Nach dem Frühstück schlug Robert einen Ausflug vor, welchem ich blind und ohne zu fragen zustimmte. Hauptsache ich war bei ihm. Die Fahrt dauerte etwa 2 ½ Stunden und ich versuchte mich mit meinen verkümmerten geographischen Kenntnissen anhand der vorbei rauschenden Schilder zu orientieren. Natürlich war dies vergeblich und ich hatte bis zur Ankunft keinen blassen Schimmer, wo ich gerade war. Wir hielten vor einem Zweifamilienhaus in einer ruhigen Gegend. Um den Ort herum waren nur Felder und Wiesen. Als wir zur Tür gingen und ich das Türschild flüchtig las, dämmerte es mir langsam. Wir standen vor dem Haus seiner Eltern. Noch bevor die Nervosität beginnen konnte in mir empor zu steigen, öffnete seine Mutter die Tür und empfing uns mit einem herzlichen Lächeln.
Da ich natürlich nicht auf eine Übernachtung vorbereitet war, weder frische Unterwäsche oder gar eine Zahnbürste dabei hatte, versuchte ich Robert von einer baldigen Rückfahrt zu überzeugen. Als wir, seine Eltern, Robert und ich, auf der Terrasse saßen, kam ein kleiner Junge vorbei und übergab seiner Mutter etwas, das in einer kleinen Plastiktüte eingewickelt war. Es waren zwei original verpackte Zahnbürsten. Sie reichte uns diese und sagte dabei mit einem Lächeln im Gesicht: „So, nun könnt ihr doch bis morgen hier bleiben“.
Als hätte es Robert geplant, lächelte er zurück und warf mir einen freudigen Blick zu.
Bis weit in den Abend hinein saßen wir auf der Terrasse und unterhielten uns. Etwa gegen elf Uhr fragte sein Vater, welcher zu Bett gehen wollte, ob wir am morgigen Tag erst nach dem Kaffeetrinken die Heimreise antreten würden. Ohne lange zu überlegen stimmten wir beide zu. Ich fühlte mich sehr wohl bei seinen Eltern und beide mochten mich von der ersten Minute an (wie mir seine Mutter später, unter Einfluss von Alkohol auf der Geburtstagsfeier des Großvaters, verriet). Nur sein Vater war mir gegenüber skeptisch eingestellt und dies verging erst gut 5 Jahre später.
Wir schreiben das Jahr 2012 und alles war für den großen Tag, die Eheschließung, vorbereitet. Robert hatte sich für den 30. April entschieden, denn so hätten wir immer nach unserem Freudentag einen Feiertag. Die Hochzeit war atemberaubend und fand im Standesamt im Alten Rathaus von Chemnitz statt. Ich trug ein weißes Kleid mit Korsage, sowie Spitzenbesatz und fließend fallendem Rock. Robert trug einen klassischen Frackanzug mit weißem Hemd und schwarzer Weste. Gefeiert wurde in einem Hotel mit Veranstaltungs- und Festräumen am Rand von Chemnitz. Die Tische waren mit weißen Tauben, silbernen Kerzenständern, weißen Rosen dekoriert und in E-Form aufgestellt. Dies hatte eine besondere Bewandtnis, denn in unseren Eheringen stand nicht, wie bei vielen Paaren, das Hochzeits-datum, sondern die letzten Worte aus einem Liebesbrief von Ludwig van Beethoven an seine Geliebte: Ewig dein, Ewig mein, Ewig uns.
Die gesamte Feier war elegant und trotzdem ausgelassen. Vor allem die Hochzeitstorte brachte jeden zum Staunen. Sie war vier Etagen hoch, aus quadratischen Elementen und war abwechselnd schwarz und weiß eingedeckt. Jede der Tortenelemente hatte eine andere Geschmacks-richtung. Diese waren versetzt zur darauffolgenden, sowie größer werdenden Etage gelegt. Natürlich war es eindeutig zu viel zu Essen, da wir ein ganzes Buffet bestellt hatten und die Gäste nach dem Kaffeetrinken für mehrere Stunden gesättigt waren. Jedoch hielt es sie nicht ab, zu einem späteren Zeitpunkt die Tanzfläche zu stürmen. Ich erinnere mich an einen Moment als der DJ „We will rock you“ von Queen auflegte. Alle begaben sich auf die Knie und schlugen zum Takt mit den Fäusten auf den Boden und klatschten in die Hände. Meine Schwiegermutter trug ein traumhaftes, jedoch auch etwas zu tiefgeschnittenes, olivfarbenes Kleid. Während sie mit ihren Fäusten auf den Fußboden schlug, verabschiedete sich der Halt ihres Ausschnittes und gab dem Busen dem Weg nach draußen frei. Rechtzeitig, durch den damaligen Freund von Roberts Schwester, darauf hingewiesen, rückte und drückte sie alles wieder zu recht. Doch zu spät: Wir brachen in lautes Lachen aus. Die Familie von Robert verstand Humor und konnte bei Missgeschicken auch gern über sich selbst lachen. All die Jahre bis zu diesem, für mich auch Nachnamens verändernden Tag, waren mit Abstand die schönsten in meinem Leben.
