Karl Storck - Mozart

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Ziel war für mein Buch: die Erkenntnis der Persönlichkeit Mozarts als der Quelle seiner Kunst. Es scheint mir unleugbar, dass die Gesamterscheinung eines Künstlers nur mit den Mitteln einer aus den geschichtlichen, kulturellen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit in ihn eindringenden Psychologie zu erkennen ist; dass aber die Liebe zu einem Künstler vor allem in seinen lebendigen Gegenwartswerten beruht.

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Mozart

Sein Leben und Schaffen

Karl Storck

Inhaltsverzeichnis

Vom musikalischen Genie und dem Universalstil der Musik

Erster Teil: Kinder- und Lehrjahre

1. Die Eltern und das Kind

2. Die Weltreise des Wunderkindes

3. Heimatliches Intermezzo

4. Italienische Reisen

5. In der Salzburger Enge

6. Ergebnisse

Zweiter Teil: Wanderjahre

7. Mannheim

8. Paris

9. Zurück ins Joch

10. Die Befreiung

Dritter Teil: Meisterjahre

11. Die Entführung aus dem Serail und aus dem »Auge Gottes«

12. Alltagsleiden und -freuden

13. Zwischen den Opern

14. Die italienischen Opern

15. Zum frühen Ende

Ausklang

Karl Storck

Mozart

Sein Leben und Schaffen

1908

Meinem Freunde

dem Bildhauer Ernst Müller

zu eigen

Es ist mir eine tiefe Freude, Ihnen, lieber Freund, dieses Buch in Ihre römische Werkstatt schicken zu können. Außer der Selbstbeglückung, die in dem Bewußtsein liegt, einem lieben und verehrten Menschen eine Freude zu bereiten, veranlassen diese Widmung auch in der Sache liegende Gründe. Der wichtigste darunter ist die Wesensverwandtschaft Ihres künstlerischen Schaffens mit dem mozartischen in dessen wunderbarster Eigenschaft: der harmonischen Schönheit. Tiefe Harmonie verdankt sich nicht einem leichten, kampflosen Erleben, sondern dem völligen Durchkämpfen des Erlebnisses bis zum Friedensschlusse in und mit sich selbst. Dann erst tritt die künstlerische Gestaltung ein, die als solche bereits das Ergebnis des Lebenskampfes ist und deshalb in ihrem Erzeugnis – dem einzelnen Kunstwerke – vom Kampfe nichts mehr verrät, sondern nur sieghafte Harmonie ausstrahlt.

In dieser Eigenschaft liegt für mich vor allem die beglückende Kraft der mozartischen Kunst; im geistigen und seelischen Erarbeiten dieser Lebens- und Kunstharmonie beruht die Herrlichkeit des Menschen Mozart. Mein Buch möchte den Leser zu dieser unversiegbaren Quelle schönen Menschentums hinführen.

Dann dachte ich bei der Widmung an die vielen Abende, an denen wir am Flügel und – gerne sei's gestanden – beim gehaltvollen Tropfen musiziert, gesprochen, gestritten, gelacht und geschwärmt haben. Es war der Tafelrunde stillschweigendes Übereinkommen, vor keiner Frage die Ohren zu verschließen und keinem Problem aus dem Wege zu gehen. Ich habe es auch bei meinem Buche so gehalten, bei dem mir oft war, als entstände es im Gespräch in unserem Kreise. Es mag auf diese Weise mancherlei in das Buch gekommen sein, was nicht unbedingt darin nötig wäre. Aber als alte Alpenwanderer wissen wir beide, daß man oft auf Umwegen am sichersten zum Ziele gelangt und auch auf ihnen wertvolle Ausblicke genießt.

Dieses Ziel war für mein Buch: die Erkenntnis der Persönlichkeit Mozarts als der Quelle seiner Kunst. Es scheint mir unleugbar, daß die Gesamterscheinung eines Künstlers nur mit den Mitteln einer aus den geschichtlichen, kulturellen und sozialen Verhältnissen seiner Zeit in ihn eindringenden Psychologie zu erkennen ist; daß aber die Liebe zu einem Künstler vor allem in seinen lebendigen Gegenwartswerten beruht. Wir erleben bei großen Künstlern wohl immer, daß mit der Erkenntnis auch die Liebe wächst. Das ist das wunderbar Beglückende des Umgangs mit den Großen. Ich habe für meine Person dieses Glück bei Mozart erfahren und versuchte nun, andere daran teilnehmen zu lassen. So war mein stetes Bestreben, die geschichtlichen Grundlagen von Mozarts Leben und Schaffen aufzudecken, dabei aber alles Geschichtliche nur als Mittel zur Entdeckung von Gegenwartswerten zu nützen.

