Der Vierte, welcher in einiger Entfernung von den Uebrigen auf einem an der Wand der Kajüte stehenden Sopha sitzt oder vielmehr liegt, befindet sich völlig im Halbdunkel. Er ist dreißig Jahre alt, aber Jedermann würde ihn für fünf Jahre älter halten; es ist eine große, kräftige Gestalt, und seine Züge, sowie seine Kleidung, sind ein Gemisch von angeeigneter Distinction und von angeborener Alltäglichkeit. Wir wollen diesen Mann näher in’s Auge fassen und mit dem Kopfe beginnen. Ein etwas dunkler, von der tropischen Sonne gebräunter Teint, schwarze, wie die Flügel des Raben glänzende Haare, die in natürlichen Locken herabfallen und mit der größten Sorgfalt geordnet sind, eine wie Elfenbein glatte Stirn, mit den Erhöhungen der Entschlossenheit und des festen Willens, in reinen, ununterbrochenen Halbkreisen gebogene Brauen über einem Paar forschender Augen, welche mit außerordentlicher Beweglichkeit den Blicken Anderer ausweichen, die aber die Spuren einer- nicht durch physische Ausschweifungen, sondern durch innere Aufregung ermatteten Lebenskraft tragen; dies ist es, was an dem Gesicht dieses Mannes zuerst ausfällt. Die Nase ist gerade und wohlgeformt, aber die übrigen Theile des Gesichts können den prüfenden Blick leicht täuschen, denn ein dichter, an den Ohren beginnender Bart läßt Nichts davon sehen, als ein paar blasse Lippen, welche eine Doppelreihe weißer Zähne bedecken.
Im Gegensatze zu dem jungen Manne, den wir vorher schilderten, hat der, von dem wir fest sprechen, starke Hände mit muskulösen Fingern; er widmet ihnen eine große Sorgfalt, aber obgleich es ihm gelungen ist, sie weiß zu erhalten, so hat er ihnen doch keine elegante Form geben können. Sie sind zur Hälfte von feingefalteten Battistmanschetten bedeckt und an dem kleinen Finger der rechten Hand funkelt ein werthvoller Diamant.
Dieser Mann trägt eine weiße seidene Cravatte, die nachlässig um seinen Hals geschlungen ist, ein Gilet von englischem Stoffe, mit großen rothen, gelben und grünen Carreaus, in dessen linker Tasche sich eine dicke goldene Kette, welche quer über das weiße Hemd läuft, nebst der daran befestigten Uhr, verliert. Den Anzug vervollständigt eine Art Jäckchen von schwarzem Sammet, ein Beinkleid von braunem Cashemir, weißseidene Strümpfe und Tanzschuhe, welche dem Fuße Feinheit geben sollen. Dies ist das vollständige Bild dieses Mannes, der jenen durchdringenden Geruch von Ambra oder Moschus um sich verbreitete, mit dem die Bewohner der Kolonien sich so gern, aber zu ihrem Nachtheil umgeben.
Ist dieser Mensch gut oder schlecht? Das ist schwer zu sagen. Sind die Blässe und der scheue Ausdruck seines Gesichts und besonders die unangenehmen Linien, die ihm seinen hauptsächlichsten Charakter geben, eine Folge von erduldetem Unglück oder von heftigen Leidenschaften? Ist er ein Bösewicht oder ein rechtschaffener Mann? Bald scheint der Blick dieses Mannes aus einem Herde von Galle zu kommen, bald ist er wieder merkwürdig sanft; man kann sich nichts Veränderlicheres denken, als diese Physiognomie Während man den bitteren und höhnischen Zug um seine Lippen bemerkt, wird man erstaunt, diese Bitterkeit und diesen Hohn in ein Lächeln übergehen zu sehen, um das ihn ein junges Mädchen beneiden könnte, und dies eben so rasch, als eine Sommerwolke unter einem Windhauche ihre Form verändert.
So viel ist gewiß, daß dieser Mann, er sei gut oder schlecht, kein gewöhnlicher Mensch ist.
Auf dem Ofen liegende Bücher, an den Wänden hängende Landkarten und ein Thermometer vervollständigen das einfache Meublement dieser saubern von Mahagoni glänzenden Kajüte.
Das einzige Geräusch, welches man hörte, war, wie wir schon sagten, und wenn wir uns dieses Wortes bedienen dürfen, das Athmen des Schiffes, zu dem sich nur das leise Zittern der inneren Gegenstände und von Zeit zu Zeit das Klappern der Dominosteine gesellte.
