Am ersten März, seinem neunzehnten Geburtstag, schien die Sonne bereits wieder warm vom strahlend blauen Himmel und da seine Freunde allesamt zur Wache eingeteilt waren, verließ er gleich nach dem Mittagessen den Gemeinschaftsraum.
Eine Weile schlenderte er gelangweilt im hinteren Teil des riesigen Innenhofes umher, bis er schließlich vor dem großen, zweiflügeligen Tor stand. Nachdenklich blickte er auf den dicken, langen Querbalken, der es neuerdings noch zusätzlich verschloss und trat heran. Damals hatte er es nur mit Richards Hilfe geschafft, das schwere Tor zu öffnen und so seufzte er erst einmal. Wie wohl der Garten jetzt nach dem harten Winter aussah? Hatten die jungen Bäume überlebt? Stand der Pavillon überhaupt noch oder war er den schweren Herbststürmen zum Opfer gefallen? Was war aus dem Springbrunnen geworden? Oder hatte Henry vielleicht sogar tatsächlich alles wieder abreißen lassen und damit seine Drohung wahrgemacht…
Allein würde er den Querbalken niemals heben können, da war er sich hundertprozentig sicher und doch versuchte er es. Zaghaft legte er seine zierlichen Hände auf die Unterseite und drückte nach oben. Nichts bewegte sich, der Balken rührte sich keinen Millimeter breit und so versuchte er es noch einmal. „Na komm schon“, murmelte er vor sich hin, stemmte sich mit aller Kraft dagegen, das Holz knirschte verdächtig und, gab plötzlich nach. Wie von unsichtbaren Kräften unterstützt, hob Amanoue den zentnerschweren Balken hoch und warf ihn auf die Seite. „Puh!“, machte er durchschnaufend, schob den Riegel zurück und zog eine Flügelseite des Tores auf. Gerade soweit, dass er durch einen Spalt hindurchschlüpfen konnte und sah sich staunend um. Die ersten zarten Triebe zeigten sich an den jungen Obst- und Zierbäumen, grüne Sprosse der Lilien durchbrachen gerade das feuchte Erdreich, die Rosenbüsche zeigten die ersten rötlichen Blattknospen, hunderte blühende Schneeglöckchen säumten den Kiesweg rechts und links davon, einige vorwitzige Gänseblümchen hatten ihre kleinen Blütenköpfe dazwischengeschoben und hier und da blühten sogar schon einige Anemonen.
Amanoue wurden unwillkürlich die Augen feucht bei diesem unverhofften Anblick und die Erinnerung an die Erschaffung des Gartens ließ ihn leise schluchzen. Wie sehr hatten er und die Jungs geschuftet und sich abgerackert, monatelang unermüdlich daran gearbeitet und dann hatte alles ein so jähes Ende genommen…
Er schlenderte den Weg entlang, entdeckte voller Freude die von ihm gesetzten Erdbeerpflänzchen, die sich ebenfalls anschickten den Frühling zu begrüßen und sogar schon die ersten kleinen Blütenknospen in ihren Herzen bargen. Einige Bienen flogen bereits in der Hoffnung auf Nektar herum, ein erster Zitronenfalter gaukelte noch etwas steif wirkend über die ehemalige Wiese, die bald ein Blütenmeer werden würde und Amanoues Blick folgte ihm lächelnd, bis er ihn aus den Augen verlor. Langsam spazierte er weiter, genoss jeden einzelnen Atemzug der lauen, zart duftenden Frühlingsluft und hinter der sanften Biegung tauchte das Kernstück des Gartens auf. Sein Meisterstück! Genau in der kreisrunden Mitte des von ihm erschaffenen kleinen Paradieses, thronte der steinerne, dreistufige Springbrunnen, mit den antiken Götterstatuen drumherum. Er lief zwar nicht, aber dennoch war sein Anblick geradezu imponierend in seiner majestätischen Schönheit und Amanoue brach endgültig in Tränen aus.
Weinend ließ er sich zu Boden sinken und verbarg sein schönes Gesicht hinter seinen Händen. Wie stolz war er gewesen, wie sehr hatte er sich gefreut, darauf gefreut, dies alles Henry zeigen zu können und nun war alles aus und vorbei.
Was war er nur für ein Narr gewesen, eben, ein dummes Ding, wie Sebastian ihn so oftmals bezeichnet hatte und die Erinnerung an den alten Mann brachte ihn noch mehr zum Weinen. Völlig aufgelöst saß er heulend da, bis endlich keine Tränen mehr kamen und so raffte er sich schließlich auf.
