Nur der Kaffee war seine Leidenschaft, den er selbst braute, sechzig Bohnen auf jede Tasse, und der unter seinen Gästen mit Recht berühmt war. Waren auch die lukullischen Genüsse bei solcher Tafel mehr als mäßig, so ersetzten gute Laune und heitere Reden reichlich das Fehlende, und schließlich wurden die Gäste herrlich entschädigt durch das musikalische Nachgericht, das der Meister seinen Freunden bot und das allen die Hauptsache war. Auch das durfte man natürlich nicht merken lassen, denn im Hinblick auf seine Kochkünste war der Meister empfindlicher als auf seine Klavierkünste, darin er viel eher eine Kritik vertrug. Zum Glück ergriff er nur selten das Küchenzepter und entsagte alsbald den Ausflügen auf dieses entlegene Gebiet, durch Magenverstimmungen nachdrücklich gewarnt, die sich regelmäßig nach einem solchen Symposion einzustellen pflegten.
So war allmählich der Nachmittag im schönsten Verein verflogen, man wußte kaum wie; abends entschloß man sich doch, gemeinsam in den »Schwan« zu gehen und dort erst den Scheidenden zu feiern. Das Abschiedsweh wurde in Wein ertränkt, bis endlich spät nachts so ziemlich alle Absterbens Amen waren. Die Narkose erleichterte den Trennungsschmerz, und als man doch am nächsten oder vielmehr übernächsten Tag das bürgerliche Gleichmaß wieder gefunden hatte, war Amenda im Postwagen schon viele Meilen fern, und man konnte kaum mehr denken, daß das Leben die beiden Freunde, die eine Strecke weit so einträchtig miteinander gewandert waren, je wieder zusammenführen werde. Aber gerade die Ferne und Trennung wirkte festigend auf diese eigenartige Freundschaft. Das hatte der Meister schon mit seinen Bonner Jugendfreunden erfahren. Er blieb ihnen treu, weil sie fern waren. Dadurch rückten sie in eine ideale Zone, die keine Trübung durch die sonst unvermeidlichen täglichen Reibungen erleiden konnte. Die Nähe, der tägliche Umgang, war viel gefährlicher. Und der Meister war alles, nur kein bequemer Freund.
Das Frühjahr lockte hinaus; Meister Ludwig entschloß sich auf ärztlichen Rat, einige Wochen eine Badekur in Baden zu machen. Aber auch der kurze Badeaufenthalt war für ihn keine Arbeitspause, sondern erst recht eine ungestörte Gelegenheit zu neuem emsigem Schaffen.
Dem entsprachen auch die umfänglichen Anstalten, die zu solchem Zwecke gemacht wurden.
Eines Morgens schwankte ein vierspänniger Lastwagen mit einem turmhohen Bau von Musikalien, Manuskripten, Notizheften, Büchern und etlichen Gerätschaften zum Linienwall hinaus nach den elysischen Bezirken des lieblichen Badens am Südostrande des Wiener Waldes, wo die Quellennymphe unter klassizistischen Badetempeln ein arkadisches Idyll gefunden hat. Ernste Tannenwälder ziehen die Höhen hinauf, von droben schauen Burgruinen talwärts. Klassizismus und Romantik. So liebt es der Meister, denn beides ist ihm verwandt.
Ferdinand Ries, der Schüler und Famulus, soll binnen wenigen Tagen nachkommen und mit Meister Ludwig die Einsamkeit teilen.
Er selbst wandert zu Fuß dem Wagen voraus, seelenvergnügt. Lerchenjubel, sanfte Lüfte, schaukelnde Kornfelder. Ideen schwirren heran, wetterleuchten durchs Gemüt; das dicke Zimmermannsblei hat zu tun im flüchtigen Festhalten der Eingebungen. Vergessen ist die Welt, der Sänger schwebt schon halb im Elysium. Vergessen auch der Möbelwagen.
Todmüde, staubbedeckt, schweißtriefend kommt der Meister spät abends ans Ziel. Nirgends der Lastwagen zu sehen. Endlich, am Kirchenplatz findet er seine Sachen abgeladen, zu einem Haufen aufgestapelt, eine Rotte Buben herum. Der Kutscher, der sein Geld im voraus empfangen hatte, ist längst heimgefahren.
Zuerst Wut, dann schallendes Gelächter, und schließlich mit Hilfe der Buben ein stundenlanges Bergen der Habseligkeiten in den Mietzimmern, wo dann alles kunterbunt durcheinanderliegt, in gewohnter Weise. Aber, Gott sei Dank, man ist endlich glücklich installiert.
