Sofort machte ich mich daran, die Lebensmittel auszupacken und in den Schränken zu verstauen. Nebenher plapperte ich munter drauflos: „Gott sei Dank, das mit dem Kleid wäre erledigt. Jetzt müssen wir uns nur noch wegen der Blumen einig werden. Das Probeessen vom Catering ist ja erst nächste Woche und …“
Peter war mir in die Küche gefolgt. Mit ernster Miene schaute er mir bei der Arbeit zu. „Karen, wir müssen reden.“
Etwas verwirrt blinzelte ich ihn an. Taten wir das denn nicht gerade?
Mit einem schuldbewussten Ausdruck auf seinem einnehmenden Gesicht wartete er auf eine Reaktion von mir. Seine blonde Prinzen-Föhn-Frisur lag wie immer perfekt. Angespannt biss er die Zähne zusammen, so dass sein Kirk-Douglas-Gedächtnisgrübchen noch tiefer wurde.
War er nervös?
Mittlerweile war Desiree hinter ihn getreten und begrüßte mich flötend über seine Schulter hinweg: „Hallo, Karen.“
„Hi, Desiree. Schön, dass du schon da bist“, erwiderte ich lächelnd und wandte mich dann leicht genervt wieder an meinen Verlobten. „Oh nein, sag nicht, dass die Band abgesagt hat?“
„Nein, … es geht nicht darum.“ Peter rieb sich seine Unterarme. Ein weiteres Anzeichen für seine Nervosität. Langsam hörte ich mit dem Auspacken auf.
Desiree, wie immer topgestylt in einem schwarzen Mini, viel zu hohen High-Heels und einem roten Shirt mit schwarzen Tupfen, erinnerte mich an einen überdimensionalen Marienkäfer. Gebannt betrachtete sie Peter von der Seite. Ihr akkurat geschnittener Pagenkopf leuchtete bronzefarben in den gleißenden Sonnenstrahlen, die durch die breite Fensterfront hereinfielen. Der grellrot geschminkte Mund lächelte erwartungsvoll. Staubkörnchen tanzten wie Konfetti durch die Luft. Es roch nach Kaffee, den Peter kurz zuvor aus dem Kaffeevollautomaten herausgelassen hatte.
„Um was geht es denn?“, fragte ich tonlos.
Und dann kam die Antwort, auf die ich nicht vorbereitet war. Zwei Wörter nur, die alles veränderten.
„Um uns.“ Peter schluckte, ich sah seinen Adamsapfel hüpfen.
Desiree begutachtete mich lauernd. Ihre Lippen waren leicht geöffnet.
Mein Blick wechselte von ihr zu ihm. „Sollten wir nicht - nachher darüber reden?“
Fassungslos stand ich da, mit einer Zehnerpackung weißer Bio-Eiern aus Freilandhaltung in den Händen. Peter senkte sein Haupt und wich auf diese Weise meinem Blick aus.
Plötzlich lag Desirees manikürte Hand auf seiner Schulter. Ihre spitzen, roten Fingernägel krallten sich leicht in sein weißes Polohemd. Prompt hob sich sein Kopf wieder mir entgegen, als hätte er aus dieser Geste Mut geschöpft.
„Nein, es kann nicht länger warten“, sagte er entschlossen.
Diesmal schluckte ich, denn diese Hand, die auf seiner Schulter lag, sagte mir bereits alles. Sein um Vergebung heischender Blick und Desirees hämisches Grinsen wären gar nicht mehr nötig gewesen, um mir klar zu machen, was gleich auf mich zukommen würde.
Langsam schüttelte ich meinen Kopf. Das konnte nicht sein!
„Nein! Nein, nein“, kam es leise über meine Lippen, denn ich glaubte, es aufhalten zu können.
Doch Peter sprach ungerührt weiter. „Ich kann dich nicht heiraten … Ich wollte es dir schon früher sagen, glaub mir, aber …“ Sein Flüstern erstarb. Erneut holte er Luft. „Keiner von uns hat es geplant. Es ist einfach passiert.“ Sein „Wir lieben uns einfach, Karen!“ ließ mich qualvoll aufschluchzen.