Was würde nun aus ihm werden? Brac hatte ihm ja schon bei seinem Umzug eindeutig zu verstehen gegeben, dass er hier nicht länger als nötig erwünscht wäre, höchstens bis zum Frühling und der stand unmittelbar vor der Tür. Aber wo sollte er hin?
Er war völlig mittellos. Irgendwie, musste er zu Geld kommen, denn alles, was er besaß, trug er am Körper, einen Körper, den er verkaufen konnte…
***
„Eure Majestät, es ist mir eine Ehre“, bedankte sich der Graf von Lothringen mit einer tiefen Verbeugung, als er die Einladung zum abendlichen Bankett aus dem Munde des Königs erhalten hatte.
„Und mir eine außerordentliche Freude“, entgegnete Henry mit einem aufgesetzten Lächeln. „Wir sehen uns also später, Ihr und Euer Sohn werdet Euch sicher noch etwas frischmachen wollen.“
Der hohe Adlige deutete erneut eine Verbeugung an und gab seinem Spross einen leichten Stoß. Der junge Mann wirkte recht unbeeindruckt und blickte gelangweilt, wenn nicht sogar unverschämt hochnäsig, umher. Nach der unmissverständlichen Aufforderung seines Vaters sah er sich jedoch genötigt, seine Aufmerksamkeit wieder dem König zu widmen und so verbeugte auch er sich mit einem frechen Lächeln. Er war hübsch, ohne Frage, auffallend hellhäutig und seine vorwitzige Stupsnase zierten unzählige rötliche Sommersprossen. Sein Haar war blond, ebenfalls mit einem kupfer-rötlichen Schimmer und einige Fransen hingen ihm keck in die Stirn, was ihm zusätzlich noch ein unverschämt freches Aussehen verlieh. Die ungewöhnlich bernsteinfarbenen Augen hielten den König einen Moment länger als nötig fest und zwangsläufig stahl sich auch auf dessen Lippen ein kleines Lächeln. Oh ja, dieser Frechdachs war ganz nach seinem Geschmack, wäre es zumindest früher gewesen, als er noch ein Beuteschema gehabt hatte und sein Herz noch funktionierte. Aber jetzt war es wie taub, alles in ihm war taub geworden und, verbittert.
Der Graf hatte sich längst mit seinem Sohn zurückgezogen, als Wilhelm ihn am Arm packte und derart fest zudrückte, dass Henry fast aufschrie. „Sie sind weg! Du kannst aufhören, Löcher in die Luft zu starren!“, raunte er verständnislos und Henry sah ihn an.
„Willst du diese Rotzgöre tatsächlich als deinen nächsten Knappen in deine Dienste nehmen?“, fragte Richard beinahe erzürnt.
Henry atmete gelassen durch und zuckte die Schultern, als würde ihn das alles nichts angehen. „Was bleibt ihm anderes übrig? Der Graf von Lothringen ist ein enger Verbündeter und er würde ihm mit einer Ablehnung wohl unnötig vor den Kopf stoßen“, erwiderte Wilhelm ebenfalls recht barsch und beide sahen zu Henry hin, der noch immer irgendwie recht unbeteiligt wirkte. „Also, was wirst du tun?“
„Keine Ahnung, ist mir auch gleich, entscheidet ihr“, antwortete Henry und stand auf. „Ich muss mich umziehen“, meinte er und schlenderte davon.
„Verdammt!“, zischte Wilhelm und schnaufte wütend durch. „So geht das nicht weiter! Er wirkt wie eine Marionette! Nickt nur oder lächelt starr vor sich hin, wie ein Idiot!“
Auch Richard entkam ein Schnauben, allerdings klang es eher verzweifelt. „Wenn wir ihm doch nur helfen könnten! Wenn irgendwer, ihm doch nur helfen könnte“, sagte er kopfschüttelnd und Wilhelm verengte die Augen.
„Dieser kleine rothaarige Bastard eben, hast du gesehen, wie er Henry angesehen hat? Als würde ein Jäger ein Wild anvisieren“, raunte er grübelnd und grinste plötzlich. „Vielleicht ergibt sich da bald ganz etwas wie von selbst“, meinte er verschwörerisch. „Lass mich nur machen, diese kleine Rotznase werde ich mir heute noch genauer ansehen und, einer eingehenden Befragung unterziehen!“, meinte er und sein Onkel seufzte geschafft.
„Sag mir wenigstens, was du vorhast“, flehte er.
„Wenn ich mit meiner Beobachtung recht liege, dann wird uns dieser Kleine vielleicht helfen können und damit Henry bald auf andere Gedanken bringen“, antwortete sein Neffe verheißungsvoll und schritt davon.
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