„Mir sind ein paar Dinge zu Ohren gekommen, die dich betreffen“, beginnt er schließlich.
„Was für Dinge?“, knurre ich nur, obwohl ich es mir bereits denken kann.
„Dinge, die die Aufgaben betreffen, die ich dir zugeteilt habe. Ich weiß, dass du ein Hitzkopf bist. Das war ich in deinem Alter auch. Eigentlich bin ich aber davon ausgegangen, dass du endlich gelernt hast, dich zu kontrollieren. Das ist aber anscheinend nicht der Fall.“
Seine Stimme klingt ernst. Ich weiß, dass er sauer deswegen ist. Doch das bin ich auch. Schließlich bin ich sein Sohn und mache nun schon seit Jahren irgendwelche Botengänge, die er auch jemand anderem überlassen könnte.
„Manchen muss man einfach klarmachen, dass sie sich mit einem besser nicht anlegen sollten.“ Ich zucke mit den Schultern, da ich nichts Falsches getan habe. Schließlich konnte ich immer die Interessen unserer Familie durchsetzen. Und das ist es, worum es geht.
„Ja, da stimme ich dir zu. Früher habe genauso gehandelt und gedacht, wie du es nun machst.“
Während er spricht, steht er auf und geht zum Fenster. Er hat mir den Rücken zugedreht, sodass ich seinen Gesichtsausdruck nicht sehen kann.
Ich habe keine Ahnung, worauf diese Unterhaltung hinausläuft. Doch ich hoffe, dass er bald zum Punkt kommt, da ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern muss. Und zwar dringend.
„Ich habe in den letzten Wochen, eigentlich Monaten, viel überlegt, was ich mit dir mache.“
Mehr sagt er nicht. Aber dieser eine Satz lässt mich hellhörig werden. Ich richte mich ein Stück auf und lasse ihn nicht aus den Augen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass er etwas von sich geben wird, was mir wahrscheinlich nicht gefallen wird. Doch jetzt bleibt mir erstmal nichts anderes übrig, als darauf zu warten.
„Was meinst du damit?“, frage ich ihn, als er auch nach einer gefühlten Ewigkeit noch keinen Ton von sich gegeben hat.
„Ich habe mich an das erinnert, was mein Vater damals mit mir gemacht hat und finde, dass es auch für dich der richtige Weg ist. Also werde ich das gleiche auch mit dir tun. Zum einen will ich dich so auf deine zukünftige Rolle als Oberhaupt der Familie vorbereiten. Zum anderen muss sich jemand in den Staaten um unsere Geschäfte kümmern, da einiges aus dem Ruder zu laufen droht. Es passieren ein paar Sachen, die nicht geschehen sollten. Andere versuchen an unserer Stellung zu sägen und selbst die Kontrolle zu übernehmen. Und du bist perfekt dafür, um den Leuten dort Einhalt zu gebieten.“
„Was?“, donnere ich wütend und gleichzeitig geschockt über diese Nachricht. Ruckartig stehe ich dabei auf. Ich richte mich zu meiner vollen Größe auf, auch wenn ich weiß, dass das meinen Vater kaltlässt. Dennoch will ich ihm so klarmachen, was ich von dieser Idee halte. „Das kann nicht dein Ernst sein“, fahre ich ihn so laut an, dass ich mir sicher bin, dass die Männer auf dem Flur mich gehört haben.
Doch das ist mir egal. Es ist nicht der erste Streit zwischen uns, den sie mitbekommen.
„Du hast richtig gehört. Ich werde dich nach Los Angeles schicken. Von unserem Familienanwesen aus kannst du dich um alles kümmern. Du wirst auch nach Miami fahren müssen, um dort ein paar Gespräche zu führen.“
Er hat nur diese wenigen Worte gesagt, doch ich koche vor Wut. Und das vor allem deswegen, weil er weiß, wie ich es hasse, wenn solche Entscheidungen über meinen Kopf hinweg gefällt werden. Ich habe keine Ahnung, wie er auf die Idee kommt, mich einfach in die USA zu schicken. Doch ich würde es gerne wissen, auch wenn es wohl nichts daran ändert wird, dass ich diese Entscheidung nicht nachvollziehen kann.