Schon im darauffolgenden Jahr ereilte mich ein Schicksalsschlag, welcher mich zutiefst erschütterte und veränderte. Am 30. November erlitt ich ein Burn-Out. Bis zu diesem Tag hatte ich nur durch einige Fernsehberichte oder Dokumentationen davon gehört. Es traf mich wie ein Schlag und völlig unvorbereitet. Ab diesem Tag war ich nicht mehr ich selbst. Ich hatte keine Kraft aufzustehen oder gar mich ohne Schmerzen im Unterbauch zu bewegen. Den ganzen Dezember verbrachte ich im Bett. Stand nur für den Toilettengang auf und aß so gut wie nichts. Auch mein sexuelles Verlangen gegenüber Robert war abgeklungen. Ich fühlte mich in mir selbst gefangen und konnte mich nicht befreien. Bis in den Januar hinein wusste keiner was mir fehlte. Erst auf Anraten eines Arztes und durch eine simple Entspannungsmethode wurde klar, was mich ereilte. Er riet mir, mich mit einfachen Gesellschaftsspielen abzulenken und auf die Reaktion meines Körpers zu achten. Somit stellte er fest, dass ich zusätzlich unter dem Reizdarm-Syndrom litt, was die Unterbauch-scherzen erklärte. Der Arzt aus dem Krankenhaus riet mir zu einer Psychotherapie. Da mir nur zwei Therapieformen bekannt waren, entschied ich mich für die Tiefenpsychologie. Hierbei wird das Problem in der tiefe lokalisiert und durch Gespräch versucht zu neutralisieren. Monate vergingen und mit Hilfe der Therapie und viel Mut schaffte ich es, mich einigermaßen wieder selbst zu beherrschen. Am Anfang der Therapie quälte ich mich täglich mit einem Tablet in den nahegelegenen Park, um für mindestens eine Stunde dort zu bleiben. Jedoch erschuf ich mir gleichzeitig unbewusst eine Schutzhülle. Alles begann sich nur noch um mich und meine Bedürfnisse zu drehen. Ich war so auf mich fixiert, dass ich alles um mich herum übersah. So gern ich Robert den Wunsch nach einem Ausflug erfüllen wollte, so sehr lehnte ich dies vehement ab. Auch Kino- oder gar Restaurantbesuche wurden von mir eiskalt gestrichen, Ich hatte immer große Angst wieder einen Rückfall zu erleiden und nochmals die Torturen eines Burn-Outs zu ertragen. Die Angst vor der Angst oder wie auch immer, kann etwas ganz gemein Heimtückisches sein. Sie zog mich in ihrem Bann. Es verändert nicht nur einen Selbst, sondern bringt auch alles Schlechte aus einem hervor. Man konnte mich zu Recht als Egoistin zu dieser Zeit bezeichnen. Alles, was nicht nach meinem selbstgestrickten Plan lief oder funktionierte wurde ohne Vorwarnung angegriffen. Ich reagierte wie eine Diva auf höchstem Niveau. Leider verfiel ich so sehr meinem Wahn, dass ich auch vor meinem Ehemann nicht Halt machte. Der Alltag und der Haushalt musste strickt nach Plan und Ordnung verlaufen. So musste die Wohnung in exakter Reihenfolge geputzt werden, die Wäsche so zusammengelegt werden wie ich es mir vorstellte. Sogar das gemeinsame samstägliche Einkaufen wurde für meinen Mann und die anderen Kunden gelegentlich zum Spießroutenlauf. Oftmals überkam es mich, wenn sich entweder mein Mann oder jemand anderes ziemlich (für meine Begriffe) dumm anstellte.
Wir waren gemeinsam im Chemnitz-Center und ich war auf der Suche nach neuen Schuhen für den Sommer. Verzweifelt war ich auf der Suche nach einer Verkäuferin. Jede die ich Ansprach wimmelte mich mit ab und sagte, dass sie gerade sehr beschäftig sei. So platze mir nach einiger Zeit der Kragen und ich warf die Schuhe, welche ich gern in einer anderen Größe gehabt hätte, quer durch den Laden und fragte Lautstark ob hier nur Mitarbeiter eingestellt werden, welche bei einem IQ-Test versagt hatten.
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