Parallel zu dieser Entwicklung mussten wir dann ab 1976 die Oberstufenreform – der jüngste Einschnitt in der Organisationsstruktur unserer Schule – in den Schulalltag umsetzen, was eine Fülle von Erlassen und Richtlinien zu bewältigen hieß: NGO, OGO, VGO; RPO, APO, AVO/GOFAK (alles noch nicht im Abkürzungslexikon enthaltene Kürzel bundesdeutscher Erlasssprache). Doch seit 1979 führen wir unsere Schüler durch alle Paragraphen hindurch zum Abitur, zur Hochschulreife oder in einen Beruf oder …? –
Der Bericht über die Vergangenheit hat die Gegenwart eingeholt. Und aus ihr wird immer nach dem Morgen gefragt. Aber dieses Morgen ist immer offen, antwortlos auch, selbst auf das Wissen, mit welchem wir meinen, aus einer Vergangenheit Sicherheit für ein Morgen herleiten zu können. So ist denn auch unsere Reise durch 25 Jahre nur an einer Zwischenstation angelangt, minutenkurzer Aufenthalt: Was laden wir ab? Wer steigt zu? Welche Weichen sind bei der Weiterfahrt gestellt?
Der Chronist müsste nicht Schulmeister sein, wollte er nicht versucht sein, aus dem Blick für die Vergangenheit einige für die Weiterfahrt zu überdenkende Schlussbemerkungen hinzuzufügen. Der Bericht über 25 Jahre Schulalltag ist so bruchstückhaft, wie der einzelne Reisende allenfalls für wenige Stunden Mitteilung erhält aus dem Leben, der Arbeit, den Wünschen eines Mitreisenden in seinem Abteil. 25 Jahre Schulchronik müsste die Berichte aus 25 Jahren Schulalltag von rund 3.330 Schülern enthalten, die unser Gymnasium in guter oder schlechter Erinnerung haben. 25 Jahre Schulchronik müsste die Notizen von über 300 Lehrern enthalten, die uns ein Stück des Weges begleiteten oder heute noch mit uns auf der Reise sind.
Sie, liebe Eltern, fragen heute, was denn der Ertrag unserer bisherigen Reise ist. Lassen Sie mich so antworten: Das, was Ihre Kinder an täglicher Schularbeit selbst geleistet, und das, was sie nach ihrer Schulzeit aus sich gemacht haben. Sie haben sich in der vergangenen Woche einen kleinen Ausschnitt dieser Arbeit ansehen und anhören können, vor allem im Bereich der Musik, der Kunst, des Theaters. Seit Beginn unserer Arbeit vor 25 Jahren haben nicht nur Chor und Orchester in die Öffentlichkeit gewirkt, auch in hervorragenden Einzeldarbietungen haben Schüler wie Ehemalige Anerkennung und Beifall erhalten. In Pausenhallen und Fluren können wir uns täglich die künstlerische Auseinandersetzung mit Umwelt und Alltag vergegenwärtigen. Die Aufführungen unserer Laienspielgruppen sind aus dem kulturellen Leben dieser Kreisstadt nicht mehr wegzudenken – und das schon seit den 60er Jahren.
Der Sport muss erwähnt werden. Er hat – ich will hier keine Disziplin schmälern oder hervorheben – dieses Gymnasium ebenfalls bekannt gemacht: schon beim „Spiel ohne Grenzen“, bei Bezirks-, Landes- und bundesdeutschen Schulmeisterschaften. Empfang beim Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Ehrungen durch Stadt und Kreis; eine Fülle von Pokalen ist die Anerkennung.
In England waren unsere Schüler, Dänen waren bei uns, Wien haben Klassen kennengelernt, in den Vereinigten Staaten sind Austauschschüler, mit Caen in Frankreich besteht eine Schulpartnerschaft; neu sind die Kontakte zu Staaten im Ostblock: zur DDR, zur CSSR; aus Indien, Neuseeland und Afrika haben uns Ehemalige geschrieben; ein anderer wirkt als Pastor in Australien. Gymnasium OHZ sieht die Welt.
Studentenkolonien finden wir in Kiel, in Hamburg, in Göttingen; aus Passau, Regensburg, München, Marburg, Frankfurt, Münster, Oldenburg kommen Studentenberichte. Gymnasium OHZ arbeitet. Und aus unseren Schülern sind Ärzte geworden, Juristen, Ingenieure, Wissenschaftler. Aber auch in Handel und Gewerbe hat sie ihr Weg geführt, und manch Abiturient hat auch am Schraubstock gestanden, auf dem Bau, im Hafen gearbeitet.