„Schick jemand anderes. Ich muss mich hier auch um ein paar Angelegenheiten kümmern.“
„Nein, Anatoli. Ich werde das keinem anderen überlassen, nur dir. Ich glaube, du hast mich noch nicht richtig verstanden. Du wirst morgen früh nach Los Angeles fliegen und dort alles überwachen und wieder in die richtigen Bahnen lenken. Das kann ich einfach niemand anderem überlassen. Kein anderer vertritt die Interessen der Familie so sehr, wie du. Die letzten Lieferungen wurden von der Polizei abgefangen und das gefällt mir überhaupt nicht. Es kommt mir vor, als würde irgendwo jemand sitzen und ihnen Information zukommen lassen. Eigentlich hätten sie nämlich überhaupt nichts davon wissen dürfen. Uns ist dadurch eine Menge Geld verloren gegangen. Außerdem wird es mal wieder Zeit, dass jemand den Mexikanern und den Italienern sagt, wo es lang geht. Ich habe dieses Gespräch schon so oft geführt, aber sie schaffen es immer nur für eine gewisse Zeit, sich an die Regeln zu halten.“
Ich presse meine Lippen zu einer dünnen Linie aufeinander und spanne meinen Kiefer und meine Muskeln an. Auf diese Weise will ich verhindern, dass ich meinem Vater die Meinung sage. Das heißt aber nicht, dass ich das nicht irgendwann machen werde. Denn auch wenn ich weiß, dass es eine Diskussion jetzt nichts bringt, so werde ich es nicht einfach auf mir sitzen lassen.
„Ich will, dass du das alles wieder in Ordnung bringst und ihnen zeigst, dass wir alles mitbekommen, egal, wo wir uns befinden. Und ich will, dass du es gut machst“, weist er mich an. Mit diesen Worten gibt er mir zu verstehen, dass es bereits beschlossene Sache für ihn ist. Ich weiß, dass es egal ist, was ich jetzt vorbringen werde, es wird nichts an seiner Meinung ändern.
Mehr als ein Nicken bekomme ich nicht zustande. Sonst würde ich Gefahr laufen, dass ich ihm nicht doch noch die Meinung sage. Und das würde nicht gut ausgehen, das weiß ich genau.
Schweigend werfe ich ihm noch einen wütenden Blick zu, bevor ich stürmisch das Büro verlasse.
Sarah
Eigentlich liebe ich meinen Job. Eigentlich. Denn es gibt auch Tage, da hasse ich ihn. Die ganze letzte Woche gehört eindeutig zum letzten Punkt. Ich habe keine Ahnung, wie viele Überstunden ich gemacht habe. Aber ich weiß, dass ich immer die erste war, die gekommen ist, und die Letzte, die wieder gegangen ist, wenn man von meinem Chef absieht. Und das ist in den letzten Jahren nicht sehr oft geschehen.
Auch jetzt ist mein Schreibtisch noch voll mit Mustern, Unterlagen und Verträgen, um die ich mich dringend kümmern muss. Aber das hat Zeit bis nächste Woche. Ich will endlich ein wenig Zeit haben, um durchzuatmen und auch mal die Füße hochlegen.
Ich glaube, dass ich mir das verdient habe.
Dennoch bleibe ich noch einige Sekunden vor meinem Schreibtisch stehen und betrachte das Chaos, was sich darauf befindet. Normalerweise würde ich so lange bleiben, bis ich wenigstens die Dinge erledigt habe, die schnell gehen. Doch selbst die müssen und können bis zur nächsten Woche warten. Außerdem ist in den letzten Tagen eine Menge schiefgegangen, da will ich nicht länger im Büro sitzen, als es unbedingt muss.
Und sind wir doch mal ehrlich. Manchmal muss man einfach einen Schlussstrich ziehen. Auch wenn ich so erzogen wurde, mich sofort um alles zu kümmern und nichts aufzuschieben.
Aber im Berufsleben klappt das nicht immer.
Bevor ich es mir doch noch einmal anders überlegen kann, fahre ich meinen Computer herunter und greife nach meiner Tasche, um so schnell zu verschwinden, wie es nur geht. Doch bevor ich auch nur in die Nähe der Glastür kommen kann, durch die man in unsere Firma gelangt, werde ich von meinem Chef aufgehalten, der mir plötzlich im Weg steht. Mit hochgezogenen Augenbrauen und in den Hüften gestemmten Händen steht er vor mir.
„Ms. Davis“, verkündet er in einem Ton, den ich leider nur zu genau kenne. Er bedeutet, dass für ihn noch lange nicht Feierabend ist und er davon ausgeht, dass ich mich ihm anschließe. Doch es ist bereits acht Uhr abends und ich kann nicht mehr. Deswegen ist es mir egal, wie lange er macht oder was er davon hält, dass ich nicht bleiben werde.
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