Ach! konnten die Himmlischen mir ein deutlicheres Zeichen von dem, was mir bevorstand, geben? Gewiß, sie konnten es nicht. Hätte ich es recht verstanden, so war dies hinreichend, mir zu sagen, daß an diesem Tage meine Seele, die bis dahin eine freie Herrin ihrer selbst gewesen war, ihr Fürstentum verlieren und eine Sklavin werden sollte – und es ward! O! wenn damals mein Gemüt gesund gewesen wäre, so hätte ich leicht erkennen müssen, welch ein schwarzes Verhängnis an diesem Tag über mir waltete, und im stillen, in meine Wohnung eingeschlossen, hätte ich ihn verlebt! Aber es berauben die himmlischen Mächte die, gegen welche sie erzürnt sind, der wahren Einsicht, obgleich sie ihnen die heilsamen Winke über ihr Heil nicht vorenthalten. Und so scheint es, daß sie mit einem Male beides, ihrer Schuldigkeit Genüge leisten und ihren Zorn sättigen, wollen.
Mein Schicksal also wollte, daß ich glänzend und mit sorglosem Mut mein Haus verließ. Von mehreren begleitet, gelangte ich mit abgemessenen Schritten in den geheiligten Tempel, wo die an solchen Tagen üblichen, feierlichen Gebräuche bereits begonnen hatten. Mir aber hatten ein alter Gebrauch und mein Rang unter den andern Frauen eine sehr ausgezeichnete Stelle aufbewahrt, und sobald ich Platz genommen hatte, unterließ ich nicht, meiner Gewohnheit nach die Augen nach allen Seiten hin zu wenden und die vielen Männer und Frauen zu betrachten, welche in verschiedenen Gruppen den Tempel erfüllten.
Die heiligen Gebräuche huben an, und sobald man mich im Tempel wahrnahm, geschah es, wie ich schon gewohnt war, daß nicht allein die Männer, sondern auch die Frauen ihre Blicke bewundernd auf mich hefteten, nicht anders, als wäre eine Göttin sichtbar zu ihnen herabgestiegen. O! wie oft hatte ich bei mir selbst diesen Wahn belächelt, der mich jedoch sehr ergötzte und mich in meinen Gedanken wirklich zu einer Göttin erhob. Alle die Kreise von Jünglingen hörten nun auf, sich um andere zu drehen, und bildeten, dicht um mich versammelt, gleichsam einen Kranz, indes sie abwechselnd über meine Schönheit sprachen und mich fast einstimmig erhoben und rühmten. Und ich, indes meine Augen mit andern Gegenständen beschäftigt schienen, lauschte ihren Worten mit der süßesten Wollust und gönnte ihnen dann wohl, als wäre ich ihnen deshalb verpflichtet, einige günstigere Blicke. O! nicht einmal, sondern oft bemerkte ich dann, wie einer oder der andere sich deshalb mit leerer Hoffnung schmeichelte und gegen seine Gefährten voll Eitelkeit brüstete. So von vielen angestaunt, nur wenigen einen Blick gönnend und fest glaubend, daß meine Schönheit alles besiegte, nahte der Augenblick, wo ein fremder Reiz meiner selbst sich gänzlich bemeistern sollte.
Er erschien, der verderbliche, schmerzhafte Augenblick, der mir gewissen Tod oder ein unendlich qualvolles Leben erschaffen sollte, und von einem unbekannten Geist getrieben, erhob ich mit leichtem Anstand die Augen und überschaute die Menge der um mich versammelten Jünglinge mit festem und sicherm Blick.