Dessen solltet Ihr, liebe Schüler, Euch immer bewusst sein, die Ihr heute bei Eurem Schulabschluss wenig hoffnungsvoll auf Euer künftiges Berufsleben blickt. Und wir Lehrer können Euch – anders als früher – kaum mehr Rat geben, welcher Beruf Euren Interessen und Neigungen am ehesten entspricht. Ihr lernt in einer Zeit, die Berufswunsch und -chancen computergesteuert verteilt, die selbst Fleiß und Leistung wegrationalisiert unter der Maßgabe des ökonomisch größtmöglichen Nutzens. Ihr lebt in einer Zeit, in der Euch die Mächtigen dieser Welt eine Zukunft unter Waffen garantieren und einen Himmel voller Raketen versprechen. Dieser Welt müsst Ihr Euch stellen – und Ihr könnt es: mit dem Willen, diese Welt zu ändern. Denn Ihr habt bei uns auch gelernt, die Gesellschaft, in der Ihr lebt, nicht nur in ihren positiven Erscheinungen, sondern auch in ihren Fehlern zu erkennen. Wir sollten Euch die Fähigkeit mitgegeben haben, Überlieferungswertes dieser Gesellschaft mit der Kraft Eurer Überzeugung zu erhalten, den Fehlern dagegen mit dem Mut Eurer Gedanken und dem Einsatz Eurer Person zu wehren. Denn auf Euch kommt Verantwortung zu: Eure Generation wird sich zwei Aufgaben verschreiben müssen, die entscheidend unsere Welt lebenswert machen – Menschlichkeit und Frieden.
Was auf Euch konkret zukommt, wisst Ihr nicht, nur, dass Ihr Euch jenen Forderungen Eurer Zukunft stellen müsst. Hierin erfahrt Ihr Euren Anteil an Geschichte, die Euch die Entscheidung zu ihrer Mitgestaltung anbietet. Ihr könnt an den Weichen auch für unsere Weiterfahrt, von der ich oben gesprochen habe, selbst mit stellen und den Weg Eurer Zukunft mit bestimmen. Denn – ich schließe mit dem Schlussgedanken aus Ernst Blochs Hauptwerk ‚Das Prinzip Hoffnung‘: „Die Wurzel der Geschichte (…) ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“
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1.1.3 „Widerstand und Friede – die Verantwortung vor der Geschichte
“Verabschiedung der Abiturientinnen und Abiturienten am 12. Juni 1987 (Festansprache: StD. Schikore)
Werte Gäste! Werte anwesende Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Eltern unserer zu verabschiedenden Schüler!
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Ihr eigentlich angesprochenen in dieser Stunde!
Gestattet dem Älteren in der Stunde des Abschieds noch einmal das vertrautere Personalpronomen, um Euch in einer unpersönlicher werdenden Zeit den Übergang zum Neuen, noch Unbekannten, nicht allzu krass erscheinen zu lassen.
Ich habe aus drei Überlegungen lange Zweifel gehabt, ob ich der Bitte von Herrn Rechtmann, Euch im Namen der Schule zu verabschieden, entsprechen solle. Erstens: Ist nicht Euer heute von uns bescheinigte Erfolg und der nicht zu verschweigende Nicht-Erfolg von institutionellen und personalen Unwägbarkeiten beeinflusst worden? Was soll da eine Feier zum Abschied? Zweitens: War nicht Eure Schulwirklichkeit ein „Büffeln“, ein „Jagen“ nach Noten, Punkte – und davon möglichst gute und möglichst viele –, mit denen Euch Staat und Gesellschaft durch computergesteuerte Zähl- und IQ-berechnete Testverfahren die Startbedingungen in eine „Leistungselite“ oder in ein „Aussteigerdasein“ offen oder geschlossen halten? Was sollen da Wünsche zum Abschied? Drittens: Was erinnert Euch denn später einmal an diese namenlose Schule, diese anonyme Bildungseinrichtung, die in verordneter Traditionslosigkeit versäumt hat, Euch Leitbilder vorzugeben, deren Wirken und Lebensweg Jüngere, Nachkommende zu eigenverantwortlichem Handeln motivieren? Was sollen in einer zunehmend sprachlosen Zeit Worte zum Abschied? Lasst Ihr nicht vielmehr den Vorwurf an uns zurück, Euch sprachlos gemacht zu haben in einer Zeit, die so dringend der Worte bedarf? Ich versuche, Euch zu antworten. –
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