Ich war bezwungen; die feindliche Macht, deren Gewalt ich erlag, war es eine Furie der Hölle oder eine feindliche Schicksalsgöttin, welche meine reine Glückseligkeit beneidete und ihr nachstellte – sie durfte sich seit diesem Tag mit der größten Hoffnung eines unfehlbaren Triumphs tragen. Ganz in der neuen, unbekannten Leidenschaft verloren, saß ich erstaunt und mir selbst entrückt unter den andern Frauen; die heiligen Lieder wurden von mir kaum gehört, viel weniger verstanden, und ebensowenig vernahm ich, was die Gespielinnen unter sich oder mit mir redeten. So sehr erfüllte die neue, plötzliche Liebe meine ganze Seele, daß ich mit Blicken und Gedanken stets nach dem geliebten Jüngling hingewandt war und in mir selbst nicht begreifen konnte, wohin ein so heftiger Trieb mich führen würde.
O! wie oft schalt ich, voll Sehnsucht, ihn näher bei mir zu sehen, sein Verweilen hinter den andern und schrieb auf die Rechnung der Lauigkeit, was nur seine Klugheit war. Denn schon war die Aufmerksamkeit der andern Jünglinge, die vor ihm standen, erregt: da meine Augen immer einen unter ihnen suchten, so wähnten sie selbst das Ziel meiner Blicke und vielleicht meiner Sehnsucht zu sein.
Während ich verloren in träumerischen Gedanken war, ging der Gottesdienst zu Ende; schon waren die Gefährtinnen aufgestanden, um den Tempel zu verlassen, als ich endlich die Seele, die das Bild des lieblichen Jünglings umschwebte, gewaltsam zurückrief und, was um mich her vorging, wahrnahm. Ich stand auf, und meine Blicke, die den seinigen zu begegnen suchten, lasen in seinen Augen, was die meinigen ihm selbst zu sagen strebten: wie schmerzlich mir das Weggehen sei! Gleichwohl mußte ich, mit Seufzen und ohne zu wissen, wer er sei, mich aus dem Tempel entfernen.
O! wer sollte glauben, meine Freundinnen, daß ein einziger Augenblick das Herz in so hohem Grade erschüttern, daß ein nie gesehener Mann auf den ersten Anblick so unbegreiflich geliebt werden könne!
Wer sollte glauben, daß das Anschauen allein die Sehnsucht so wunderbar entzünden könnte, daß, dieses Anschauens beraubt, ein brennender Schmerz die Seele durchdringt und nur der Wunsch nach Wiedersehen sie ganz erfüllt!
Wer sollte glauben, daß nichts von allem, was uns sonst höchst erfreulich war, nach diesem neuen Eindruck uns mehr ergötzt? Ach! gewiß keiner vermag es, der diese Erfahrungen nicht gleich mir selbst gemacht hat oder macht.
Warum mußte die Liebe nur gegen mich mit nie erhörter Grausamkeit verfahren! warum einen Gefallen daran finden, nach neuen Gesetzen mich zu beherrschen? Denn mehr als einmal habe ich sagen hören, die Liebe sei anfänglich kindisch und unbedeutend, nur durch die Phantasie genährt und mit Kräften ausgerüstet werde sie erst stark und bedeutend. Aber wie anders ist sie mir erschienen! Mit siegreicher Gewalt erfüllte sie im ersten Moment mein Herz und erfüllt es noch; vom ersten Augenblicke an ward sie unumschränkte Gebieterin meines ganzen Wesens. Ergangen ist es mir wie frischem Holz, das schwer und mit Widerstand Feuer fängt, aber wenn es einmal angezündet ist, es länger und mit stärkerer Glut festhält.
Als ich mich endlich allein und frei in meinem Gemache befand, von mancherlei Wünschen entflammt, mit neuen Gedanken erfüllt und von neuen Sorgen gepeinigt, und nun dies alles in dem Bilde des lieblichen Jünglings sich verlor, da gedachte ich, daß, wenn es auch unmöglich sei, die Liebe aus meinem Herzen zu verjagen, ich sie doch zum mindesten verschwiegen und vorsichtig in der traurigen Brust verschließen müsse. Aber wie schwer diese Sorge ist, kann nur der begreifen, der sie erfahren hat; ja ich irre wohl nicht, wenn ich glaube, daß die Liebe selbst keine größere Qual verursacht als sie. Auch wußte ich nicht, wen , ich fühlte nur, daß ich liebte.