Dicht in meiner Nähe zeigte sich mir an eine Marmorsäule gelehnt ein Jüngling, dessen Ansehen und Anstand, was bis dahin noch nie geschehen, meine Aufmerksamkeit unwiderstehlich an sich fesselte. Seine Gestalt – so urteilte ich schon damals, da mein Urteil noch nicht durch Liebe befangen war – hatte die schönste Form, seine Bewegungen zeigten die größte Anmut, Anstand und Kleidung Würde und Schicklichkeit. Die Zartheit seiner Wangen gab ein sprechendes Zeugnis seiner Jugend, und seine Blicke, mit denen er aus der ganzen Versammlung mich auszeichnete, waren ebenso zärtlich als verständig. Zwar stand es in meiner Gewalt, meine Augen von ihm wegzuwenden, aber keine Gewalt vermochte, wie ich mich auch immer bemühte, die schnell empfangenen Eindrücke aus meinem Herzen zu verdrängen und meinem Sinn eine andere Richtung zu geben. Das Bild seiner Schönheit war bereits tief in meine Seele gedrückt, mit geheimer Wollust schaute ich es an, und erfinderisch wußte ich mit Gründen die Empfindung all des Herrlichen, was mir in ihm erschien, zu rechtfertigen. Es entzückte mich, der Gegenstand seiner Blicke zu sein, doch war ich stets auf meiner Hut, sooft sein Auge mir begegnete. Aber einmal, als ich, ganz sorglos über die Gefahr, ihn betrachtete und meine Augen länger und fester als gewöhnlich auf den seinigen verweilten, da schien es mir, als läse ich in ihnen deutlich die Worte: ›O Gebieterin! Du allein bist meine Seligkeit!‹, und mein Entzücken war so groß, so überraschend, daß mit einem leisen Seufzer mein Herz die Antwort gab: ›Und du die meinige!‹ Doch schnell mich fassend und meiner selbst bewußt, drängte ich sie von der Lippe zurück. Doch was auch der Mund verschweigt, wird dennoch von dem Herzen verstanden, und hätte ich damals ausgesprochen, was ich im Innern verschlossen hielt, vielleicht daß ich jetzt noch frei wäre. So aber schwieg ich und verstattete meinen törichten Augen die größte Freiheit, sich an den Reizen zu sättigen, die sie bereits so sehr entzückt hatten.
Ach! hätten die Götter, die jedes Ereignis zu einem verständigen Zweck leiten, mir damals nicht allen Verstand geraubt, ich könnte jetzt noch mir selbst angehören! Doch ich verbannte alle Überlegung, ich folgte meinen Gelüsten und setzte so mein Gemüt in den Stand, leicht eine Beute der Liebe zu werden.
Und wie der Lichtstrahl eigenmächtig von einem Ort zum andern fliegt, drang ein Feuer aus seinen Augen, das mit dem feinsten Strahl die meinigen traf. Aber nicht die Augen allein; weiß ich es, durch welche geheimen Wege er plötzlich bis zum Herzen drang, daß dieses, erschreckt über die unvermutete Erscheinung des fremden Gefühls, alle Lebensgeister zu sich rief und ich äußerlich ganz blaß und fast ohne Leben und Wärme blieb?
Aber nicht lange, so entzündete eine schnelle Glut das Herz; alle Lebensgeister waren von der innern Flamme ergriffen. Die Blässe verschwand, eine brennende Röte trat auf meine Wangen, und ich seufzte still über die Quelle dieses Wechsels, den ich verwundernd wahrnahm. Von diesem Augenblick an hatte ich keinen andern Gedanken mehr als den, ihm allein zu gefallen.
Dies alles ward von ihm, der unbeweglich seinen Platz behielt, mit feinem, scharfem Blick beobachtet. Vielleicht schon erfahren im Reich der Liebe und mit den Waffen bekannt, welche die gewünschte Beute leicht erobern können, nahm er sogleich die Miene der frömmsten Demut und eines liebenden Verlangens an. Ach! welche Arglist war unter dieser Milde, dieser Unterwürfigkeit verborgen! Einmal aus seinem Herzen entwichen – so hat es mich der Erfolg gelehrt –, war die fromme Liebe nie wieder dahin zurückgekehrt und leuchtete nur mit betrügerischem Schein aus den Zügen seines Angesichts.
Doch ich will nicht jeden kleinen Zug voll von erfinderischer Arglist erzählen, und es sei genug, zu sagen, daß sein ganzes Wesen mich mit schneller, unerwarteter Liebe entzündete. Ich weiß nicht, war es sein Werk oder das Werk der Schicksalsmächte: genug, ich liebte ihn, und ich liebe ihn noch!
Dieser also war es, ihr mitfühlenden Frauen, den mein Herz vor allen andern wählte! Nach einer flüchtigen Aufmerksamkeit erkor es sich unter so vielen edeln, schönen und mutigen Jünglingen meines ganzen Landes nur diesen allein auf ewig, zum unumschränkten Gebieter meines Lebens. Er war es, den ich über alles liebte und liebe. Er war es, welcher Anfang und Quelle all meiner Leiden sein sollte, und wie ich hoffe, auch meines Todes. Dies war der Tag, der mich zuerst aus einem freien Weib zu der elendesten Sklavin machte. Dies war der Tag, an dem ich die Liebe, mir bis dahin gänzlich unbekannt, zum erstenmal kennenlernte. Dies war der Tag, an dem das Gift der Leidenschaft zum erstenmal die reine, keusche Brust durchdrang! Ach! daß zu meinem Elend je ein solcher Tag der Welt geleuchtet hat! Wieviel Schmerz und Angst wäre mir ferngeblieben, wenn dichtes Dunkel diesen Tag verschlungen hätte! Doch was klage ich! Das einmal geschehene Übel kann eingesehen, aber niemals wieder gutgemacht werden.
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