Wenn es wahr ist, daß vieler Liebe viel vergeben wird, ist mir für die Aufnahme meines Buches trotz seiner Schwächen nicht bange. Denn ich habe es mit wahrhafter Liebe geschaffen, die um so mehr wuchs, je schwerer ich mir die Muße dafür einer reichbemessenen Berufsarbeit abgewinnen mußte. So hoffe ich, daß etwas von dieser Liebe in dem Buche wirken möge auf seinen Leser und ihn dann mitreiße zur Liebe für Mozart, für edle Schönheit in Leben und Kunst.

z. Zt. Ettingen, im August 1908

Karl Storck, Berlin Präludium

Vom musikalischen Genie und dem Universalstil der Musik

Mozarts Name und seine Werke sind in einer Weise und Ausdehnung volkstümlich geworden, daß man den großen Feierlichkeiten wie Familienfesten beiwohnen wird.« Was Liszt zur 100. Wiederkehr von Mozarts Geburtstag voraussagte, hat sich auch bei der 150. wiederholt. Dabei fällt zweierlei als besonders merkwürdig auf. Alle Schichten der Bevölkerung und alle musikalischen Kulturvölker empfinden die Mozartfeier als Familienfest, das man aus innerem Drang, wie etwas Selbstverständliches feiert. Der Name Mozart ist geradezu zum Begriff Musik geworden, und Musikliebe wird gleich Liebe zu Mozart, selbst für jene, die sich keines engeren Verhältnisses zu des Meisters Werken rühmen können. Und wenn Richard Wagner Mozart als »Licht- und Liebesgenius« bezeichnete, so deckt sich auch das mit der Vorstellung, die der Mensch mit der Musik verbindet, die ihm die Kunst verklärender Schönheit, liebegesättigter Seligkeit ist, auch heute noch, wo unsere zeitgenössische Komposition fast immer anderen Zielen nachstrebt. So verbinden sich mit dem Namen Mozart, unabhängig von der zeitweilig stärker oder geringer hervortretenden Bedeutung seiner Werke für das öffentliche Musikleben, zwei Vorstellungen rein musikalischer Art, die auch bei keinem andern Musiker mit dieser Klarheit zu untersuchen sind: 1) Mozart ist das musikalische Genie und damit die reinste Ausdrucksform des Genies schlechthin; 2) Mozarts Musik ist in jenem höchsten Sinne universal, daß jedes Volk in ihr einen Gipfel seiner Musik sehen kann. –

Wesen und Ursache dieser Erscheinung möchte ich untersuchen, bevor wir uns mit Mozarts Lebensgang beschäftigen.

~ ~ ~

Als Christoph Willibald Ritter von Gluck, nachdem er zu der Einsicht gekommen, daß er in Deutschland sein Reformwerk der Oper niemals würde durchsetzen können, die Pariser Bühne sich zu gewinnen strebte, schrieb er in seinem berühmt gewordenen Briefe vom Februar 1773 an den »Mercure de France«, es sei sein Lieblingsgedanke, »eine allen Nationen zusagende Musik zu schaffen und dadurch den lächerlichen Unterschied der nationalen Musiken verschwinden zu lassen«. Schier hundert Jahre später glaubte freilich auch Richard Wagner, daß nur von Paris aus eine für das Opernwesen bedeutsame Kundgebung auf durchschlagenden Erfolg rechnen könne. Er handelte danach; aber es geschah aus jener bitteren Erkenntnis heraus, in der Goethe bereits geurteilt hatte, daß es Deutschland zwar nie an Talenten, dagegen immer an nationalem Geiste gefehlt habe. Wagner wollte von Paris aus nicht Paris oder die Welt erobern, sondern Deutschland. Den höchsten nationalen Gehalt des Deutschtums durch die Musik und in ihr neu aufleben zu lassen und zu stärkerer Wirkung zu bringen, als es in den anderen Künsten möglich ist, war das Streben seines Lebens.

Uns Heutigen, die wir, trotz alles Geredes von Internationalität der Kunst, diese viel volklicher empfinden als irgend ein Zeitalter zuvor, weil wir das Nationale nicht mehr als eine Begrenzung betrachten, sondern als Stärkung des Charakters, erscheint Glucks Streben, eine alle Nationen umfassende Musik zu schaffen, als Beengung und Abschwächung des Stärksten in seinem Wesen. Umgekehrt fühlen wir, daß gerade auf Wagners Deutschheit seine Macht auf die Welt, seine Universalität beruht.

Glucks Streben nach Internationalität trägt die Schuld an seinem Festhalten an den konventionellen Formen der Antike, seinem Beharren in der äußerlichen Romantik, seinem Versagen gegenüber dem Plan zur »Hermannsschlacht«, der Unterlassung des Versuchs, eine deutsche Operndichtung zu vertonen.

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