Doch alle die Herzensbewegungen zu schildern, welche die Leidenschaft in mir erzeugte, würde zu weitläufig sein: nur einiges sei mir vergönnt. Bald fühlte ich, wie eine nie empfundene, lebhafte Freude sich meiner bemächtigte. Dann suchte ich alles andre zu vergessen und ergötzte mich einzig und allein in dem Gedanken an den geliebten Jüngling, bis mich die Sorge wiederum störte, daß ich durch solche Träumerei gerade das Geheimnis verraten möchte, welches ich so sehr zu verhehlen strebte, und dann verwies ich mir selbst mein Nachsinnen. Vor allem aber sehnte ich mich zu erfahren, wer der fremde Jüngling sei, und meine Liebe machte mich bald sinnreich genug, schlaue und geschickte Mittel zu erfinden, dies Verlangen zu befriedigen.
Auch fand ich jetzt allen Schmuck, der mir bis dahin, weil unbrauchbar, gar gleichgültig gewesen war, bedeutend und schätzbar. Jetzt hielt ich ihn für ein Mittel, noch mehr zu gefallen, und aus diesem Grunde kamen mir Kleider, Gold, Perlen und mancher andere köstliche Putz als Dinge von Wert und hoher Wichtigkeit vor. Und ich, die bis dahin Tempel, Feste, Meeresufer und Gärten bloß in der unschuldigen Absicht, mich mit meinen jungen Gespielinnen zu erfreuen, besucht hatte, fand mich jetzt von einem neuen Verlangen an diese Orte gezogen, denn mein Herz sagte mir, daß ich meinen Abgott dort sehen und von ihm gesehen werden könnte.
Gleichwohl floh mich das Vertrauen, das ich in meine Schönheit zu setzen pflegte. Nie verließ ich mein Gemach, ohne von meinem Spiegel die treuesten Ratschläge eingezogen zu haben, und meine Hände, von einer unbekannten Meisterin belehrt, wußten jeden Tag einen neuen reizenden Putz zu erfinden, der durch künstliche Schönheit die natürliche hob und mich unter allen Frauen glänzend hervorleuchten ließ. So fing ich jetzt auch an, die Ehrenbezeugungen, die mir teils aus der gegen Frauen üblichen Achtung, vielleicht auch wegen meines Ranges erwiesen wurden, gleichsam für Pflicht anzusehen. Denn im stillen schmeichelte ich mir, daß mich mein Geliebter nur begehrenswerter und der Liebe würdiger finden würde, je herrlicher und prachtvoller ich vor ihm erschien. Die den Frauen angeborne Sparsamkeit entwich gänzlich von mir, und meine eigenen Angelegenheiten wurden mir so unwichtig, als gingen sie mich gar nichts an. Die Kühnheit wuchs, die weibliche Mäßigung fehlte bei allem, und manches war mir jetzt unendlich lieber geworden als sonst. Auch veränderten meine Augen ganz ihren Charakter, und sie, die bis dahin mir nur allein zum Sehen gedient hatten, erlernten jetzt eine wunderbare Fertigkeit, sich auf das sinnreichste verständlich zu machen. Noch vieles könnte ich erzählen von den Veränderungen, die in mir vorgingen, wenn ich nicht fürchtete, zu weitläufig zu sein, und auch glaubte, daß ihr, die ihr gleich mir die Liebe kennt, auch sehr wohl wisset, wie mannigfaltig die seltsamen Wirkungen ihrer Allgewalt sind.
Mehr als eine Erfahrung bewies mir, wie äußerst vorsichtig und verständig der Jüngling war. Denn nur selten und mit größter Besonnenheit kam er an die Orte, wo ich war, und als hätte er den gleichen Entschluß gefaßt wie ich selbst, die Flamme der Liebe vor jedem fremden Auge zu verbergen, betrachtete er mich nur mit bescheidenen und vorsichtigen Blicken. Sein Anblick hauchte stets die lebendigen Flammen in mir zu höherer Glut an, und die erlöschenden – wenn es deren gab – wurden von neuem entzündet.
Gleichwohl war der Anfang dieser Liebe bei weitem nicht so leicht und fröhlich wie das Ende traurig und schwer. Oft blieb ich seines Anblicks beraubt, und eine schmerzhafte Ahnung von Leiden drang in mein Herz. Dann quollen aus dem Herzen gar tiefe Seufzer hervor, und das Verlangen, das aus dem leisesten Gefühl sprach, versetzte mich gleichsam außer mir selbst, so daß alle, die mich sahen, über mein Betragen erstaunten. Doch von der Liebe selbst gelehrt, fehlte es mir nicht an zahllosen Vorwänden, durch welche ich dies rätselhafte Benehmen zu erklären wußte. Auch fehlte mir oft die Ruhe des Nachts, oft die nötige Nahrung bei Tage, und nicht selten fühlte ich mich zu Handlungen verleitet, mehr wahnsinnig als rasch, und zu Reden, die ich sonst nie zu gebrauchen pflegte.
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