Am übernächsten Tag kommt Ries an, und nun geht das Leben seinen geregelten Gang. Ries ist sozusagen Verbindungsoffizier mit der Außenwelt, er besorgt alles Nötige, begleitet Meister Ludwig auf den ausgedehnten Spaziergängen, macht auch gelegentlich die Kopiatur der neuen Kompositionen, ist Gesellschafter, vernünftig, bescheiden, diskret; er empfängt dafür Unterricht und freie Station.
Eines Abends kommt Ries heim und tritt in das Zimmer des Meisters, prallt aber sofort zurück, als er eine dichtverschleierte, anscheinend junge schöne, jedenfalls aber sehr elegante Dame bei ihm auf dem Sopha sitzen sieht.
Ries fürchtet, daß er ungelegen käme, und will sich sofort unauffällig entfernen. Aber da winkt ihm schon der Meister zu und fordert ihn auf:
»Bleiben Sie nur, und spielen Sie einstweilen!«
Ries setzte sich hin und spielte, indessen hinter seinem Rücken der Meister mit der Dame plauderte. Es dauerte sehr lange.
In einer zufälligen Kunstpause hört der Junge seinen Herrn und Meister zur Fremden sagen:
»Lüften Sie doch Ihren Schleier! Ich komme mir vor wie auf einem Maskenball. Und ich gestehe, daß ich begierig bin – – –«
»Und ich war ebenso begierig auf Sie – ich interessierte mich für den berühmten Künstler; finden Sie das ungewöhnlich oder unrecht? Denken Sie nicht schlecht von mir – – –«
Ries hatte unwillkürlich die Pause verlängert, und der Meister rief ihm sofort zu: »Ries, spielen Sie etwas Verliebtes!« Und dann zur Schönen: »Was ich denke, kann Ihnen ja gleich sein – ich kenne Sie leider gar nicht!« Das Gespräch ging unverständlich fort.
Der Schüler hielt inne.
»Ries, etwas Melancholisches!« befahl der Meister.
»Sie werden mich vielleicht eines Tages kennen,« sagte die Schöne hinter ihm, »aber Sie sollen dann nicht wissen, daß ich es war, die bei Ihnen war. Vielleicht werde ich es Ihnen einmal sagen, vielleicht auch nicht, das hängt von Umständen ab, die ich nicht voraussehen kann.«
Der Meister mußte plötzlich etwas Ungeschicktes gesagt haben, wodurch die Dame beleidigt schien; denn Ries hörte sie plötzlich sagen: »Als Kavalier wissen Sie, daß ich in Ihrem Schutz stehe, besonders in dieser Lage, in die mich mein romantischer Fürwitz und meine Verehrung geführt hat; wenn Sie meinem Ruf schaden, so schaden Sie Ihrem noch mehr, und die Gesellschaft würde Ihnen das nie verzeihen.«
Der Meister suchte nun durch gute Laune wieder gutzumachen, was er verdorben zu haben schien, und schrie dem Klavierspieler, der wieder nachließ, übermütig zu: »Vorwärts, Ries, etwas Leidenschaftliches!«
»Woran soll ich Sie wieder erkennen, schöne Unbekannte!«
»Sie sollen mich nicht wieder erkennen! Ich bin Ihnen eine Unbekannte und will es bleiben. Ob ich schön bin, können Sie nicht wissen.«
»Werde ich Sie je kennen? Ich habe den Wunsch, das Unbekannte lockt, es ist das Romantische! Und man sagt mir nach, daß ich Romantiker bin.«
»Dann wird Sie diese Episode freuen und Ihrer Kunst vielleicht von einigem Gewinn sein.«
»Sie weichen meiner Frage aus, Verehrte. Ob Sie mir ewig Geheimnis bleiben wollen – –«
»Ja und nein – Sie werden mich kennen als eine andere; mehr kann ich Ihnen nicht versprechen – – –«
Der Meister horchte ein wenig auf den Spieler, sprang dann auf und schrie: »Ja Mensch, das sind ja lauter Sachen von mir!«
In der Tat hatte Ries Motive aus des Meisters Ludwig Arbeiten aneinandergereiht und durch kurze Übergänge verbunden, bei der Wahl immer auf die allgemeine Charakteristik bedacht: etwas Verliebtes, etwas Melancholisches, etwas Leidenschaftliches – – es fand sich alles und stimmte vortrefflich.
Die Dame hatte sich erhoben, dankte mit wenigen gewählten Worten für die köstlichen Augenblicke und bat, nicht auf des Rätsels Lösung zu drängen, es würde sich eines Tages vielleicht ganz mühelos ergeben. Sie sagte noch »Auf Wiedersehen!«, machte eine graziöse Bewegung und schwebte hinaus.
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