Wo war plötzlich der Boden hin? Ich schwebte über einem Abgrund. Auf einmal war nichts mehr wie zuvor. Während die Welt auf dem Kopf stand, war meiner wie leergefegt. Aber gleich darauf füllte er sich mit all den Kleinigkeiten, die ich wochenlang für die Hochzeit vorbereitet hatte. Mein Kleid, der Pfarrer, die Kirche, das Catering …
Ich stellte die Eier ab und hielt mich an der kalten Granitplatte der Kücheninsel fest. In jenem Moment schien mir die das einzige Stabile in meinem Leben zu sein, an dem ich mich festhalten konnte. Mit kugelrunden Augen starrte ich die beiden an und fragte völlig konfus: „Und was machen wir mit dem Hochzeitstisch in Rossners Geschenkeladen?“
Desiree räusperte sich kurz, um mir dann grausam lächelnd die nächste Bombe an den Kopf zu werfen. „Ach, ich denke das ist kein Problem. Wir tauschen einfach die Namen auf dem Tischkärtchen aus. Statt Peter und Karen wird es dann Peter und Desiree heißen.“
Ich quiekte hysterisch auf wie ein kleines Schweinchen, das zur Schlachtbank geführt wurde.
Ausgetauscht! Ich wurde ausgetauscht … So einfach war das.
„Und das Kleid?“, stammelte ich. „Willst du das auch?“
Abfällig lachend verneinte Desiree, so dass ihre glatten Haare synchron um ihr Gesicht wogten. „Sei nicht albern! Wie soll ich noch so schnell zunehmen, damit ich da reinpasse?!“
Mein Gehirn arbeitete mittlerweile auf Autopilot und verzweifelt suchte ich nach Peters Beistand. Das konnte nur ein Scherz sein, oder?
„Aber, aber was sagen deine Eltern …? Die, die Hochzeitsfeier ... bei euch?“, stotterte ich hoffnungsvoll.
Wieder meldete sich Desiree zu Wort. Peter war schon längst verstummt und glotzte nur noch zwischen ihr und mir hin und her, wie ein gehetztes Kaninchen beim Tennis.
„Sie werden erleichtert aufatmen. Schon lange reden sie auf Peter ein, dass er dich verlassen soll. Wusstest du das nicht? Du kommst nun mal nicht aus unseren Kreisen“, frohlockte meine adrette Arbeitskollegin.
„Nein!“, flüsterte ich ungläubig. „Stimmt das, Peter?“
„Das spielt jetzt keine Rolle mehr, Karen“, meinte er lahm und scheute noch immer den Augenkontakt mit mir.
Ich schluckte. Ja, jetzt ergab einiges am Verhalten seiner Eltern Sinn. Dieses aufgesetzte Lächeln seiner Mutter, ihre pikierte Art und Weise mir gegenüber, als hätte ich sie beleidigt. Dieser herablassende und zugleich abwägende Blick seines Vaters. Alles passte nun zusammen. Deswegen war ich mir nie wie die angehende Schwiegertochter vorgekommen, sondern wie ein Gast oder noch schlimmer, wie ein lästiger Eindringling.
Peter war bei meinen Eltern dagegen aufs Allerherzlichste aufgenommen worden. Ich würde schwören, dass sie ihn vom Fleck weg adoptieren würden, wenn sie es könnten. Meine Mutter riss ihn schon an der Tür an sich und schleppte ihn ins Wohnzimmer, um ihn neben meinem Vater auf das Sofa zu platzieren, wo dieser ihm bereitwillig eine seiner wohlbehüteten Bierflaschen in die Hand drückte. Mich, ihre einzige Tochter, vergaßen sie an der Haustür.
Ich konnte Peter und Desiree bloß noch stumm anstarren, meine Beine schienen leblos geworden zu sein.
„Karen, es wäre mit uns nie gut gegangen. Ehrlich gesagt, … bist du nicht mal mein Typ … Weißt du, eigentlich stehe ich mehr auf klein und zierlich.“
Peters Worte ließen mich auf den knallharten Boden der Wirklichkeit schmerzhaft aufschlagen.
„Eigentlich nicht dein Typ?!“, echote ich bestürzt und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte.
Ich versuchte, den Kloß im Hals herunterzuschlucken, doch der blieb, wo er war.
Es tat schrecklich weh, sich so etwas anhören zu müssen. Musste er mir vor Desiree ausgerechnet das sagen, was mich am meisten verletzte? Und das, obwohl er mein Komplexe ganz genau kannte? Mit meiner überdurchschnittlichen Größe und dem (für meinen Geschmack) viel zu hohen Kampfgewicht fühlte ich mich sowieso schon wie eine wabbelnde Wikinger-Walküre. Schlachtschiff! , Wuchtbrumme! hörte ich im Geiste wieder meine alten Klassenkameraden pöbeln, woran die zerrissene Hose bestimmt nicht unschuldig war. Ganz zu schweigen von den Spitznamen, die mir meine roten Haare eingebracht hatten. Davon waren Feuerwehrmelder und Kupferkopf noch die schmeichelhaftesten gewesen.
„Ich werde mich um alles kümmern. Du brauchst lediglich deine Eltern und Verwandten zu informieren, dass ... wir uns getrennt haben.“
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