichen Leistungen lernten, deren er zwar nicht bedurfte, die ihnen aber später von Nutzen sein und sie jetzt schon vor Müßiggang bewahren konnten. 40Als er nach Karl Augusts Tode auf der Dornburg an sein eigenes Ende viel dachte, da fragte er sich auch, was aus seinen Bedienten dann werde, und er sprach darüber mit dem Gärtner und dem Barbier, den er reichlich belohnte. Ebenda war es, daß sein Sekretär John und sein Diener Friedrich Krauße mit dem Gärtner sich einen fröhlichen Nachmittag machten, wobei ihnen der Dornburger Wein so sehr zu Kopfe stieg, daß sie nach der Heimkehr sogleich in schweren Schlummer sanken. Goethe rief ein paarmal vergebens nach ihnen, als sie zu ihren gewohnten Diensten nicht kamen. Am andern Morgen erschraken sie sehr, als sie ihre Pflichtvergessenheit bemerkten. Ganz besonders war Friedrich erschrocken; er wollte sich gar nicht beruhigen lassen. Als ihn bald darauf Goethe rief und den Kaffee zu bringen befahl, wurde er totenbleich und wankte mit schlotternden Gliedern die Treppe hinauf. „Neugierig, was Goethe wohl sagen werde, schlich ich mich hinter dem Bedienten her“ — so erzählt Skell — „und blieb horchend an der Tür stehen. Als der Bediente eingetreten war, sagte Goethe: „Na, na, Friedrich! du zitterst ja wie ein armer Sünder. Setze nur das Kaffeebrett ab, sonst lassest du es noch fallen. Nicht wahr, du glaubst, ich werde dich recht auszanken? Das tue ich nicht; du hast ja deine Strafe wohl so schon bekommen? Wie sieht es denn heute hier aus?“ fuhr er fort, sich mit dem Zeigefinger über die Stirn streichend. „Setz nur ab und gehe! Es ist abgemacht!“ — Hoch erfreut, mit diesem kleinen Verweise davongekommen zu sein, verließ der Bediente das Zimmer.
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