»Domino!« rief plötzlich der Comntandant. »Mein lieber Doktor, Sie sind nicht stark in diesem Spiele. Ich hatte siebenundsiebzig Points,« fuhr Durantin fort, indem er seine Augen durchzählte, und jetzt dreiundzwanzig, das sind zusammen gerade hundert.«
»Sie haben ganz Recht, Kapitain,« erwiderte der Doktor, ich bin ein schlechter Spieler; Sie gewinnen mir schon die vierte Partie ab und ich möchte mich nach einem Beistande umsehen. Herr Valery, wollen Sie sich nicht mit Herrn Pascal vereinigen und eine Partie en quatre mit uns spielen.«
Als Herr Valery, der Mann mit dem bunten Gilet, sich anrufen hörte, stand er auf, näherte sich den Spielenden mit der Miene eines vom Schlafe Erwachenden und sagte:
»Ich bin es zufrieden.«
»Ich ebenfalls,« versetzte der junge Mann, indem er sein Buch zuschlug. Dann rieb er sich die Hände und setzte hinzu: »Wissen Sie, daß es diesen Abend ein wenig kalt ist, Herr Kapitain?«
»Wollen wir Feuer machen lassen?«
»O, so schlimm ist es nicht,« erwiderte Felician; »aber kühl ist es.«
»Ich bemerke es ebenfalls,« sagte Valery, indem er sich an den Tisch setzte; »dieses Regenwetter dringt bis auf die Knochen. Ich habe Kopfweh und ich gestehe, daß ein wenig Feuer mir nicht unangenehm sein würde.«
»Seit einigen Tagen scheinen Sie sich nicht ganz wohl zu befinden, Herr Valery,« bemerkte der Doctor. »Wollen wir ein kleines Examen anstellen?«
»O, das ist nicht nöthig, es fehlt mir Nichts:«
Der Kapitain klingelte, ein Matrose erschien.
»Mache Feuer,« sagte Jener.
Eine Minute später pfiff der Ofen.
Die Wärme that Jedem wohl; die Partie begann und man plauderte während des Spiels. Valery allein fröstelte.
»In wieviel Tagen werden wir das Kap erreichen?« fragte Pascal den Kapitain.
»Spätestens in zwei Tagen.«
»Der Nicolas segelt gut.«
»O ja, er macht seine elf Knoten in der Stunde.«
»Sie setzen, Kapitain.»
»Sechs und sechs?«
»Ja.«
»Dann passe ich.
»Und Sie, Herr Valery?«
»Ich habe Sechsen.«
»Eilen Sie denn so sehr, nach dem Kap zu kommen?« fragte der Kapitain den jungen Mann.
»Ja, ich wünsche, möglichst bald wieder in Frankreich zu sein, aber vorher muß ich zwei bis drei Monate am Kap bleiben, und ich wünschte daher, ich wäre schon dort.«
»Ihre Mutter lebt in Frankreich?«
»Ja, mit meiner Schwester.«
»In welcher Gegend Frankreichs wohnen sie denn?«
»Im Poitou, ihrem und meinem Geburtslande.«
»Wirklich? Auch ich bin aus Poitou« und wir sind also Landsleute,« sagte Maréchal.
»Blanc Zwei,« rief Valery.
»Zwei As,« sagte der Kapitain« indem er einen Stein ansetzte.
»Aus welcher Stadt sind Sie denn, Herr Doctor?« fragte der junge Mann.
»Ich bin aus Melle, einem sehr hübschen Städtchen auf der Höhe, welche die beiden Thäler der Legére und der Béronne voneinander scheidet.«
»Und ich aus Moncontour, am rechten Ufer der Dive.«
»Das ist ein allerliebstes Städtchen« das ich sehr gut kenne, aber es ist sehr klein.«
»Höchstens tausend Einwohner.«
»Und wie kommt es, daß Sie dieses Oertchen verlassen haben und schon so jung auf der südlichen Halbkugel herumschiffen?«
»Ueberall Blanc,« sagte Durantin. »Sie plaudern und spielen nicht! Ueberall Blanc!«
»Sie wissen doch, Kapitain, daß Niemand Blanc haben kann, da es schon sieben Mal heraus ist.«
»Dann decken Sie auf. Ich habe zweit!« sagte der Kapitain, indem er triumphirend seine Doppeleins zeigte.
»Man muß gestehen, daß der Kapitain gut spielt,« bemerkte Pascal lächelnd; dann wendete er sich an Maréchal und sagte, während die Steine umgewendet wurden:
»Sie fragten mich wohl, aus welchem Grunde ich Moncontour verlassen hätte und schon so jung auf den südlichen Meeren herumschiffte?«
»Ja wohl.«
»Das ist ganz einfach. Sobald ich in das Alter kam, um mir ein Urtheil bilden zu können, erwachte der sehnliche Wunsch in mir, Priester zu werden. Schon als ich noch ein kleines Kind war, wurde meine Seele von den religiösen Cremonieen, von dem Weihrauch, dem Gesange der Chorknaben, den Blumen am Frohnleichnamsfeste, den weißgekleideten Mädchen, die ich in den Prozessionen bei Sonnenschein, und von den Fahnen der heiligen Jungfrau beschattet, vorüberziehen sah, mit einer frommen Begeisterung erfüllt, und Thränen der Rührung traten mir dabei in die Augen, Später wurde dieses religiöse Gefühl eine Ueberzeugung und mein Beruf wurde mir klar. Meine Mutter, die mir in Nichts entgegen sein wollte, brachte mich auf das Gymnasium in Niort, wo ich bis in mein einundzwanzigstes Jahr Theologie studirt habe. Dann empfing ich die ersten Weihen, denn, wie Sie sehen, habe ich die Tonsurt aber ehe ich sein unwiderrufliches Gelübde ablegte, wollte ich die anderen Religionen genau kennen lernen« studiren und miteinander vergleichen, damit mein Glaube sich nicht allein auf das Gefühl, sondern auf Ueberzeugung gründen sollte. Deshalb habe ich diese Reise unternommen, von der ich jetzt zurückkomme.«
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